Verkehrspolitik
06.11.2017
Titelstory

Verkehrswende:
Die Zeit ist reif

Den Öffentlichen Personennahverkehr ausbauen, die Digitalisierung beschleunigen, die Finanzierung des Öffentlichen Verkehrs langfristig sichern und den Schienenverkehr stärken: Diese Kernforderungen richtet der VDV an die Abgeordneten des neu gewählten Bundestages und an die künftige Bundesregierung.

Die Verkehrswende muss in Deutschland endlich ernsthaft angepackt werden: Das sieht der VDV als eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung. In den nächsten vier Jahren gehe es darum, die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen. Eine Mobilität, die das Klima und die Umwelt schont und dabei flexibel und verlässlich ist, müsse ganz oben auf der politischen Agenda stehen, so der VDV.

Nur mit mehr ÖPNV und Eisenbahnen lassen sich die Herausforderungen beim Klimaschutz und bei der Luftreinhaltung meistern.

Jürgen Fenske,
VDV-Präsident

Angesichts drohender Fahrverbote in Großstädten und der Chancen von neuen, digital gesteuerten Mobilitätsangeboten spürt die Verkehrsbranche Rückenwind. Ebenso bei der Nachfrage der Kunden: Im ersten Halbjahr 2017 legten die Fahrgastzahlen um 1,5 Prozent erneut deutlich zu. Damit bewegen sich Busse und Bahnen auch in diesem Jahr auf einen weiteren Fahrgastrekord zu. Für Jürgen Fenske ist das Potenzial des ÖPNV jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft: Der VDV-Präsident glaubt, dass ein Wachstum von jährlich sechs bis sieben Prozent möglich sei – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. „Wir brauchen die Verkehrswende“, bringt er es auf den Punkt: „Nur mit mehr Bussen, Stadt-, Straßen-, U- und Eisenbahnen lassen sich die Herausforderungen beim Klimaschutz und bei der Luftreinhaltung meistern.“ Derzeit liegt der Marktanteil des öffentlichen Personenverkehrs bei elf Prozent. Bis 2030 müsse sich dieser Anteil jedoch verdoppeln. Bereits in 13 Jahren soll Deutschland modern, effizient und klimaschonend mobil sein.

Welche grundlegenden Entscheidungen die Politik für die Verkehrswende treffen und welche Schritte sie jetzt einleiten muss, erläutert der VDV anhand seiner vier zentralen Handlungsempfehlungen. Vor allem der dringend erforderliche Ausbau des ÖPNV kann dem VDV zufolge nur mit einem Sonderprogramm des Bundes gestemmt werden. Um den kommunalen ÖPNV zu modernisieren und auszubauen, müssten über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich 1,5 Milliarden Euro sowie zusätzlich 500 Millionen Euro pro Jahr von Seiten der Länder investiert werden. Unterstützung vom Bund verspricht sich die Verkehrsbranche ebenfalls bei der Digitalisierung. Derzeit bauen die öffentlichen Verkehrsunternehmen und -verbünde ihre Plattform „Mobility inside“ auf. Ab 2019 wird es mit ihr bundesweit möglich sein, eine Fahrt oder Reise unkompliziert zu planen, zu buchen und zu bezahlen.

1,5

Milliarden Euro

jährlich müsste der Bund im Rahmen eines Sonderprogramms für die nächsten zehn Jahre zur Verfügung stellen, um den kommunalen ÖPNV zu modernisieren und auszubauen, fordert der VDV.

Ein Dauerthema bleiben Finanzierungsfragen. Sichergestellt werden muss, dass die Verkehrsinfrastruktur des kommunalen ÖPNV sowie der bundes- und nichtbundeseigenen Eisenbahnen langfristig und verlässlich finanziert wird. Schon heute ist der Schienenverkehr Vorreiter beim Klima- und Umweltschutz. Dennoch muss er im Vergleich zur Straße und Wasserstraße höhere Belastungen durch Trassenpreise sowie Energiesteuern und -umlagen tragen. Hier fordert der VDV, diese Wettbewerbsnachteile abzubauen und den Eisenbahnverkehr insgesamt zu stärken.

1. Öffentlichen Personenverkehr ausbauen

Gegen drohende Fahrverbote und für bessere Luft in den Städten gibt es nur ein wirksames Rezept: den ÖPNV auszubauen. Das geht jedoch nur mit einem Sonderprogramm des Bundes. Leise vor sich hin surrende Elektrobusse und neue Stadtbahnlinien, die am Stau vorbeifahren, machen den modernen ÖPNV zum Erlebnis. Wo Strecken ausgebaut wurden und neue Fahrzeuge im Einsatz sind, steigen die Fahrgastzahlen spürbar an. Unabhängig davon verzeichnen die Verkehrsunternehmen seit fast 20 Jahren in Folge neue Fahrgastrekorde. Von mehr als zehn Milliarden Fahrten jährlich finden acht Milliarden im kommunalen ÖPNV statt. Aber hier stecken Strecken, Stationen und Fahrzeuge im Investitionsstau der Vergangenheit. Der Bedarf für die Modernisierung und den Ausbau der kommunalen Verkehrsinfrastruktur summiert sich auf rund 15 Milliarden Euro, so das Ergebnis einer Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen des VDV.

Das dringend benötigte Sonderprogramm des Bundes muss sich am tatsächlichen Bedarf und an klaren verkehrspolitischen Zielen orientieren. Über einen Zeitraum von zehn Jahren werden also 1,5 Milliarden Euro jährlich benötigt, um den kommunalen ÖPNV zu modernisieren und auszubauen. Unterstützung muss auch von den Ländern kommen: Sie sind aufgerufen, zusätzlich 500 Millionen Euro beizusteuern. Die Mittel müssen in den Kommunen direkt in den Aus- und Neubau der ÖPNV-Infrastruktur fließen sowie für den Kauf neuer Fahrzeuge verwendet werden.


2. Digitalisierung beschleunigen

Über nur eine Mobilitätsplattform eine Fahrt unkompliziert planen, buchen und bezahlen – und das transparent und nach einheitlichen Regeln. Ab 2019 wird das branchenübergreifend und bundesweit möglich sein. Dann geht „Mobility inside“ an den Start – die digitale Lösung der Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen. Damit diese Plattform ein Erfolg wird, muss der Bund die Verkehrsbranche weiterhin dabei unterstützen, die unterschiedlichen Tarife, Tickets und Fahrplaninformationen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr zu vernetzen.

Online-Angebote und Sharing-Dienste spielen schon heute eine immer wichtigere Rolle im Mobilitätsverhalten der Menschen. Rückgrat der vernetzten öffentlichen Mobilität sind die Busse und Bahnen. Von daher sind die Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde prädestiniert, verschiedene Mobilitätsangebote in den Städten und Gemeinden zu einem leistungsfähigen Gesamtangebot zusammenzuführen und verfügbar zu machen. Die Digitalisierung bietet die Chance, Zugangsbarrieren zum öffentlichen Personenverkehr abzubauen, und schafft die Voraussetzung für neue Angebotsformen. Automatisiertes und autonomes Fahren sind dabei ein wichtiges Zukunftsthema. In Verbindung mit Sharing-Diensten können sie einen Hochleistungs-ÖPNV vielversprechend ergänzen. Hier kommt es darauf an, diese Lösungen durch Forschung und entsprechende Pilotprojekte zu unterstützen und voranzutreiben.


3. Finanzierung sichern

Der kommunale ÖPNV und die Eisenbahnunternehmen müssen ihre Verkehrsinfrastruktur ausbauen und modernisieren. Die langfristige Finanzierung dieser Vorhaben muss gewährleistet sein, vorhandene Finanzierungsinstrumente müssen angepasst und ergänzt werden. Dabei kann die neue Bundesregierung auf der Vorarbeit aus der vergangenen Legislaturperiode aufbauen.

Bund und Länder haben ihre Finanzbeziehungen neu geordnet und die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zwar bis 2025 fortgeschrieben, jedoch auf heutigem Niveau „versteinert“. Seit 1997 liegt die Höhe der Mittel für das GVFG-Bundesprogramm, aus dem Bauvorhaben im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr ab einer Summe von 50 Millionen Euro finanziert werden, unverändert bei 333 Millionen Euro pro Jahr. Für mehr klimafreundlichen Verkehr und den Ausbau in den Städten reicht das bei Weitem nicht. Die Folge: Bereits heute ist das Programm zwanzigfach überzeichnet.

Deshalb fordert der VDV, das GVFG-Bundesprogramm in dieser Legislaturperiode an den tatsächlichen Bedarf anzupassen und zu erhöhen. Um die Leistungsfähigkeit und die Qualität des bundeseigenen Schienennetzes sicherzustellen, gibt es die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen (LuFV) zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn – aus Sicht des VDV ein hervorragend geeignetes Instrument, das die Beteiligung des Bundes an notwendigen Ersatzinvestitionen vorsieht und von dem es bereits zwei bewährte „Auflagen“ gibt. In der laufenden Legislaturperiode muss nun die LuFV III für die Zeit nach 2019 abgeschlossen werden. Den nichtbundeseigenen Eisenbahninfrastrukturunternehmen bietet das ­Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz (SGFFG) eine gesicherte Finanzierungsbasis. In den nächsten vier Jahren müssen die Ausgestaltung des Gesetzes und die Fördermechanismen noch besser an die Bedürfnisse des Marktes angepasst werden.


4. Schienenverkehr stärken

Wenn es darum geht, Menschen und Güter umweltfreundlich an ihr Ziel zu bringen, ist die Eisenbahn schon heute Vorreiter. Mehr als 90 Prozent ihrer Leistungen erbringt sie elektrisch angetrieben. In Deutschland nutzen jährlich 2,6 Milliarden Fahrgäste die Züge des Nah- und Fernverkehrs, 600 Millionen Tonnen Güter werden auf der Schiene transportiert. In puncto Umwelt im Vorteil, aber im Wettbewerb benachteiligt: Um sich vor allem gegenüber dem Lkw behaupten zu können, benötigt die Schiene bessere und faire Rahmenbedingungen. Anders als auf der Straße wird auf der Schiene im gesamten Netz eine Maut fällig – die Trassenpreise. In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung beschlossen, die Trassengebühren im Rahmen des Masterplans Schienengüterverkehr deutlich zu senken. Gleiches muss für den Personenverkehr folgen.

Neben weiteren Maßnahmen zur Ertüchtigung des Schienennetzes für 740 Meter lange Güterzüge sollen Engpässe an den großen Verkehrsknoten beseitigt sowie Zulaufstrecken ausgebaut werden. Zudem fordert die Branche die Einführung des Deutschland-Taktes, ein Programm zur Elektrifizierung weiterer Strecken sowie Bundesprogramme für eine dauerhafte Forschungsförderung. Damit sollen Innovationen im Schienenverkehr wie effiziente Antriebstechnologien oder automatisiertes und vernetztes Fahren auf der „Schiene 4.0“ mit Blick auf die Verkehrswende vorangebracht werden.



Leitfaden für eine
bessere Verkehrspolitik

Aktuell hat der VDV eine Broschüre herausgegeben, die die Handlungsempfehlungen für die 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ausführlich erläutert. Die Publikation mit dem Titel „Neue Mobilität für ein mobiles Land“ (Foto) enthält zudem umfangreiches Material an Daten und Fakten und stellt Hintergründe umfassend dar. Die Broschüre steht zum Download im Internet zur Verfügung und kann auch als gedrucktes Exemplar beim VDV-Hauptstadtbüro Berlin bestellt werden.

Bestellungen per Mail: hauptstadtbuero@a22f78d34de14d2984cb0f09c0cb49d8vdv.de
www.deutschland-mobil-2030.de

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