Infrastruktur
18.12.2017
Titelstory

Mit 300 ab durch die Mitte

Nach 26 Jahren Bauzeit ist die Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin – München seit dem 10. Dezember komplett in Betrieb. ICE-Sprinter verbinden die Bundes- und die Landeshauptstadt in unter vier Stunden miteinander. Damit macht die Bahn dem Flugzeug Konkurrenz.


Der jüngste Fahrplanwechsel könnte den Beginn einer neuen Ära des Bahnfahrens markieren: Berlin und München liegen jetzt weniger als vier Zugstunden voneinander entfernt. Das ermöglichen ICE-Sprinter, die in beiden Städten morgens, mittags und abends starten. Bahnreisende sparen auf dieser Relation nun zwei Stunden. Die im Stundentakt verkehrenden ICE verkürzen die Reisezeit um 90 Minuten. Mit dem Fahrplanwechsel ging zwischen Erfurt und Ebensfeld nahe der bayrischen Landesgrenze das letzte Teilstück der Neu- und Ausbaustrecke in Betrieb. Damit ist nach insgesamt mehr als einem Vierteljahrhundert – diverse Planungsverzögerungen und Baustopps inbegriffen – das „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ (VDE 8) endlich fertig. Es war lange Zeit eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes. „Heute ist ein historischer Tag. Mit dieser Eisenbahnstrecke der Superlative rückt Deutschland näher zusammen“, sagte Bahnchef Richard Lutz anlässlich der Eröffnung der 500 Kilometer langen Strecke, die an fünf Bahnhöfen gefeiert wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesminister Christian Schmidt, mehrere Regierungschefs der Länder sowie zahlreiche Vertreter der DB und der Politik nahmen teil. 

Quelle: Deutsche Bahn AG

DB will dem Flieger Marktanteile abnehmen

Im Thüringer Wald machen die ICE 3 jetzt richtig Tempo: Auf dem Abschnitt zwischen Erfurt und Nürnberg erreichen die Züge eine Höchstgeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern. Allein die 120 Kilometer von Bamberg nach Erfurt schaffen sie in einer Dreiviertelstunde. Zuvor benötigten Reisende für diese Verbindung fast drei Stunden. Auf der gesamten Strecke zwischen Berlin und München hat sich die Bahn viel vorgenommen: Hier will sie ihren Marktanteil auf 40 Prozent verdoppeln und dem Flugzeug kräftig Passagiere abnehmen. Nach der Pleite von Air Berlin waren auch zwischen Berlin und München die Ticketpreise im Luftverkehr stark angezogen. Zu Lande kommen auf dieser Verbindung nun dank längerer Züge täglich 10.000 zusätzliche Sitzplätze auf den Markt. Entlang der Strecke profitieren nach Angaben der Deutschen Bahn 17 Millionen Menschen von neuen Direktverbindungen, kürzeren Reisezeiten und besseren Anbindungen an den Fernverkehr – die größte Angebotsverbesserung in der Unternehmensgeschichte. Verbunden ist sie mit – noch ein Superlativ – der am weitesten reichenden Fahrplanumstellung der vergangenen Jahrzehnte. Sie gilt für ein Drittel aller Fernzüge.

Mit der Inbetriebnahme des Streckenabschnitts entsteht in Erfurt ein neues Drehkreuz im mitteldeutschen Bahnverkehr. In der Landeshauptstadt halten täglich 80 ICE, die stündlich in alle vier Himmelsrichtungen weiterfahren und mit dem Schienenpersonennahverkehr eng verknüpft sind. Seit Dezember fahren mehr Nahverkehrszüge zwischen Erfurt, Weimar und Jena. Aber nicht nur in Thüringen soll der Nahverkehr an Attraktivität gewinnen. Auch in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Bayern sind viele Linien auf die neuen Fernverkehrsverbindungen abgestimmt worden. Dafür wurden der Eisenbahnknoten der thüringischen Landeshauptstadt und die Knoten in Halle und Leipzig ausgebaut.

Der Erfurter Hauptbahnhof ist ein wichtiges Drehkreuz im mitteldeutschen Schienenverkehr geworden.

Mit dieser Eisenbahnstrecke der Superlative rückt Deutschland näher zusammen.

Richard Lutz,
Vorstandsvorsitzender
Deutsche Bahn AG
An der offiziellen ­Eröffnung nahm auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teil.

Quelle: Deutsche Bahn AG

Auch der Güterverkehr soll profitieren

Das Zehn-Milliarden-Euro-Projekt VDE 8 wurde 1991 nach der Wiedervereinigung von der Bundesregierung beschlossen, um Ost und West sowie Nord und Süd auf der Schiene besser zu verbinden. Das sollte den Personen- und den Güterverkehr nachhaltig verbessern. Der jetzt vollzogene Lückenschluss im deutschen Hochgeschwindigkeitsnetz ist gleichzeitig für das Transeuropäische Schnellbahnnetz (TEN) zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer von Bedeutung (siehe Infografik). Die Neigung der Streckenabschnitte beträgt maximal 12,5 Promille – eine für den Güterverkehr geeignete Trassierung. Die Strecke ist mit dem Zugbeeinflussungssystem European Train Control System (ETCS) ausgerüstet und damit auf die Zukunft des europäischen Güterverkehrs vorbereitet. Alle 20 Kilometer kann ein schnellerer Zug in einem Überholbahnhof an einem langsameren vorbeiziehen. Bis Anfang Dezember lagen aus dem Schienengüterverkehr zwar noch keine Trassenanmeldungen für die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald vor. Die DB geht jedoch davon aus, dass der Markt die Strecke in den kommenden Jahren immer stärker annehmen wird. Zwar seien auch von DB Cargo derzeit noch keine Güterzüge auf der Neubaustrecke geplant. Das könne sich jedoch je nach Kundenanfrage ändern.

Im Personenverkehr sind die Züge bereits seit 2006 zwischen Berlin und Halle/Leipzig mit 200 Stundenkilometern unterwegs. Ende 2015 folgte die Eröffnung der Neubaustrecke zwischen Halle/Leipzig und Erfurt, auf der ebenfalls mit bis zu 300 km/h gefahren werden kann. Die Inbetriebnahme des VDE 8 steht für die DB in engem Zusammenhang mit dem Qualitätsprogramm „Zukunft Bahn“, das das Reisen komfortabler und verlässlicher machen soll.

Auf der 500 Kilometer langen Neu- und Ausbaustrecke des VDE 8 überqueren die Züge auch die mit 8,6 Kilometern längste Eisenbahnbrücke Deutschlands – die Elster-Saale-Talbrücke (siehe Titelbild). Sie ist eine von 37 Talbrücken. Hinzu kommen 27 Tunnelbauwerke. Neu gebaut wurden 230 Kilometer Strecke.

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