Frischer Wind auf den Schienen der Güterbahn

Gemeinsam stark sein – für besseren und für mehr Güterverkehr auf der Schiene und damit für mehr Klimaschutz: Das hat sich das „Netzwerk Zukunft Einzelwagenverkehr“ auf die Fahnen geschrieben. Nach der Gründung im vergangenen Frühjahr ist das vom VDV initiierte Bündnis rasch zu einer breiten Bewegung herangewachsen. Zwölf Güterbahnen hatten sich seinerzeit zusammengeschlossen. Jetzt gehören schon 29 dazu, unterstützt von mehreren Verkehrsverbänden.


Christian Betchen zählt zu den Pionieren. Mit Bier und Limonade, die nicht typisch zum Transportgut auf der Schiene gehören. Der Geschäftsführer der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein (KSW) kam mit dem bundesweit agierenden Getränkelogistiker Trinks, einem Gemeinschaftsunternehmen der Brauereien Bitburger, Krombacher und Warsteiner, ins Geschäft. Er organisierte den wöchentlichen Nachschub aus der Krombacher Brauerei für den Lebensmittelhandel und die Gastronomie in Berlin – CO2-sparsam per Schiene mit dem Einzelwagen-System von DB Cargo als Rückgrat.

In seinem Umlauf holt der Tragwagen mit zwei Wechselbrücken Leergut aus der Hauptstadt und nimmt frische Getränke mit zurück.

Der Weg der Flaschen zwischen Kreuztal bei Siegen, der Krombacher-Brau- und Abfüllstätte, und Berlin ist ein Rundlauf. Immer Donnerstagabend kommt im Kreuztaler Umschlagterminal ein Container-Tragwagen mit zwei Wechselbrücken aus der Hauptstadt an. Der Inhalt: Leergut. Die Transportbehälter werden per Lkw zur vier Kilometer entfernten Brauerei gebracht. Am Freitagmorgen wird die Ladung von leeren Flaschen durch „Vollgut“ ersetzt, dicht und rutschfest gepackt auf Europaletten. Auf der Straße geht es wieder ins Terminal zur Verladung auf die Schiene. Eine Lok der KSW übernimmt für die nächste Kurzstrecke zum Güterbahnhof Kreuztal.

Im Schienengüterverkehr weht ein frischer Wind. Es ist der Zeitgeist der Kooperation.

Christian Betchen, Geschäftsführer der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein (KSW)

Einzelwagen bringt Bier nach Berlin

Dort wird der Bier- und Limo-Transport dann in einen Güterzug einrangiert. Im System der Einzelwagen-Verbindungen von DB Cargo wechselt der Waggon mehrfach in großen Rangierbahnhöfen den Zug. Er erreicht das Hauptstadt-Logistikzentrum Großbeeren im Süden Berlins erst am Montag. Dort werden die Wechselbrücken über die Straße an den Logistiker Trinks überstellt. Die Paletten mit Getränkenachschub werden gegen Leergut ausgetauscht, die Rückfahrt ins Siegerland kann starten. Der gesamte Rundlauf dauert eine Woche. Aus der ICE-Perspektive viel Zeit für 600 Kilometer, doch aus der Sicht der Logistiker „passt“ es, nicht zuletzt auch durch die Einbeziehung des Wochenendes, wenn der Lkw auf der Straße pausieren muss.
„Im Schienengüterverkehr weht ein frischer Wind. Es ist der Zeitgeist der Kooperation“, freut sich der Siegener KSW-Manager Christian Betchen. Kollegialität, Vertrauen, Offenheit, Markt- und Kundennähe: Das sei die neue Welt des Schienengüterverkehrs. Lange Zeit war das Geschäft bestimmt von Misstrauen und Abgrenzung zwischen der „großen Bahn“ DB Cargo auf der einen Seite und den vielen kleinen und kleinsten Güterbahnen, von denen etliche nur regional operieren, andere schon seit mehr als 100 Jahren mit der Staatsbahn zusammenarbeiten. Es war auch die Zeit, als „Rosinenpicker“ ins Geschäft kamen und sich auf das lukrative Ganzzug-Business und den Kombinierten Verkehr stürzten. In den Bahnunternehmen und in der Politik gab es nicht wenige Stimmen, die die Zukunft des Schienengüterverkehrs ausschließlich in diesem Segment sahen – auch wenn Kenner der Märkte nicht müde wurden, die Bedeutung des Einzelwagenverkehrs immer wieder zu propagieren.

Vom slowakischen Košice nach Deutschland: DB Cargo und die Bentheimer Eisenbahn versorgen zahlreiche Endkunden der Regionen Grafschaft Bentheim, Emsland und Osnabrück mit Stahl von U.S. Steel.

Das Netzwerk kommt zur rechten Zeit, und das große Interesse der Unternehmen daran zeigt, dass wir mit dem Kooperationsgedanken den richtigen Impuls in die Branche gegeben haben.

Joachim Berends,
VDV-Vizepräsident und Vorstand der Bentheimer Eisenbahn

Erst die Klimaschutzpolitik mit dem Ziel der Mobilitätswende führte in der Branche zum Umdenken auf breiter Front. „Der Einzelwagenverkehr ist unverändert ein wichtiges Rückgrat des Schienengüterverkehrs. Ohne ihn wird der angestrebte Marktanteil der Schiene von 25 Prozent bis 2030 wohl kaum gelingen“, sagt Georg Lennarz, beim VDV Fachbereichsleiter Marktfragen Güterverkehr und einer der „Väter“ des Netzwerkes. Dr. Sigrid Nikutta, Güterverkehrschefin der Deutschen Bahn, wirbt seit Langem für den Geschäftszweig: Fast ein Fünftel des Schienengüterverkehrs macht das hierzulande fast nur noch von der DB betriebene, aufwendige Transportgeschäft mit einzelnen Güterwagen oder Wagengruppen aus. Täglich seien tausende Züge unterwegs. „Viele Industriekunden, aber auch mittelständische Unternehmen in der Fläche sowie neue Kunden mit Konsum- oder Agrargütern können von klimafreundlicher Bahnlogistik profitieren.“

„Es ist Zeit für eine Neuausrichtung“

Während der Kombinierte Verkehr mit Containern, Wechselbrücken und Sattelaufliegern, die sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße befördert werden, sich seit Jahren im Aufwind befindet, stagniert der Einzelwagenverkehr. „Höherwertige Industrie- und Handelsgüter werden überwiegend auf der Straße transportiert. Es ist Zeit für eine Neuausrichtung“, erläutert Georg Lennarz. Eine Trendwende könnten die Güterbahnen nur in gemeinsamer Anstrengung erreichen: im Zusammenspiel von DB Cargo und den vielen kleinen Eisenbahnunternehmen. Starkes Marketing in Märkten, die die Eisenbahn kaum mehr wahrnehmen, wettbewerbsfähige Gesamtangebote aus der Perspektive der verladenden Wirtschaft, deren Sendungsgrößen immer kleiner und zugleich wertvoller werden – das ist die Richtung. „Auf der Basis gegenseitigen Vertrauens“, so KSW-Geschäftsführer Christian Betchen, müssen die Bahnen sich als Partner verstehen, die ihre komplexen Produktionssysteme zu attraktiven Dienstleistungen verknüpfen. Und das mit hoher Transparenz: Der Kunde müsse nicht nur seine Sendung per IT verfolgen, sondern auch stets erkennen können, welches Unternehmen auf der Schiene für ihn aktiv wird.

Die Regionalverkehr Ruhr-Lippe (RLG), eine Schwester der Westfälischen Landes-­Eisenbahn, stellt DB Cargo Rangierkapazitäten zur Verfügung.

Vielfalt ist gefragt und gewünscht. Das zeigen zwei weitere Beispiele des Netzwerkes. Im Nordwesten der Republik – in der Grafschaft Bentheim, dem Emsland und dem Raum Osnabrück – übernimmt die Bentheimer Eisenbahn als Federführer gemeinsam mit DB Cargo die Belieferung der regionalen Stahlindustrie. Im Railport in Nordhorn am Standort der Bahn werden die Kunden in der Region „just in time“ aus einem Umschlaglager der Eisenbahnen bedient. „Das Netzwerk kommt zur rechten Zeit, und das große Interesse der Unternehmen daran zeigt, dass wir mit dem Kooperationsgedanken den richtigen Impuls in die Branche gegeben haben“, freut sich Joachim Berends, Chef der Bentheimer Eisenbahn und Vizepräsident des VDV. Gemeinsamkeiten auch innerbetrieblich: So organisieren Netzwerk-Akteure eine Rangierkooperation am Rande des Sauerlandes. Das Bahnunternehmen Regionalverkehr Ruhr-Lippe GmbH (RLG) und DB Cargo betreiben zwischen dem Stahlstandort Hagen und einem Lager in Arnsberg gemeinsam ihre Rangierlokomotiven, um die knappen Fahrzeugkapazitäten besser zu nutzen.

Zu den Unterstützern der Einzelwagen-Initiative zählen neben dem VDV auch das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), der Schweizer Verband VAP Cargorail und der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Letzterer hat sich bereits im vergangenen Jahr mit einem detaillierten Papier für das Segment des Einzelwagens stark gemacht. Tilman Benzing, im VCI Referent für Verkehr und Logistik: „Mehr Kooperation der Bahnen ist schon eine sehr positive Entwicklung im Hinblick auf Verkehrsverlagerungen von der Straße auf die Schiene.“ Doch er macht deutlich, dass der kooperative Zeitgeist noch nicht überall angekommen ist und dass es weiteres Potenzial zum Ausbau des Netzwerks gibt. „Im Netzwerk fehlen noch die relevanten Wettbewerber von DB Cargo, die als Konkurrenten selbst Verkehre auf der Langstrecke fahren.“ Potenziale für mehr Bahnverkehr biete die gemeinhin als schienenaffin geltende Chemiebranche den Bahnen auch im Einzelwagen-Segment, wenn Zuverlässigkeit und Qualität stimmen, betont Tilman Benzing: Zurzeit würden 37 Prozent der Transporte auf der Straße und 16 Prozent auf der Schiene abgewickelt, die übrigen Volumina per Schiff und Pipeline.

Mehr Infos

finden Sie unter:

www.vdv.de/einzelwagenverkehr-best-practice

Drei
Fragen an

„Den Marktanforderungen genügen, stets Qualitäts- und Angebotsverbesserung im Blick“: Das sind für VDV-Fachbereichsleiter Georg Lennarz (Foto) die Ziele für die Zukunft des Einzelwagenverkehrs.

Herr Lennarz, wie kann das Potenzial, das im Einzelwagenverkehr steckt, weiter gehoben werden?
» Georg Lennarz: Die Produktionssysteme des Schienengüterverkehrs müssen effizient miteinander verknüpft werden. Der Getränketransport aus dem Siegerland nach Berlin ist ein gutes Beispiel: Der Transport von Wechselbrücken auf einem Tragwagen mit dem Umschlag im Containerterminal ist eigentlich Kombinierter Verkehr, die Beförderung im Einzelwagen-Zugsystem aber nicht. Erst der Mix der Produktionsmethoden ergibt das erfolgreiche Produkt – ideal für kleine Transportmengen in der Fläche, die als Direktladung schnell an den Lkw mit seiner durchgehenden Fahrt vom Versender zum Empfänger verloren gehen könnten.

Was muss darüber hinaus passieren?
» Es gilt, die Auslastung der Systeme über hochwertige Logistik nach oben zu treiben. Denn nur mit einem gut ausgelasteten Netzwerk lässt sich Geld verdienen. Idealer Sammelpunkt für Ladung sind die rund 600 Railports im Land – multimodale Umschlaganlagen mit Gleisanschluss. Zudem muss die nächste Generation der Güterwagen modular aufgebaut sein. Die Transportgefäße müssen für die Anforderungen der Wirtschaft hoch spezialisiert sein und auf standardisierten Tragwagen befördert werden – etwa wie jetzt schon die Container.

Welche Rolle wird die Digitalisierung im Schienengüterverkehr spielen?
» Wir hoffen auf die schnelle Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) und auf Innovationen wie die automatische Bremsprüfung in Rangierbahnhöfen. Damit werden das Rangieren und die Zugbildung mit Einzelwagen bei spürbar sinkenden Kosten deutlich beschleunigt.

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