Infrastruktur
11.09.2023

Weichenstellungen
nach der großen Flut

Die Spuren der Verwüstung sind weithin beseitigt, der vollständige Neustart dauert aber noch: In der Eifel und an der Ahr wird mit Hochdruck und vielfach rund um die Uhr am Wiederaufbau der vor gut zwei Jahren durch die Jahrhundertfluten zerstörten Bahnstrecken gearbeitet – Modernisierung, Infrastrukturausbau und in einem zweiten Schritt die komplette Elektrifizierung inklusive.

Wir mussten feststellen, dass auch die Stabilität des Untergrunds für unseren Oberbau punktuell nicht mehr gegeben ist.

Stefan Gleißner
bei DB Netz Koordinator des Wiederaufbaus der Strecken in Rheinland-Pfalz


Wo im Sommer 2021 Wasser, Schlamm und Geröll das Bild bestimmten, kehrte am 12. Juni des vergangenen Jahres wieder ein großes Stück Normalität zurück: Den ansehnlich-modernen Bahnhof des Eifelstädtchens Kall verlassen seitdem wieder Regionalbahn und Regionalexpress nordwärts nach Euskirchen und Köln. Doch in Richtung Süden ist auf der Eifelbahn hier Endstation. Im engen Tal hinauf ins knapp zehn Kilometer entfernte Nettersheim hatte sich das in der Flutnacht zum reißenden Strom angeschwollene Flüsschen Urft mit besonders verheerender Gewalt über die eingleisige Bahnstrecke hergemacht. Brücken, Bahndämme und -übergänge, Gleise und Signaltechnik wurden zerstört und mitgerissen.

„Bis hier wieder Züge fahren, sind zunächst noch jede Menge Arbeiten erforderlich. Zwischen Kall und Nettersheim sollen diese im zweiten Quartal nächsten Jahres abgeschlossen sein“, sagt Stefan Gleißner, Koordinator des Wiederaufbaus bei der Bahntochter DB Netz AG für die Strecken in Rheinland-Pfalz. Später als ursprünglich gehofft: „Nachdem wir die Überreste von Schienen, Schotter und Schwellen zurückgebaut hatten, mussten wir feststellen, dass das Hochwasser nicht nur Bahndämme und Böschungen weggespült hatte, sondern auch die Stabilität des Untergrunds für unseren Oberbau punktuell nicht mehr gegeben ist.“ So musste die Trasse tief ausgebaggert und mit einem zementartigen Gemisch verdichtet werden. An anderer Stelle ist der Einbau von Stützwänden notwendig, um gegen künftige Hochwasser gesichert zu sein. Stefan Gleißner: „Das alles sind zusätzliche Maßnahmen, die jetzt ihre Zeit brauchen.“

Ansicht Karte Eifelstrecke
Bis Anfang August fuhr die Regionalbahn über die alte Kyllbrücke bei St. Thomas, provisorisch ausgebessert mit einem Betonpfeiler. Parallel wartete die neue Brücke auf ihren Anschluss ans Netz.

Doch am südlichen Ortsende von Kall auf einem Lagerplatz von der Größe mehrerer Fußballfelder ist der Gleisbau schon vorbereitet. Eine Hügellandschaft von haushohen Schotterbergen wartet auf ihren Einsatz. Das Material war bei der Entfernung des überschwemmten, verschmutzten Oberbaus gesichert und mit einer Spezialmaschine für die neuerliche Verwendung recycelt worden. „Das sind rund 30.000 Tonnen, die wir im Sinne der Nachhaltigkeit gewonnen haben und die wir nun nicht in teuren Transporten herbeischaffen müssen.“ Nicht nur der Schotter ist fertig: Hunderte nagelneue Betonschwellen liegen hochgestapelt bereit.

Neue Brücken ohne Mittelpfeiler

Etliche Kilometer weiter südlich ist der Bahnbetrieb auf der 160 Kilometer langen Eifelbahn Trier – Köln von der Mosel durch das Tal der Kyll bis hinauf nach Gerolstein bereits im vergangenen Jahr etappenweise wieder aufgenommen worden. In diesem August gab es noch einmal eine Unterbrechung für ein paar Wochen, um ein Provisorium zu beseitigen: Nahe dem Ort St. Thomas im Bitburger Land hatte die Flut den Mittelpfeiler einer Kyll-Brücke weggerissen. Stefan Gleißner erzählt: „Um die Strecke so schnell wie möglich freizugeben, haben wir im vorigen Jahr einen Betonpfeiler an die Stelle gesetzt.“ Aber nur vorübergehend: „Es stand schon fest, dass hier eine neue Brücke hinkommen muss, die den Fluss in voller Breite überspannt.“ Beim Hochwasser hatte sich hier und an anderen Brücken das Treibgut an den Mittelpfeilern gestaut, was letztlich zu schweren Schäden oder gar zum Einsturz der Bauwerke führte. Die neue knapp 50 Meter lange, stählerne Gitterkonstruktion mit einer den Fluss vollständig überspannenden Stützweite wurde unmittelbar parallel zur alten Brücke aufgebaut und ist fertiggestellt. Zuletzt wurden noch Bahndamm und Gleis beiderseits der Ufer leicht verschwenkt auf das neue Bauwerk zugeführt; die alte Brücke mit dem neuen Mittelpfeiler wird demnächst abgerissen.

Acht Brücken über die Ahr sind so beschädigt worden, dass wir sie vollständig abreißen müssen, bevor der Neubau beginnen kann.

Christian Sauer
Leiter Wiederaufbau Ahrtalbahn bei DB Netz

Bei der Ahrtalbahn steht der Brückenbau noch ganz am Anfang. „Acht Brücken über die Ahr sind von der Flut so beschädigt worden, dass wir sie vollständig abreißen müssen, bevor der Neubau beginnen kann“, beschreibt Christian Sauer, bei der DB Netz AG Leiter Wiederaufbau Ahrtalbahn. Von den alten Backsteinbauten stehen vielfach nur noch brüchige Fragmente, die mühselig mit Baggern und Bohrern abgerissen werden. Es sind bizarre Ruinen im Niemandsland verwüsteter, sich wuchernd begrünender Flussufer, die häufig überhaupt nicht erkennen lassen, wie die Trasse der Ahrtalbahn beiderseits der Brücken verlief. Ungeachtet dessen wird die Strecke dort wieder aufgebaut, wo sie war. „Es ist daher kein klassischer Neubau, sondern eine Wiederherstellung“, erklärt Stefan Gleißner. „Das hat den Vorteil, dass wir kein Baurechtverfahren brauchen und deshalb keine aufwändigen Planungen erforderlich sind. Außerdem sind wir mit den Kommunen und zuständigen Behörden von Anfang an im engen Austausch. Das beschleunigt den Wiederaufbau entscheidend.“

Statt Zugverkehr ein Lagerplatz (l.): der stark verwüstete Bahnhof Kreuzberg an der Ahrstrecke.
Abbau vor dem Neubau (r.): Acht schwerstbeschädigte Bahnbrücken über die Ahr müssen beseitigt werden.
Ansicht Karte Ahrtal-Strecke

Für die Baumaßnahmen zur Beseitigung der Flutschäden hat der Bund Ausnahmeregelungen geschaffen, um mehr Tempo zu ermöglichen. Rechtlicher Standard ist es, erst die Planung eines Projekts europaweit auszuschreiben und an ein Ingenieurbüro zu vergeben. Dieses erstellt dann in mehrmonatiger Arbeit die exakten planerischen Grundlagen für das Vorhaben – als Basis für die Ausschreibung der eigentlichen Baumaßnahmen. Für die Bahnbaustellen in der Eifel und an der Ahr dürfen nun Planung und Bauleistung in einem Zug ausgeschrieben werden. „Das bringt uns einen Zeitgewinn bis zur Bauvergabe von sechs bis acht Monaten im Vergleich zur normalen Prozedur“, erläutert Gleißner.

Rückbau vor Wiederaufbau

Bereits Ende 2021 wurden 14 Bahnkilometer an der unteren Ahr von Remagen kommend bis Walporzheim, dem westlichen Ende der Doppelstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, in Betrieb genommen. Weitere 14 Kilometer warten noch. Sie sind katastrophal zerstört. „Wir mussten erst den Rückbau in Angriff nehmen. Schienen, Oberbau und demolierte Leit- und Sicherungstechnik beseitigen, doch inzwischen hat der Wiederaufbau begonnen“, berichtet Christian Sauer. Zum Bahnhof Kreuzberg, kurz vor der Endstation Ahrbrück, gehörte ehemals ein Bahnbetriebswerk mitten im Geflecht mehrerer seit Langem stillgelegter Bahnlinien in der Eifel. Deshalb bietet sich hier ausreichend Fläche, um auf der ehemaligen Abstellanlage für Züge die Überreste zwischenzulagern. Über mehrere hundert Meter türmen sich entlang einer verschütteten Bahnsteigkante Gleisschotterberge auf, Schienenstücke sind aufgestapelt. Erst auf dem zweiten Blick erklärt sich ein massiver Block mit rostenden Eisenteilen. Es sind verbogene Stahlschwellen, für den Schrotthändler zusammengepackt wie zu einer düsteren Skulptur. Im Empfangsgebäude ist der Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters leergeräumt. Die Spuren des Wassers sind unübersehbar; an den heil gebliebenen Fensterscheiben ist mit einem deutlichen Streifen abzulesen, dass die Flut fast mannshoch hier ankam.

Mit der S-Bahn aus
der Eifel nach Köln

Mit der Elektrifizierung der Eifelstrecken, die voraussichtlich bis Ende 2026 abgeschlossen sein soll, ist eine deutliche Erweiterung des Kölner S-Bahn-Netzes in der Planung. Kall wird zum südwestlichen Endpunkt einer neuen S 15 in die Domstadt und möglicherweise rechtsrheinisch weiter ins Bergische Land bis nach Marienheide. Allerdings kann diese Linie mit einem Viertelstundentakt erst in einer zweiten Betriebsstufe kommen, wenn in Köln die geplante und finanziell verabschiedete „Westspange” zwischen Köln-Hansaring und Hürth-Kalscheuren, dem Abzweig der Eifelbahn, gebaut ist. Diese sieht den sechsgleisigen Ausbau der stark befahrenen Hauptstrecke Richtung Bonn und Trier rund um die Innenstadt vor.
Für Eifelerinnen und Eifeler soll es vorher ein abgestimmtes Netz von schnelleren Regionalexpress-Zügen und häufiger haltenden Regionalbahnen geben. Schon nach 2027 ist eine S 23 beabsichtigt, die zwischen Bonn und Kall über Euskirchen hinaus neue Verbindungen schafft und einmal pro Stunde bis Gerolstein durchfährt. Mehr Züge sind auch zwischen Köln und Bonn nach Bad Münstereifel vorgesehen. Voraussetzungen sind allerdings auch hier Strecken- und Bahnhofsausbauten, die derzeit noch nicht realisiert werden.

Künftig elektronisch und elektrisch

Mit dem Wiederaufbau der Bahnstrecken in der Eifel wird allenthalben aktuelle Leit- und Sicherungstechnik nicht nur für den Betrieb, sondern auch die vielen Bahnübergänge installiert. Neben der Ahrtalbahn und der Eifelbahn betraf dies auch die ebenfalls von der Flutkatastrophe betroffenen beiden weiteren Bahnlinien der Region: die Erfttalbahn Euskirchen – Bad Münstereifel sowie die Voreifelbahn Bonn – Euskirchen. Im Ahrtal haben zudem die Arbeiten für ein elektronisches Stellwerk begonnen, das von Ahrweiler aus den gesamten Verkehr steuern wird. Hinzu kommt die Elektrifizierung der bisherigen Dieselstrecke. Bereits während des Wiederaufbaus werden zunächst im Abschnitt bis Walporzheim noch in diesem Jahr die ersten Masten aufgestellt und die Oberleitungen gespannt. Die entsprechenden Aufträge sind bereits vergeben. Zum Abschluss der Streckenerneuerung hinauf nach Ahrbrück soll der elektrische Betrieb starten.

Lagebesprechung: Stefan Gleißner (Foto links, l.) und Christian Sauer prüfen den Baufortschritt. Am Haltepunkt Urft (r.) an der Eifelstrecke dient die Schiene zunächst als Baustraße.

Auch die Eifelbahn, die Erfttalbahn und die Voreifelbahn fahren künftig unter Strom. Die Verträge sind bereits unterschrieben. Realisiert werden sollen auch diese Projekte rasch nach dem Wiederaufbau direkt in den nächsten Jahren. Kostentreiber sind die alten Bahntunnel, die für die Oberleitungen erweitert werden müssen. Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz übernehmen gemeinsam mit dem Bund den Großteil der Finanzierung aus den Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG). Es geht um Investitionen, die laut offizieller Darstellungen addiert eine Größenordnung von nicht ganz 900 Millionen Euro erreichen. Die Gesamtkosten des Wiederaufbaus nach der Flutkatastrophe ohne diese Investition beziffert die DB mit 1,3 Milliarden Euro, von denen der überwiegende Teil in der Eifel fällig werden dürfte.

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