Im Gespräch

„Der Schiene eine Chance geben“

Zweite Auflage des „Verkehrspolitischen Gesprächs“ in „VDV Das Magazin“: Wenige Monate vor der Bundestagswahl erläutert der Vorsitzende des Bundestagsverkehrs­ausschusses Martin Burkert (SPD) seine Sicht auf die Situation von Schienengüter- und Öffentlichem Personenverkehr in Deutschland. Im VDV-Hauptstadtbüro sprach der Verkehrspolitiker mit VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.


» Ob im Fern- oder Nahverkehr – über die Liberalisierung wird diskutiert: Wie viel kann sich der Verkehrsmarkt davon leisten, wenn gleichzeitig gewisse Ziele und Sozialstandards eingehalten werden müssen?

Martin Burkert: Entscheidend ist, dass Liberalisierung nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden darf. Wenn aber durch die Liberalisierung am Ende mehr Güter auf die Schiene kommen, dann ist das der richtige Weg. Doch aktuell erleben wir eine Stagnation beim Schienengüterverkehr, während wir beim Lkw Steigerungsraten von 38 Prozent haben. Von daher sage ich: Liberalisierung nicht zum Selbstzweck, sondern zum Erreichen der Ziele. Was den Fernbus angeht: Da haben wir zwar hart um Lohn- und Sozialstandards gerungen, doch haben wir diese damals nicht festschreiben können. Die Regierung hatte sich seinerzeit nicht überzeugen lassen, eine Fernbusmaut einzuführen, die wir dringend bräuchten und auch brauchen, um zum Beispiel Busbahnhöfe und alles, was dazu gehört, zu finanzieren.

Zur Person: 

Martin Burkert

Seit 2005 sitzt Martin Burkert (52) für seinen Wahlkreis Nürnberg Süd und Schwabach im Deutschen Bundestag. Seit 2010 ist er Vorsitzender der bayerischen Landesgruppe seiner Fraktion, seit 2014 zudem der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur. Seine Ausbildung absolvierte Martin Burkert bei der Deutschen Bundesbahn. Danach arbeitete er als hauptberuflicher Gewerkschaftssekretär bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG (ehemals Transnet).

Dem Verkehrsträger Schiene muss wieder Priorität eingeräumt werden. Darin waren sich Martin Burkert (l.) und Oliver Wolff einig.

Alle Fotos: bildschön/Markus Theisen

» Bleiben wir beim Schienengüterverkehr. Sie haben selbst den „Schienenpakt 2030“ der SPD mit verabschiedet, in dem der SGV für den Klimaschutz eine wichtige Rolle einnimmt. Sie sagen dort, dass die Kapazitäten im Schienennetz bis 2030 verdoppelt werden sollen. Wie ist das zu erreichen?

Burkert: Es bedarf einer vollkommenen Strategieänderung. Wir brauchen einen Masterplan, und man muss mit der Verlagerung von Gütern auf die Schiene ernst machen. Doch davon sind wir weit entfernt. Deswegen brauchen wir Sofortmaßnahmen, beispielsweise über die Trassenpreisabsenkung. Das würde allen helfen. Allen, nicht nur dem Schienengüterverkehr. Aber vor allem dort ist es unerlässlich, weil wir die Rahmenbedingungen immer mit Belastungen verbunden haben. Ich verstehe bis heute nicht, warum wir das einzige Land in Europa sind, in dem die Schienenverkehrsunternehmen im Personenfernverkehr den vollen Mehrwertsteuersatz bezahlen müssen. Das ist nicht nachvollziehbar.

Ich bin zuversichtlich, dass wir noch in dieser Koalition eine Entlastung für den Nahverkehr und die Schiene erreichen können.

Martin Burkert

» Mit Trassenpreisen und Mehrwertsteuer sind wir bereits bei den Kosten. Auf der anderen Seite möchte die Politik die Kapazitäten erweitern und verlagern. Herr Wolff, wie passt das zusammen? Braucht es nicht fairere Wettbewerbsbedingungen?

Oliver Wolff: Das schon, aber das reicht nicht. Die Republik steht mit Blick auf Klimaschutz und Verkehrswende vor unglaublichen Herausforderungen, für die wir im Moment noch keinen Plan haben. Den bräuchten wir aber, und zwar über alle Verkehrsträger hinweg. Wir haben ja erstens das Thema Energiewende, was in sich nicht schlüssig ist. Allein die Tatsache, dass derjenige, der elektromobil und damit umweltfreundlich unterwegs ist, die EEG-Umlage zahlt, ist absurd. Zweitens wollen wir den Klimaschutz stärken. Ein Land wie Deutschland müsste hier Vorreiter sein, gerade im Verkehrssektor. Doch genau den Sektor bekommen wir nicht in den Griff bei den CO2-Emissionen. Was ich mir in diesem Zusammenhang wirklich wünsche, ist, dass die Ressorts der neuen Bundesregierung von Tag eins an genau auf diese Überlegung zusteuern: Wie gehen wir mit diesen Herausforderungen um? Mit so viel Marktwirtschaft wie möglich, mit vernünftigen Rahmenbedingungen für die Beschäftigten – und dann natürlich mit Ergebnissen, die diesen neuen Bedingungen Rechnung tragen. Der Öffentliche Verkehr hat mehr Aufgaben, als marktwirtschaftlich orientiert tätig zu sein. Wir können keine Vollkosten beim Eisenbahnverkehr ansetzen, wenn gleichzeitig der Fernbus keinen Euro für die Nutzung der Infrastrukturen zahlt, der Lkw bevorzugt wird und bei anderen Verkehrsträgern generell viel, viel geringere Standards gelten.

» Herr Burkert, Sie sprachen eben das Thema Sofortmaßnahmen bei der Eisenbahn an – etwa bei den Trassenpreisen. Was schwebt Ihnen außerdem vor?

Burkert: Wir sind da in einem Bereich der längerfristigen Maßnahmen wie dem einer Stromsteuer – oder überhaupt bei Steuern und Abgaben. Und wir müssen über die Ausgestaltung der nächsten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung reden und dem Verkehrsträger Schiene wieder eine echte Priorität einräumen. Das geht damit los, dass das Bundesverkehrsministerium heute keine eigene Eisenbahnabteilung mehr hat. Das muss sich ändern. Man braucht im Ministerium wieder Leute, die etwas von der Eisenbahn verstehen. Ich habe nichts dagegen, dass man Elektromobilität beim Auto fördert. Aber es darf nicht sein, dass für die Schiene dahingehend nichts gemacht wird. Und beim Thema Verlagerung haben wir so viele Projekte: Ich will da gar nicht bewerten, welches Modell das Beste ist. Aber man sollte sich jetzt mal fokussieren und sagen: „Das hier machen wir jetzt, damit kommen mehr Güter auf die Schiene.“ Stattdessen wird überall herumgedoktert, aber nichts zusammengeführt.

Wir können keine Vollkosten bei der Eisenbahn ansetzen, wenn andere Verkehrsträger bevorzugt werden.

Oliver Wolff

» Ein weiteres Thema der Branche ist der Fachkräftemangel. Was müssen die Unternehmen tun, um attraktiver zu werden – und wie kann die Politik hier unterstützen?

Burkert: Also ich bin sehr froh, dass es der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft in Bayern gelungen ist, eine Fachkräfte- und Ausbildungsoffensive unter der Führung des Landesverkehrsministeriums zu starten. Dort sitzt man mit allen an einem Tisch zusammen, die bei diesem Thema eine Rolle spielen. Es braucht Ausbildung, und dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. 2017 werden wir die Offensive evaluieren. Aber es ist bereits erfolgreich dahingehend, als dass man jungen Menschen den Beruf des Eisenbahners in all seinen Facetten näherbringt.
Wolff: Im Verband entwickeln wir zu diesem Thema eine Arbeitgeberinitiative. Die Branche ist ja, heruntergebrochen, eine Ansammlung von vielen, eher regional tätigen Unternehmen – darunter zahlreiche kleine, die man markentechnisch nicht direkt verorten kann. Deswegen versuchen wir diesen schwierigen Antritt zu sagen: „Wir sind die ÖV-Branche, und diese sucht bundesweit Personal und bildet aus.“ Zweitens haben wir die VDV-Akademie, mit der wir viel für die Weiterbildung und Qualifizierung der Kolleginnen und Kollegen aus der Branche bieten. Da passiert beim Thema E-Learning, also bei der Digitalisierung der Lerninhalte, gerade einiges, um den Aufwand für die Teilnehmer zu optimieren.

» Apropos digital: Die SPD fordert ein verkehrs­trägerübergreifendes E-Ticket. Verkehrsminister Dobrindt hat zu Jahresbeginn dazu einen Vorstoß gemacht. Seine Idee müssten Sie eigentlich gut finden, oder?

Burkert: Ich glaube, es ist vor allem wichtig, die vielen verschiedenen Bestrebungen in Sachen Digitalisierung zu bündeln. In der Politik gibt es verschiedene Ausschüsse in verschiedenen Ministerien – das muss man zusammenfassen.

» Bündelung der Digitalisierung: Das ist ja eine Steilvorlage für ein wichtiges Thema der Branche, Herr Wolff.

Wolff: Ja, allerdings. Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass wir aktuell mit etwa 20 VDV-Mitgliedsunternehmen unter der Überschrift „Vernetzungsinitiative“ etwas vorbereiten, das weit über die digitale Roadmap des Bundesverkehrsministeriums hinausgeht. Die ÖPNV-Tarife sind so ausdifferenziert, dass es keinen Einheitstarif mehr geben wird – das ist leider vorbei. Das Ziel ist deshalb, die komplett durchgehende Reisekette als digitales Produkt anzubieten: Egal, wo ich mich einlogge, um ein Ticket zu kaufen, prüft das System, ob ich bei einem anderen Verkehrsunternehmen bereits registriert bin. Der Kauf wird dann über mein „Heimatunternehmen“ abgerechnet – und das Verkehrsunternehmen, für das ich gerade ein Ticket benötige, erhält über ein Clearingverfahren sein Geld. So kann ich mich als Kunde schnell und unkompliziert im gesamten Bus- und Bahnangebot bewegen.
Burkert: Also da wünsche ich viel Erfolg. Wenn ich überlege, dass es heute noch Züge gibt, wo man im Zug Fahrkarten kaufen kann, und in anderen nicht, dann bleibt dort noch viel zu tun.

» Die Schlussfrage, Herr Burkert. Wenn die SPD das Verkehrsministerium nach der Bundestagswahl übernähme: Welche Projekte sollten am dringlichsten umgesetzt werden?

Burkert: Ich glaube, wir müssten die GVFG-Bundesmittel dringend erhöhen. Den Luftverkehr haben wir zum Beispiel kürzlich erst schnell um 300 Millionen Euro entlastet. Deshalb bin ich für die Schiene und den Nahverkehr zuversichtlich, dass wir so etwas sogar noch in dieser Koalition erreichen können, in der gleichen Größenordnung. Zudem bin ich dafür, dass man schaut, wie die Behörden personell ausgestattet sind. Die erwähnte Eisenbahnabteilung im Bundesministerium ist aus meiner Sicht unerlässlich. Und dann muss man der Schiene verkehrspolitisch wirklich mal eine echte Chance geben.


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