Infrastruktur
14.05.2018
Unterwegs im Netz

Projekt „Breisgau-S-Bahn 2020“:
Von Flügelzügen und Eidechsen

S-Bahn – das ist über Deutschland hinaus das Markenzeichen für attraktiven Schienennahverkehr in Ballungsräumen und Millionenstädten. Anders in Deutschlands Südwesten: Dort bringt das Projekt „Breisgau-S-Bahn 2020” die Qualitätsmerkmale Taktverkehr und Vernetzung von Bus und Bahn in ländliche Regionen. Es ist ein Jahrhundertprojekt, das gerade in die Schlussphase geht.


Das Höllental beginnt im Schwarzwald in Himmelreich. Es ist die Station mit diesem Namen, von der aus sich die Höllentalbahn durch enge Schluchten hinaufzwängt nach Hinterzarten und Titisee im Hochschwarzwald. Derzeit allerdings fährt sie nicht: mehrmonatige Betriebseinstellung wegen Bauarbeiten. Der Bahnhof Himmelreich ist eine Großbaustelle, alles andere als idyllisch-himmlisch. Wo sonst Reisende ein- und aussteigen, klaffen vor dem Bahnhofsgebäude im traditionellen Baustil der Schwarzwald-Bauernhöfe metertiefe Löcher. Ein überdachter Bahnsteig steht verwaist im Lehm, der Gleise beraubt. Die Masten der Oberleitungen liegen abseits als Schrott auf einem Lagerplatz. Auf den verbliebenen Schienen aber herrscht emsiger Betrieb. Zwei Bagger sind auf ihnen unterwegs. Der eine beseitigt Erdreich für die geplante Verlängerung eines Bahnsteigs, der andere transportiert Betonteile für neue Bahnsteigkanten.

Im Bahnhof Himmelreich bleibt praktisch kein Stein auf dem anderen. Bahnsteige, Zugänge, Gleise und Oberleitungen werden von Grund auf saniert und modernisiert.
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(Quelle Deutsche Bahn)

Die Momentaufnahme aus dem Bahnhof Himmelreich ist Teil eines Puzzles, das Breisgau-S-Bahn 2020 heißt. Dort, am Eingang des Höllentals, wird der Kreuzungsbahnhof der eingleisigen Strecke so ausgebaut, dass sich hier künftig über 200 Meter lange Triebzüge fahrplanmäßig begegnen können. Hier und anderswo auch. Zum Beispiel in Kirchzarten und in Freiburg-Wiehre. Es sind Vorbereitungen für eine leistungsfähige West-Ost-Achse der Bahn für Kaiserstuhl, Breisgau und Hochschwarzwald, ergänzend zur Nord-Süd-Strecke im Rheintal. Ein weitgehender Halbstunden-Takt zwischen Breisach ganz im Westen und Donaueschingen und Villingen-Schwenningen im Osten mit leistungsstarken Elektrotriebzügen – dies bildet die Basis für ein Gesamtkonzept des Öffentlichen Personennahverkehrs, das die weiteren Bahnlinien im Breisgau, die Busse in der Region und die Tram in der Stadt Freiburg, die „Stadtbahn”, vernetzt. „Wir wollen”, sagt Uwe Schade, einer der Geschäftsführer des Projektträgers Zweckverband Regio-Nahverkehr Freiburg, „alles das, was eine S-Bahn auszeichnet, in die Region bringen.” Und das mit aller Konsequenz: „Letztlich wollen wir den Bürgern ein derart gutes flächendeckendes Angebot mit Bus und Zug bieten, dass sie erst gar nicht auf die Idee kommen, sich ins Auto zu setzen.”

Reichlich Schotter: Der Bahnhof Freiburg-Wiehre wird umgebaut, damit sich hier S-Bahnen im Gegenverkehr ausweichen können.

Alternative zur vollen Straße

Die massenhafte Motorisierung war der erste Ansatz für das Konzept bereits in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, als der Begriff der Verkehrswende noch gar nicht erfunden war. Es zeigte sich damals schon, dass das immer weiter wachsende Verkehrsaufkommen auf den Straßen kaum noch zu bewältigen war und nach Alternativen gesucht werden musste. „Das war eigentlich eine Zeit, in der keiner mehr so richtig an die Zukunft des teuren Schienenverkehrs glaubte, sondern alle auf den Bus setzten. Nicht nur die Kaiserstuhl-Bahnen, sondern auch die Höllentalbahn war zeitweise von der Stilllegung bedroht”, erinnert sich Schade. Doch in den beiden Landkreisen des Breisgaus und in der Stadt Freiburg gab es schon seit den 1970er-Jahren immer wieder gemeinsame Diskussionen über neue Verkehrskonzepte für die Region – unter Einbeziehung der Schienennetze. So entstand die Idee der Breisgau-S-Bahn, zunächst als Dieselnetz ergänzend zur elektrisch betriebenen Höllental- und Rheintalbahn, das neben der Verbindung Freiburg - Breisach den Kaiserstuhl, aber auch das Münstertal und das Elztal bediente. Ein Erfolgsmodell: „An einen elektrischen Betrieb war damals gar nicht zu denken – viel zu teuer. Doch die Fahrgastzuwächse lagen dann zwischen 200 und 400 Prozent. Das war deutlich mehr, als wir je geträumt hatten”, bilanziert Uwe Schade.

„Zug und Bus aus einem Guss”

Bereits Anfang des 21. Jahrhunderts zeigte sich, dass die Angebote trotz der Einführung eines Halbstunden-Takts und weiterer Verdichtungen des Fahrplans an die Kapazitätsgrenzen kamen. In enger Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg als Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs wurde vor zehn Jahren das Konzept 2020 entwickelt –„Zug und Bus aus einem Guss”. Schon bevor die Klimaschutz-Debatte begann, war klar, dass die Breisgau-S-Bahn nur im elektrischen Betrieb die steigenden Anforderungen erfüllen konnte. Derzeit läuft die Elektrifizierung von 130 Streckenkilometern, nicht nur rund um den Kaiserstuhl, sondern auch auf der Quer-Schwarzwald-Verbindung zwischen Neustadt und Donaueschingen. Elektrifizierung ist auch für die Bahnlinie im Elztal geplant; im Münstertal wurde sie bereits vor gut vier Jahren abgeschlossen. Ausgebaut wurde auch die Strecke Müllheim - Neuenburg, die Anschluss über den Rhein nach Mulhouse im Elsass herstellt.

Das Konzept erfordert – wie in Himmelreich – erhebliche Infrastruktur-Investitionen, insgesamt rund 380 Millionen Euro, an denen sich der Bund mit Mitteln der Gemeindeverkehrsfinanzierung (GVFG) und das Land kräftig beteiligen. „Mit dem massiven Ausbau der Schieneninfrastruktur erweitern wir die Reichweite des Nahverkehrs im Raum Freiburg erheblich. Die Menschen in der gesamten Region können sich heute schon auf einen modernen und noch attraktiveren Nahverkehr auf der Schiene freuen”, sagte Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Neben der Elektrifizierung, die auch eine vollständige Erneuerung der 80 Jahre alten Oberleitungen und Masten (Foto) auf der Höllentalbahn umfasst, sind in erheblichem Umfang Gleisbauarbeiten notwendig, um die Streckengeschwindigkeit zu erhöhen, Bahnübergänge zu modernisieren und die Leit- und Sicherungstechnik auf den neuesten Stand zu bringen. Alle Stationen – Bahnhöfe wie Haltepunkte – werden zudem barrierefrei ausgebaut. Derzeit sind umfangreiche Streckensperrungen notwendig, um die Baumaßnahmen zügig durchzuführen. Ein ausgeklügeltes Busangebot als Schienenersatzverkehr mit Express-Verbindungen und lokalen Linien soll Fahrgäste und auch Urlauber bei Laune halten. Schwarzwald-Feriengäste können mit ihrer Konus-Karte den gesamten ÖPNV in der Region nutzen, müssen nun allerdings sehen, wie sie auf der Straße zurechtkommen.

200

Meter

werden die Züge der Breisgau-S-Bahn lang sein, gebildet aus drei Einheiten. Unterwegs werden sie getrennt und fahren zu verschiedenen Zielbahnhöfen.

Dreifach-Züge

Zum Fahrplanwechsel im Dezember nächsten Jahres sollen wesentliche Teile des neuen Angebots in Betrieb sein. Gefahren wird auf der Achse zwischen West und Ost mit drei- und vierteiligen Coradia-Triebzügen von Alstom. Sie sollen je nach Verkehrslage in Dreifach-Traktion unterwegs sein und „geflügelt” werden: So werden am Kaiserstuhl im Bahnhof Gottenheim aus Richtung Breisach und Endingen umsteigefreie Direktverbindungen mit Freiburg geschaffen, und im Hochschwarzwald werden Zugteile in Titisee sowohl nach Neustadt und Villingen als auch auf die Drei-Seen-Bahn zum Schluchsee geschickt. Den Betrieb der West-Ost-Route sicherte sich in der europaweiten Ausschreibung DB Regio, auf anderen Strecken der Breisgau-S-Bahn bleibt weiter die landeseigene SWEG, die Südwestdeutsche Verkehrs-AG, im Geschäft.

Manche Baumaßnahme ist schon abgeschlossen. Im Bahnhof Kirchzarten wird zwar heftig gebaggert und gebaut, doch zwischen den beiden Gleisen ist ein Projekt bereits vollendet. Dort liegt ein flacher Steinhaufen vor einem sandigen Flecken, einer „Sandlinse”. Und daneben ein bisschen Gehölz, ein „Totholzhaufen”. Was auf den ersten Blick wie eine nicht weggeräumte Baustellen-Hinterlassenschaft aussieht, ist tatsächlich Teil der Baumaßnahme: Hier wurde auf Geheiß der Naturschützer Lebensraum für Eidechsen geschaffen, für die an anderer Stelle im Bahnhof kein Platz mehr war.

Mehr Infos


unter:
www.bsb2020.de

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