06.11.2017
Aus dem Verband

Digitalisierung:
Wie arbeiten wir morgen?

Industrie 4.0, Mobilität 4.0: All das steht auch für die Digitalisierung und Vernetzung ganzer Wirtschafts- und Lebensbereiche. Doch was bedeutet der digitale Wandel für die Mitarbeiter der Verkehrsbranche? Und wie lassen diese sich mitnehmen? Der VDV-Personalkongress wollte auf diese Fragen erste Antworten geben – und vor allem einen weitergehenden Strategiediskurs in Sachen Human Ressources (HR) starten.


Arbeit, Kultur, Technik: Die Chancen des digitalen Wandels für die Verkehrsbranche nutzen“ lautete der Titel der diesjährigen Veranstaltung, die von der VDV-Akademie und der Rheinbahn in Düsseldorf ausgerichtet worden war. Damit hatte der Kongress einen weiten Bogen zu schlagen: von der Vision der Mobilität 4.0 und des vernetzten, autonomen ÖPNV „on demand“ bis hin zu den vielfältigen Folgen, die diese Entwicklung für die Mitarbeiter haben wird.

„Der digitale Wandel ist disruptiv“, betonte etwa Prof. Dr. Ewald Wessling, Professor für Neue Kommunikationsformen an der Hochschule Hannover, in seinem Impulsvortrag. Disruptiv – das heißt umbrechend. Neue Geschäftsmodelle ersetzen die alten. Und so wie einst die MP3 den gesamten Musikmarkt umkrempelte, seien es heute die Plattformen, die den Umbruch bedeuten. Doch der digitale Wandel verändere nicht nur die Welt außerhalb, sondern auch innerhalb der Unternehmen. „Die Werte sind heute ganz andere“, so Wessling. Während Ältere etwa auf Qualität, Sicherheit und Datenschutz achteten, gehe es den Jungen um Offenheit, Transparenz und Schnelligkeit. „Sie müssen neue Wege finden, miteinander zu kommunizieren“, appellierte Wessling deshalb an die über 200 Teilnehmer, die vor allem aus den Personalabteilungen der Verkehrsunternehmen stammten.
Dass die Digitalisierung den Markt für den Öffentlichen Verkehr massiv verändert, davon ist auch Dr. Jan Schilling, Geschäftsführer ÖPNV im VDV, überzeugt. Neue Geschäftsmodelle führen wiederum zu neuen Arbeitswelten – und Personal und Führung spielten bei diesem Wandel eine Schlüsselrolle, so Schilling: „Wenn Sie im Unternehmen keine Kultur haben, die den Wandel unterstützt, wird ein anderer gewinnen. Sie brauchen Leute, die diesen Wandel jenseits aller technischen Fragen gestalten.“

Die Mitarbeiter mitzunehmen durch den digitalen Wandel, war deshalb ein zentrales Thema des Personalkongresses – ebenso wie die Frage, wie sich in Zeiten des Fachkräftemangels qualifizierte neue Kollegen finden lassen. Eine besondere Rolle, da waren sich alle Referenten einig, komme hier den Personalern zu. Sie müssen ihre Mitarbeiter einerseits stärker begleiten und ihnen die Ängste vor dem digitalen Wandel nehmen, hieß es. Andererseits sollen sie eine neue Unternehmenskultur vorantreiben, um ihren Betrieb fit für die Arbeit 4.0 und attraktiv für den Nachwuchs zu machen. Starre Hierarchien und die klassische Führung von oben nach unten hätten ausgedient. Der Nachwuchs verlange heute flexible Arbeitsformen, über alle Hierarchiestufen und Bereichsgrenzen hinweg. Führungskräfte hingegen werden zu Beratern und Unterstützern. Damit Personaler diesen Wandel angehen und die Mitarbeiter sowie Führungskräfte gleichermaßen begleiten können, benötigen sie Zeit: „Bei der Rheinbahn rüsten wir deshalb den Personalbereich digital auf“, beschrieb etwa Rheinbahn-Vorstand und Arbeitsdirektor Klaus Klar. Dies solle die nötigen Freiräume schaffen.
Dass man den Wandel annehmen und aktiv angehen sollte, betonte auch Udo-Ernst Haner vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. „Warum Sie das tun sollten? Weil Mitarbeiter heute die Freiheit haben zu entscheiden, wo sie arbeiten wollen“, so der Leiter des Teams „Information Work Innovation“ beim IAO. Stichwort: Fachkräftemangel.

Die Branche steht an einem Punkt, an dem sich große Chancen ergeben, wenn wir die Mitarbeiter mitnehmen und die richtigen Aus- und Fortbildungen schaffen.

Gisbert Schlotzhauer, Bogestra-Vorstand und Vorsitzender des VDV-Personalausschusses

Vor möglichen negativen Folgen warnte indes Dr. Norbert Huchler, Vorstandsmitglied im Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. Arbeit 4.0 bedeute vor allem Selbstorganisation und Selbstmotivation – aber auch das Risiko der Selbstausbeutung. „Die größte Gefahr ist die Zunahme von psychosozialen Belastungen, weil wir noch nicht gelernt haben, mit all dem umzugehen“, sagte er beispielsweise über die ständige Erreichbarkeit per Smartphone. „Dafür müssen wir die Leute qualifizieren.“
Doch was heißt all das für die Verkehrsbranche? Michael Weber-Wernz, Geschäftsführer der VDV-Akademie, und Dr. Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft, stellten dazu die Ergebnisse eines Workshops aus dem Frühjahr 2017 vor, in dem sich Experten aus den Verkehrsunternehmen bereits mit Fragen und Perspektiven rund um die Zukunft der Arbeitslandschaft auseinandergesetzt haben. Wie geht man zum Beispiel mit den Ängsten der Mitarbeiter aus dem Fahr- und Kundendienst um, die befürchten, von autonomen Fahrzeugen und virtuellen Servicestellen ersetzt zu werden? Für sie bedeuten neue Berufsbilder eine Chance: „Die klassische Kundenberatung wird es nicht mehr geben“, ist sich Weber-Wernz sicher. „Aber dafür werden andere Formen der Beratung entstehen. Und falls nur noch kleine, automatisierte On-demand-Busse unterwegs sind, dann müssen die gemanagt werden.“ Diesen Findungsprozess würden die Mitarbeiter aber nur mithilfe der Personalberater schaffen. Zudem erlange das Thema Qualifizierung und Fortbildung eine noch größere Bedeutung als heute schon.

Praktische Ansätze

Doch bei aller Theorie müssen die Verkehrsunternehmen den Herausforderungen der Arbeit 4.0 auch in der Praxis begegnen. An diesem Punkt will der neue „Innovationskreis Arbeiten 4.0“ aus Branchenvertretern ansetzen, der sich kurz nach dem Kongress erstmals getroffen hat. Er knüpft unter anderem an den Workshop vom Frühjahr an. Doch auch die Teilnehmer des Personalkongresses konnten sich an sogenannten Thementischen genauer mit den Workshop-Ergebnissen auseinandersetzen – und ihrerseits Input für den Innovationskreis formulieren. Zeitgleich arbeiten VDV, VDV-Akademie und verschiedene Verkehrsunternehmen weiter an ihrer Arbeitgeber-Imagekampagne, die im Frühjahr 2018 starten soll. Sie soll den Verbandsunternehmen als Dach für deren Recruiting- und Employer-Branding-Aktivitäten dienen. Zudem können sie sich durch den VDV beraten lassen.

Kreatives PErsonalmanagement

Welche Verkehrsunternehmen haben die spannendsten Personal- und Organisationskonzepte entwickelt? Das sollte der „Innovatoren- und Best-Practice-Pitch“ beim VDV-Personalkongress zeigen. Fünf Finalisten präsentierten ihre Projekte. Am Ende entschied das Publikum, welches das Beste war.


1. Deutsche Bahn
Die Bahn im 360-Grad-Film: Um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen, setzt die DB in der Personalgewinnung auf Virtual Reality. Bahnberufe werden so hautnah erlebbar. Die innovative Technik setzt die DB unter anderem erfolgreich auf Berufsmessen (Foto) ein – und landete damit auf Platz eins.

2. Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Mit ihrer „Agilen Toolbox“, die den Rahmen für agiles Arbeiten bei der BVG definiert, landeten die Berliner auf Platz zwei. Die BVG setzt verstärkt auf die Ideen der eigenen Mitarbeiter – zum Beispiel für neue Produkte und Services. In interdisziplinären, agilen Teams treiben sie selbst Innovationen voran. Die BVG stattet sie dafür mit zeitlichen und finanziellen Ressourcen aus. Bisher wurden damit neun Projekte realisiert.

3. MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft mbH
Die drittplatzierten Mannheimer setzen im E-Learning auf 360-Grad-­Videos. Mit „Trainscape Engine“ hat das Eisenbahnunternehmen eine interaktive Baureihenkunde für Tablet und Desktop-PC entwickelt. Angehende Lokführer können damit Fahrzeuge verschiedener Baureihen „begehen“. Der trockene Lehrstoff soll so spannender werden.

4. Leipziger Verkehrsbetriebe
Mehr Effizienz und Effektivität: Mit diesem Ziel vor Augen hat die Leipziger Gruppe, zu der auch die LVB gehören, ihren HR-Bereich umgekrempelt. Dabei ging es vor allem um die Standardisierung von Prozessen in der Personalabteilung. Dies soll Freiräume schaffen – vor allem für beratende und strategische Aufgaben.

5. Üstra
Das neue „Kulturbarometer“ der Üstra soll einen Wandel in der Unternehmenskultur ermöglichen. Insgesamt wurden acht Werte definiert – wie „Fehler zulassen“ oder „Beteiligung leben“. Das Kulturbarometer überwacht die Einhaltung dieser Werte: In Fragebögen werden Teams und Führungskräfte einmal im Jahr dazu befragt. Die Ergebnisse werden besprochen und Verbesserungspotenziale ausgemacht.

Dass der geplante Instrumenten-Baukasten nicht nur theoretischer Natur ist, sondern auch konkrete Ideen für die Praxis umfasst, zeigten die Vorträge von drei Verkehrsunternehmen, die sich in der Kampagne engagieren. Sie präsentierten ihre Best-Practice-Beispiele aus dem Bereich Personalmarketing: die Aktion „Osnabrück sucht Deutschlands Super-FiF“, die überarbeiteten Markenbotschaften der Kölner Verkehrs-Betriebe sowie die Recruiting-Maßnahmen der KSW Kreisbahn Siegen-Wittgenstein. Das kleine Unternehmen des Schienengüterverkehrs beschäftigt 51 Mitarbeiter – und sich im Wettbewerb gegenüber anderen Arbeitgebern zu behaupten, sei nicht leicht, beschrieb Geschäftsführer Christian Betchen. Dennoch bewies die KSW, dass erfolgreiches Personalmarketing nicht Millionen Euro kosten muss. Sie stellte einen internen Aus- und Weiterbildungsplan auf, der den Mitarbeitern neue Karrierepfade ermöglicht – von der Lok in die Verwaltung. 2014 ließ sich die KSW zudem als „Best place to learn“ zertifizieren. Hinzu kämen klassische Werbemaßnahmen wie Zeitungsanzeigen und Stände auf Ausbildungsmessen. All das zeige Erfolg, die Lage habe sich entspannt, so Betchen. Und als kürzlich ein Lokführer gekündigt habe, konnte die KSW die offene Stelle noch innerhalb der Kündigungsfrist neu besetzen, berichtete er: im hart umkämpften Wettbewerb um das Fahrpersonal ein Volltreffer.

Mehr Informationen finden


Sie online unter:
www.vdv-akademie.de

Beste Nachwuchskräfte ausgezeichnet

Volle Punktzahlen, glatte Einsen: Der Nachwuchs in der Branche hat es drauf. Die Erfolgreichsten wurden beim VDV-Personalkongress ausgezeichnet – im Rahmen des Wettbewerbs „Unser bester Nachwuchs“ von VDV und VDV-Akademie. Teilnehmen durfte jeder, der 2016 oder 2017 den Abschluss gemacht hatte.
In der Kategorie „Gewerblich-technische Berufe“ gewann Kfz-Mechatroniker Moritz Scheer (Rheinbahn) vor Björn Ostermann, Elektroniker für Betriebstechnik (Stadtwerke Bielefeld), und Systeminformatiker Sven Hoppe (BVG). Moritz Scheer war gleichzeitig bester Absolvent einer Lehreplus. Zusätzlich zu seiner Lehre legte er weitere Qualifizierungen wie den „Fachkaufmann (HWK)“ ab.
Bei den verkehrsspezifischen Berufen hatte Julia Müller, Eisenbahnerin im Betriebsdienst (DB Netz AG), die Nase vorn. Auf Platz zwei und drei folgten die Fachkräfte im Fahrbetrieb Julius Riediger (Padersprinter) und Sebastian Heidmann (Rostocker Straßenbahnen). Julia Müller wurde in diesem Bereich zudem als beste weibliche Absolventin geehrt.
Bei den kaufmännischen Berufen (Foto) teilten sich die Kauffrauen für Büromanagement Carina Leymann (Bogestra) und Ewa Joanna Szyszka (Vestische Straßenbahnen) Platz eins. Auf Rang zwei landeten die Industriekauffrauen Melina Gerbracht (Evag), Yasmine Demmer und Nicole Magner (beide Stadtwerke Bielefeld). Annika Heinze (Regiobus Hannover), Kauffrau für Büromanagement, wurde Dritte.
Als bester dualer Student wurde Max Lukas Ellger, Wirtschaftsingenieur für Eisenbahnwesen (DB Netz AG), ausgezeichnet. Beste weibliche Absolventin im gewerblich-technischen Bereich ist Bettina Hansen, Elektronikerin für Geräte und Systeme (Hamburger Hochbahn).

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