Innovationen
14.05.2018
Aus dem Verband

„Güter-Erlkönig“ nimmt Fahrt auf

Weniger Lärmemissionen, niedrigerer Energieverbrauch und bessere Wirtschaftlichkeit: Diese Anforderungen sollen die Güterwagen der Zukunft erfüllen. Eine Reihe von Prototypen wird derzeit in einem Zugverbund getestet.


Der Güterverkehr auf der Schiene soll dauerhaft wettbewerbsfähiger werden – so steht es im Masterplan Schienengüterverkehr. Politik, Güterbahnen und Hersteller stehen vor einer riesigen Kraftanstrengung: Schließlich geht es um nicht weniger als die grundlegende Modernisierung des Schienengüterverkehrs. Vor allem gilt es, die Akzeptanz in der Bevölkerung langfristig sicherzustellen – am besten durch möglichst leise Züge. Denn bis 2030 soll der Marktanteil der Schiene am gesamten Güterverkehr in Deutschland deutlich steigen.

Einer der ersten Schritte wurde jetzt gemacht: Seit Anfang März rollt ein sogenannter Demonstratorzug durch Deutschland. Was der Automobilindustrie ihre „Erlkönige“ sind – Vorserienfahrzeuge im Testeinsatz –, gibt es damit jetzt auch auf der Schiene. Für das nicht geschulte Auge ein ganz normaler Güterzug, für Experten dagegen ein Technologieträger. Er hilft, Daten und Erfahrungen darüber zu sammeln, wie der Schienengüterverkehr zukunftsfähiger gemacht werden kann. Im Rahmen eines Forschungsauftrags stellt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) dafür 17 Millionen Euro zur Verfügung. „Innovativer Güterwagen“ heißt das Projekt. Es ist das wahrscheinlich größte dieser Art seit einem Jahrzehnt und läuft noch bis Ende 2018. Eine Arbeitsgemeinschaft aus der Güterbahn DB Cargo sowie dem Waggonvermieter und Schienenlogistiker VTG mit Unterstützung von Hochschulen erprobt die neuen Wagen und Technologien verschiedener Hersteller und wertet die Ergebnisse aus. „Dabei gewinnen wir wertvolle Erkenntnisse, wie praxistauglich einzelne Fahrzeuge und ihre Ausstattung sind“, erläutert Dr. Holger Schmidt, Leiter technisches Management bei DB Cargo. „Davon geht ein wichtiger Impuls aus für alle, die am Güterverkehr auf der Schiene beteiligt sind.“ Denn etwas Vergleichbares gab es vor allem für die vorwiegend mittelständisch geprägten Zulieferer und Hersteller vorher nicht. Zudem werden die Innovationen von unabhängiger Seite neutral bewertet. Alles in allem können Güterwagen, die leiser sind und über eine verbesserte Energieeffizienz niedrigere Betriebskosten verursachen, bald schneller auf die Schiene kommen. „Über Innovationen wollen wir die Schiene zum Rückgrat intelligenter und nachhaltiger Logistiklösungen machen“, sagt Dr. Heiko Fischer, Vorstandsvorsitzender der VTG.

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Über Innovationen wollen wir die Schiene zum Rückgrat intelligenter und nachhaltiger Logistiklösungen machen.

Dr. Heiko Fischer,
Vorstandsvorsitzender VTG

Einige der im „Erlkönig“ eingereihten Wagen wurden erst im Oktober fertig. Der bunt gemischte Zugverbund besteht aus zwölf Prototypen verschiedener Bauarten sowie aus herkömmlichen Referenzwagen, die alle unterschiedlich beladen sind: voll, halbvoll, leer. Mit einer Ausnahmegenehmigung des Eisenbahnbundesamtes fährt der Zug zunächst durch Deutschland, ab August soll es auch durch die Nachbarländer gehen. Bis Ende des Jahres sollen mindestens 150.000 Kilometer zusammenkommen. „Dann können wir belastbare Aussagen zu Verschleiß und Wirtschaftlichkeit machen“, sagt Holger Schmidt.
Für den Erprobungsverkehr wurden in Europa häufig eingesetzte Gattungen zusammengestellt (siehe Infografik), darunter ein sechsachsiger Flachwagen für den Transport von Stahlprodukten, ein vierachsiger Kesselwagen mit erhöhtem Fassungsvermögen, ein aus zwei Einheiten bestehender Autotransporter sowie ein 80-Fuß-Intermodalwagen zum Transport von Containern. Alle Wagen wurden neu konstruiert. Ausgelegt sind die Neuentwicklungen nicht nur für höhere Kapazitäten, sondern auch für größtmögliche Flexibilität im Alltag. So kann der Flachwagen Container und nach einem kurzen Umbau auch Stahlcoils transportieren. Das erspart Leerfahrten. Mit dem Autotransporter können je nach Bedarf entweder flache Sport- oder Kleinwagen oder hohe Geländewagen und Kleintransporter auf die Schiene gehen.

17

Millionen

Euro hat das Bundesminis­terium für Verkehr und digitale Infrastruktur dem Forschungsprojekt „Innovativer Güterwagen“ zur Verfügung gestellt.

Innovationen senken die Produktionskosten

Zur technischen Ausstattung gehören innovative Komponenten, die noch vor ihrem Marktdurchbruch stehen. Dazu zählen beispielsweise eine elektro-pneumatische Bremse – sie erlaubt es, den Zug energieeffizienter zu fahren –, sowie leise Radsätze mit Schallabsorbern. Zusammen mit der Flüsterbremse reduzieren sie Laufgeräusche dort, wo sie entstehen. Hinzu kommen wagentypische Eigenschaften wie eine besonders gewichtssparende Bauweise sowie zwei Varianten automatischer Kupplungen. Untersucht werden auch Möglichkeiten, den Einsatz der Fahrzeuge per GPS wirtschaftlicher zu steuern und die Ladung mithilfe von Sensoren zu überwachen. Im Regelbetrieb können solche technischen Innovationen dazu beitragen, die Kosten je Fahrzeug und damit die gesamten Produktionskosten im Schienengüterverkehr zu senken. Erhöht wird gleichzeitig die Umweltverträglichkeit – neben der Wirtschaftlichkeit ebenfalls ein wichtiger Punkt im Masterplan.

Bevor es auf die Strecke ging, haben die innovativen Güterwagen im Eisenbahn-Prüfcenter Wegberg-Wildenrath bei Aachen bereits eine Reihe von Untersuchungen durchlaufen. Im Auftrag des BMVI wurden beispielsweise die Lärmemissionen und Energieverbräuche der Fahrzeuge gemessen. „Die neuen Konstruktionen zeigten in Verbindung mit den innovativen Komponenten erste gute Effekte“, berichtet Holger Schmidt. Drei von vier Wagengattungen unterschritten den aktuell gültigen Lärmgrenzwert für Neufahrzeuge um teilweise deutlich mehr als fünf Dezibel (A). Aufgrund der Leichtbauweise der Wagen muss die Lokomotive weniger arbeiten. Auch das senkt Betriebskosten und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Lkw.

Erste Bilanz wird auf der Innotrans vorgestellt

Während der Erprobung auf europäischen Schienen werden diese Messungen fortgesetzt. Eine Zwischenbilanz des gesamten Projekts soll im September zur Innotrans vorgestellt werden. Dann unterbrechen die innovativen Güterwagen ihre Rundläufe, um für einige Tage auf dem Messegelände zu gastieren. Zum Jahresende erfolgt dann die komplette Auswertung des Projekts.

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