05.03.2018
Im Gespräch

Die Chancen der ­Digitalisierung ergreifen

Datenschutz, Digitalisierung, Diesel: Zu Beginn der Legislaturperiode trafen sich Thomas Jarzombek, Digital- und Verkehrsexperte der CDU-Bundestagsfraktion, und VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff zum verkehrspolitischen Gespräch.


Einige große Unternehmen der Verkehrsbranche arbeiten gerade unter Hochdruck an der Branchenplattform „Mobility inside“. Welche Auswirkungen wird die Digitalisierung Ihrer Meinung nach auf den Öffentlichen Verkehr haben?

Thomas Jarzombek: Gerade im öffentlichen Nahverkehr ist die Digitalisierung ein großer Treiber. Viele, die früher nicht mehr Bus und Bahn gefahren sind, machen es jetzt, weil sie an der Haltestelle die Zeit nutzen können und keinen Medienbruch mehr haben – gerade junge Leute, die etwa in sozialen Netzwerken weiter kommunizieren wollen. Außerdem ist es mittlerweile auf dem Smartphone einfach herauszufinden, wann Busse und Bahnen fahren. Mobilitätsdaten nutzbar zu machen, ist ein großer Treiber für den ÖPNV. Aber er wird durch die Digitalisierung so stark verändert, wie sich das viele heute noch gar nicht vorstellen können.

Inwiefern?

Jarzombek: Ich glaube, dass individuelle Verkehrsmittel für viele Menschen weniger wichtig werden. Durch neue Konzepte, drastisch reduzierte Kosten und selbstfahrende Gefäße wird es attraktiver sein, irgendwo einfach ein- und auszusteigen, als selbst ein Auto zu besitzen und sich mit Parkplatzsuche, Wartung und Versicherungen herumzuschlagen. Durch selbstfahrende Fahrzeuge wird sicherlich eine Reihe von Verbindungen im Öffentlichen Verkehr herausgefordert – auch im Schienennahverkehr. Über das Smartphone ist erkennbar, wer von wo nach wo fahren will. Das hilft, Produkte deutlich zu verbessern, und bietet gleichzeitig die Chance, unwirtschaftliche Linien durch deutlich günstigere Alternativen zu ersetzen. Anstatt abends den fast leeren Bus durch die Außenbezirke zu schicken, gibt es dann möglicherweise andere Wege, die sowohl für den Kunden als auch den Betreiber günstiger sind.

Zur Person Thomas Jarzombek

Thomas Jarzombek (44) ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags. In dieser Legislaturperiode arbeitet er für die CDU/CSU-Fraktion im Verkehrsausschuss mit. Gleichzeitig ist er Sprecher für digitale Agenda und CDU-Vorsitzender in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Jarzombek studierte Wirtschaftswissenschaften, schloss sein Studium jedoch nicht ab. Nach dem Vordiplom machte er sich 1996 mit einem Unternehmen für IT-Dienstleistungen selbstständig.

Muss die Politik auf Bundesebene beim Thema Daten andere gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, damit neue Produkte wie Mobility inside funktionieren können?

Oliver Wolff: Die Politik muss für sich klären, wo sie die Position der Systemplayer sieht. Der ÖPNV soll Standards in Sachen Umwelt und Barrierefreiheit erfüllen sowie in die Digitalwirtschaft einsteigen und tolle Produkte liefern. Das sind große Herausforderungen für unsere im Grunde regional agierende Branche, die auch finanziert werden müssen. Wir müssen außerdem immer klüger haushalten. Unter dieser Voraussetzung müssen wir uns überlegen, ob wir den Googles dieser Welt das „Gold der Zukunft“ – unsere Daten – so ohne Weiteres überlassen. Google möchte seine Verkehrs- und Fahrplanauskünfte mit Werbung verknüpfen. Denen geht es nicht um die Mobilitätsdienstleistung oder um Daseinsvorsorge. Beim Thema Daten ist jeder der Plattformanbieter auf wirtschaftlicher Ebene unterwegs. Das ist völlig in Ordnung, muss dann aber für alle Seiten so möglich sein. Schließlich gibt Google uns seine Verkehrsdaten ja auch nicht.

Das Gespräch zwischen Oliver Wolff (2.v.r.) und Thomas Jarzombek (2.v.l.) moderierten VDV-Pressesprecher Lars Wagner (r.) und Stefan Temme (l.) von der Redaktion des VDV-Magazins.

Welche Rolle spielen dabei die Verkehrsunternehmen?

Wolff: Als öffentliche Unternehmen nehmen wir heute schon die Aufgabe sehr ernst, zwischen den Kundendaten, die dem Datenschutz unterliegen, und allgemeinen Verkehrsdaten zu unterscheiden. Deshalb dürfen für unsere Branche aber nicht von vorneherein höhere Hürden oder Anforderungen gelten, die für andere nicht gelten. Zum Beispiel bei Open Data: Man könnte sagen, bei staatlichen Unternehmen gehöre sowieso alles dem Steuerzahler, auch die Daten. Dazu sage ich: Wenn mein italienischer Freund im Sommer in seinem Restaurant Außengastronomie machen möchte, macht er das auf dem Bürgersteig – der gehört auch uns allen. Aber dazu braucht ein Gastronom eine Sondernutzungserlaubnis, für die er bezahlen muss. Nichts anderes sollte für Daten gelten.

Jarzombek: Beim Thema Open Data müssen wir in der Verkehrspolitik alles öffnen, was da ist. Alleine, um nicht den Internet-Giganten das Feld alleine zu überlassen. Erstaunlich ist deren Einfluss bereits heute, so steuert Google mit „Maps“ den Verkehr gefühlt schon mehr als die Verkehrspolitik. Das gefällt sicher nicht allen, aber wir müssen auch anerkennen, dass das ein Beitrag zur besseren Nutzung eines Verkehrsnetzes ist. ­Sicher hat ein Nahverkehrsbetrieb Daten, die Google nicht hat. Diese Daten müssen aber auch sinnvoll genutzt werden. Was die Mentalität beim Datenschutz und dessen Komplexität betrifft, stimme ich zu. Hier muss es ein Spielfeld geben, wo sich alle auf Augenhöhe begegnen.

Google steuert mit „Maps“ den Verkehr gefühlt schon mehr als die Verkehrspolitik.

Thomas Jarzombek

Was können die Verkehrsunternehmen aus Ihrer Sicht beim Umgang mit Daten besser machen?

Jarzombek: Ich habe den Eindruck, dass viele die bestehenden Möglichkeiten gar nicht ausschöpfen, weil sie Angst davor haben, ihre Kunden zu erschrecken. Das Thema sollte nicht nur risikobasiert, sondern offensiv diskutiert werden. Die Unternehmen können ihren Kunden sagen: Damit können wir für euch das Angebot verbessern, unsere Liniennetze, Routen und Takte optimieren, unser Platzangebot anpassen. Ich finde es zudem legitim, wenn sich der öffentliche Nahverkehr etwa durch Werbung auf seinen Apps eine zusätzliche Einnahmequelle erschließt. Das Geld bliebe im System. Es würde helfen, die Ticketpreise stabil zu halten und den Service zu verbessern. Deshalb werbe ich dafür, dass die Nahverkehrsunternehmen ihre Daten nutzen und mit ihnen arbeiten. Hinzu kommt, dass es eine Menge Start-ups gibt, die mit Innovationen unterwegs sind und eine hohe Dynamik mitbringen. Für die ist es kaum möglich, mit einzelnen Verkehrsunternehmen Verträge zu schließen – etwa über den Ticketverkauf. Von daher ist es wichtig, auch hier einen Open-Data-Ansatz zu haben, auf den einzelne Angebote aufbauen können. Denn dadurch entsteht ein Mehrwert.

Wolff: Ich stimme zu, dass wir als Branche mehr machen müssten. Mit Blick auf Mobilitätsplattformen sind wir bislang so fragmentiert, dass es für Unternehmen von außen oder Start-ups unmöglich ist, mit jedem Verkehrsunternehmen einen Vertrag zu schließen – was auch ein Nachteil für den Kunden ist. Natürlich kann Google mit den zehn größten unserer Branche Verträge machen. Dann würden wir aber unsere Kunden in kleineren Städten und im ländlichen Raum zurücklassen. Das geht nicht, das gehört mit zu unserem öffentlichen Auftrag. Deshalb soll die Plattform Mobility inside der nationale Zugangspunkt sein, über die wir ein einheitliches Mobilitäts- und Ticketingangebot zur Verfügung stellen – egal, wo man wohnt.

Jarzombek: Das ist wichtig. Es muss einen One-Stop-Shop geben. Das heißt: eine Schnittstelle, einen Ansprechpartner, einen Mustervertrag. Wenn sich die Plattformanbieter nur auf die großen Städte und deren Verkehrsunternehmen konzentrieren, werden die Kleineren benachteiligt. Zudem wird es laufend Innovationen von Start-ups geben, die mehr Komfort bringen und dem öffentlichen Nahverkehr helfen, einen größeren Anteil am Modal Split zu gewinnen. Allein deswegen muss sich die Branche öffnen.

Wolff: Im Rahmen von Entwicklungspartnerschaften können wir auch Standards – etwa für Ridesharing – weiterentwickeln, so dass auch das Know-how aus dem Öffentlichen Verkehr einfließt. Dann hätten wir die Möglichkeit, diese besseren Angebote flächendeckend nutzbar zu machen. Am Ende ist es außerdem eine große Herausforderung, den ÖPNV im ländlichen Raum zu finanzieren. Dort brauchen wir wirklich kluge Zusatzangebote, wo etwa der Bus nicht an der Haltestelle stoppt, sondern an einer Hausnummer. Beim Thema Mobilitätsplattform sind wir schon gut sortiert, brauchen aber noch etwas Zeit. Von der Politik erwarte ich jedoch einen Weckruf und einen deutlichen Hinweis, wie sie sich das vorstellt – zusammen mit der Aufforderung „Löst das!“.

Von der Politik erwarte ich einen Weckruf und einen deutlichen Hinweis, wie sie sich das vorstellt - mit der Aufforderung „Löst das!“.

Oliver Wolff zum Thema Mobilitätsplattform

Clever Shuttle, Door2door, MyTaxi gibt es bereits. Brauchen wir trotzdem ein moderneres, anderes Personenbeförderungsgesetz?

Jarzombek: Ich glaube schon. Die heutige Verkehrswelt ist bunter geworden. Es gibt nicht mehr nur den klassischen ÖPNV und das Taxi, sondern viele Formen dazwischen. Das Thema Ridepooling ist mit dem heutigen Personenbeförderungsgesetz kaum abbildbar. Da muss man sich öffnen. Ich halte auch statische Tarife bei Taxen nach wie vor für falsch. Außerdem sind zum Beispiel die Ortskundeprüfung oder die Rückkehrpflicht für Mietwagen Dinge, die nicht mehr in die heutige digitale Zeit passen.

Die Experimentierklausel im PBefG ermöglicht allerdings auch moderne Bedienformen wie den On-demand-Bus der Duisburger Verkehrsgesellschaft …

Jarzombek: Natürlich ist die Experimentierklausel für die Nahverkehrsunternehmen wunderbar. Wenn es aber darauf hinausläuft, dass diese Ridepooling-Services nur unter dem Dach eines Nahverkehrsunternehmens stattfinden können, muss der Zugang zu diesem Raum für Dritte vereinfacht werden, das heißt, der Genehmigungsprozess muss einfacher und standardisiert werden. Eine Experimentierklausel ist sonst nur für im Markt etablierte Unternehmen wie die Bahn, die Nahverkehrsunternehmen und das Taxigewerbe interessant, ganz sicher aber nicht für Gründer und Innovatoren, die etwas Neues ausprobieren wollen. Zudem ist die Experimentierklausel im PBefG auf vier Jahre begrenzt. Für neue Mobilitätsangebote, die sich bewährt haben, sollte anschließend gewährleistet sein, dass sie unkompliziert in einen dauerhaften Regelbetrieb kommen. Wer wird sonst in ein solches Start-up investieren, wenn er fürchten muss, dass es am Ende geschlossen wird?

Wolff: Ich erwarte, dass sich die Politik Gedanken über die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Gesetzes macht – etwa im Rahmen einer Kostenfolgenabschätzung. Die Liberalisierung des Fernbusmarktes ist ein Paradebeispiel, dass das damals nicht geschah. Wir müssen sehr gut darüber nachdenken, wie das System der Zukunft erstellt werden kann. Die Politik sollte nicht nur sagen: „Wir öffnen das PBefG und gucken mal, was passiert“, sondern muss antizipieren, was sich wie entwickeln wird. Die Genehmigung für neue Mobilitätsangebote vor Ort dauert momentan zu lange und ist mitunter zu verwaltungsaufwendig. Das ist nicht gut, denn das bremst Innovationen. Das bedeutet aber nicht, dass das PBefG in seiner Grundausrichtung falsch oder veraltet ist.

Flexibler und offener werden ja, aber stehen Grundfeste wie Sozialstandards, Beförderungspflicht, Tarifpflicht und die Vorteile für den Kunden und die Unternehmen aus Ihrer Sicht im PBefG zur Disposition?

Jarzombek: Nein. Es geht vielmehr um die Frage nach moderner Regulierung in Zeiten der Digitalisierung. Man muss sich bei jedem Gesetz neu überlegen, welche Grundsätze es gibt und ob sie heute noch angemessen sind. Es ist keine Frage, dass überall vernünftige Gehälter gezahlt werden müssen und dass es eine Grundversorgung geben muss. Aber man muss auch die Kundenseite bedenken. Der Fernbus ist ein schönes Beispiel: Er bietet vielen Menschen eine günstige Alternative zur Deutschen Bahn. Die hat wiederum mit Preissenkungen und einer Verbesserung in Qualität und Service reagiert. Am Ende hat sich das durch steigende Fahrgastzahlen auch für die Deutsche Bahn positiv ausgewirkt.

Wolff: In der Konsequenz muss die Politik vorausschauend sagen, was passieren wird. Das PBefG ist ein über viele Jahrzehnte wohlaustariertes Gesetz, das ja bislang auch funktioniert, denn es reguliert den Markt und lässt trotzdem entsprechende Freiheiten für die Marktteilnehmer. Jetzt kommen neue Teilnehmer hinzu und man muss gemeinsam schauen, wie und wo sich das im Gesetz niederschlagen könnte.

Thomas Jarzombek (l.) und Oliver Wolff trafen sich im Hauptstadtbüro des VDV.

Seit Monaten wird über die Luftreinhaltung in den Innenstädten diskutiert. Ihre Heimatstadt Düsseldorf, Herr Jarzombek, ist massiv betroffen. Nach zwei Dieselgipfeln bleibt der Eindruck, dass sich die Bundespolitik auf die Umrüstung öffentlicher Fahrzeugflotten fokussiert. Löst das schnell die Probleme?

Jarzombek: Ich glaube, es ist richtig, als Staat mit gutem Vorbild voranzugehen. Wir dürfen den Menschen nicht das Gefühl geben, sich neue Autos kaufen zu müssen, während wir uns bei Bussen, Müllfahrzeugen und der Straßenreinigung mit Ausnahmeregelungen einen schlanken Fuß machen. Deswegen ist der Ansatz richtig, alle alten Busse auf Euro VI umzurüsten und ansonsten neue Busse mit alternativen Antriebsarten anzuschaffen. Um die Herstellungskosten für Elektrobusse zu senken, sollten Kommunen gemeinsame Beschaffungsinitiativen starten – so wie es Berlin und Hamburg beabsichtigen. Des Weiteren müssen wir den Verkehr zukünftig intelligenter steuern. Das Bundesverkehrsministerium hat erst vor wenigen Tagen eine Förderrunde über 100 Millionen Euro für Maßnahmen zur Digitalisierung des kommunalen Verkehrs gestartet. Ein Beispiel: Für etwa 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs ist die Parkplatzsuche verantwortlich. Wenn freie Parkplätze digital erfasst und dem Autofahrer zusammen mit einer intelligenten Routenführung angezeigt werden, kann dies zu einer spürbaren Reduzierung des innerstädtischen Verkehrs führen.

Wolff: Natürlich muss mehr getan werden, und es ist viel zu lange gewartet worden. Es passt mir überhaupt nicht, dass bei diesem Thema so sehr auf die Verkehrsunternehmen geschielt wird. Sofort machbar ist die Umrüstung. Das Gros der Branche will dagegen die frühzeitige Euro-VI-Neuanschaffung – alte Busse vorzeitig durch neue zu ersetzen. Aber es gibt kein Förderprogramm für Euro-VI-Busse. Die Voraussetzungen dafür liegen derzeit nicht vor. Das ist ein kapitaler Fehler.

Ich bemerke, dass sich die Meinung der Bevölkerung gerade sehr stark dreht – zugunsten der Einführung.

Thomas Jarzombek zur blauen Plakette

Wie lange würde diese Übergangszeit dauern?

Wolff: Der Investitionspfad müsste sich daran orientieren, wann Alternativen wie Elektrobusse in der Qualität verfügbar sind, dass sie die Rolle der Dieselbusse übernehmen können und sich vielleicht auch in ihrer Wirtschaftlichkeit verbessert haben. Bis dahin haben wir uns auch mit unseren Betriebshöfen und unserem Personal darauf eingestellt. Unsere Leute sagen, dass wir dafür sechs bis acht Jahre brauchen. In diesem Zeitraum lässt sich dann auch ein Markthochlauf mit Elektrobussen realisieren.

Glauben Sie, dass es eine neue Chance für die blaue Plakette gibt?

Jarzombek: In meinem Wahlkreis bemerke ich, dass sich die Meinung der Bevölkerung bei diesem Thema gerade sehr stark dreht – zugunsten der Einführung. Wenn das Bundesverwaltungsgericht Dieselfahrverbote erlauben sollte, wird die Frage sein, allen Dieseln die Fahrt in die Stadt zu verbieten oder zumindest noch den modernen Fahrzeugmodellen zu erlauben. Dann wird der Wunsch in der Bevölkerung sehr schnell sehr groß werden, doch die blaue Plakette einzuführen. Und die Politik ist dann gefordert, den Willen der Bevölkerung umzusetzen. Ich hoffe aber, dass die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen jetzt schnell umgesetzt werden und ihre Wirkung entfalten, so dass Fahrverbote vermieden werden können.

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