10.07.2017
Hintergrund

Hör mal!

Sanft und freundlich tönt die Frauenstimme aus den Lautsprechern in der U-Bahn. „Liebe Fahrgäste, wir haben das Ziel erreicht“, sagt sie mit leichtem Wiener Einschlag. Auf den ersten Blick – Pardon: beim ersten Hören – klingt das wie eine ganz normale Fahrgastinformation. Und doch steckt bei den Wiener Linien viel mehr dahinter. „Sound Branding“ lautet das Stichwort: akustische Markenführung. Dafür erhielt das Unternehmen den renommierten Red-Dot-Design Award.


Die neue Melodie der Telefonwarteschleife, andere Signal- und Gongtöne, die neuen Durchsagen, für die die österreichische Schauspielerin Angela Schneider verpflichtet worden ist: Vor fünf Jahren, im Herbst 2012, schlugen die Wiener Linien nach nicht einmal zwei Jahren Entwicklungszeit erstmals ihre neuen Töne an. „Wir sind eine starke visuelle Marke“, sagt dazu Nina Wach, Werbeleiterin bei dem österreichischen Verkehrsunternehmen, selbstbewusst. „Aber eine Marke besteht zu einem genauso großen Teil aus akustischen Elementen. Idealerweise bringen Kunden den Corporate Sound unbewusst mit der Marke in Verbindung.“ In Deutschland ist das beispielsweise der Deutschen Bahn gelungen – mit ihrer kurzen, prägnanten Tonfolge am Ende der Radio- und TV-Werbespots.

Eduard Winter, Geschäftsführer der Wiener Linien, und Angela Schneider. Kunden haben die Schauspielerin zur neuen Stimme des Unternehmens gewählt.

Die Jagd nach Tönen

Auf einen solchen Effekt setzten auch die Wiener Linien bei der Entwicklung ihres „Sounds“. Und hinter dem steckte weit mehr als etwas Kompositionsarbeit am Computer. Am Anfang stand die Suche – nach allen Klängen im Wiener Netz. „Über mehrere Monate haben wir wirklich alle Töne im Netz aufgenommen und dokumentiert, seien es willentliche oder unwillentliche“, erklärt Nina Wach. Das Quietschen der Räder, das Geräusch beim Schließen der Türen, die 4.780 verschiedenen Durchsagen, die in jeder Station anders klingen – abhängig von der jeweiligen Lautsprecher-Qualität oder der Akustik der Haltestelle. „Diese Töne haben wir dann katalogisiert: Wo können wir eingreifen, wo nicht?“ Auch eine Kundenumfrage wurde vorgenommen. Demnach sind zum Beispiel 66 Prozent der Teilnehmer zufrieden mit den bisherigen Durchsagen. „Aber das hieß eben auch: 34 Prozent waren es nicht“, so Wach. Kritisiert wurden etwa die zu langen Ansagetexte sowie die männliche Sprecherstimme. Diese sei bei Umgebungsgeräuschen schwer zu verstehen.
Aus all dem strickten die Wiener Linien ihren Maßnahmenkatalog. Zwei der ersten Dinge, die geändert wurden, waren die Signaltöne und Durchsagen. Das umfasste auch den Austausch veralteter Lautsprecher. Wichtig war den Marketingverantwortlichen auch der regionale Bezug – der sich nicht nur in Angela Schneiders Wiener Dialekt zeigt. Alle komponierten Melodien, Jingles oder Gongs basieren auf einem Sechs-Achtel-Takt – in Anlehnung an den Dreivierteltakt des Wiener Walzers.

Hörbeispiel: So klingt der neue Info-Gong der Wiener Linien

Corporate Sound im deutschen ÖPNV

Für deutsche ÖPNV-Unternehmen spielte Sound Branding bisher kaum eine Rolle. Immer mehr haben das Thema jedoch auf der Agenda – etwa die Berliner Verkehrsbetriebe. Die BVG sammle derzeit in einer „akustischen Inventur“ alle relevanten Klänge, so David Rollik, Leiter der Stabsabteilung Kommunikation. Wie genau es danach weitergeht, sei aber „Zukunftsmusik“.
Das wachsende Bewusstsein für Klang im ÖPNV hat auch Anton Grabow von Gassenhauer TM festgestellt. Die Berliner Agentur für akustische Markenführung begleitet Unternehmen bei der Entwicklung „ihres“ Sounds – als ein elementarer Bestandteil, der am Ende eine Marke in ihrer Gesamtheit ausmacht. Grabow ist überzeugt: Wer multisensorische Markenkommunikation konsequent umsetzt, profitiere. Ein ganzheitlich gestalteter Markenauftritt wirke sich schließlich nachweislich auf den Umsatz aus. „Zudem transportiert er die eigenen Unternehmenswerte nachhaltig und emotional.“

Andere Maßnahmen wiederum dauern Jahre – bis zum kompletten turnusgemäßen Durchtauschen des Fuhrparks. Denn seit 2014 ist etwa das Sound-Design der Fahrzeugtüren Bestandteil der Ausschreibungen. Ein angenehmer Klang beim Öffnen und Schließen – die Autoindustrie legt darauf schon lange Wert. „Aber wir im Öffentlichen Verkehr haben das bisher nie als Differenzierungsmerkmal wahrgenommen“, erklärt Dominik Gries, Sprecher der Wiener Linien.

Mit Blick auf die Gesamtkosten des Projekts spricht das Verkehrsunternehmen von einem „signifikanten Investment“. Ob es sich trotzdem lohnt? „Unbedingt“, sagt Nina Wach, ohne zu zögern. Die Kundenzufriedenheit sei gestiegen – vom „ideellen Wert“ ganz zu schweigen. Und auch international erfuhren die Wiener Linien viel Anerkennung: 2016 erhielten sie den renommierten Red-Dot-Award für Sound Branding. Nina Wach: „Darauf sind wir wirklich sehr stolz.“

Das Making-of im Video:

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Mehr Infos zum neuen Klang der Wiener Linien sowie Ton-Beispiele finden Sie hier.


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