Tourismus
05.03.2018
Unterwegs im Netz

Nahverkehr vertikal:
Zehn Minuten zur Zugspitze

Gleich drei Weltrekorde reklamiert die im Dezember eröffnete neue Seilbahn auf die Zugspitze für sich: Einzigartig sind fast zwei Kilometer Höhenunterschied zwischen Tal- und Bergstation auf Deutschlands höchstem Berg, mehr als drei Kilometer Abstand von der einzigen Stütze bis zum Gipfel ebenfalls, und diese Stahlbau-Stütze ist mit 127 Metern weltweit die höchste. Betrieben wird die Bahn der Superlative von einem Nahverkehrsunternehmen – von der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG (BZB).


Martin Hurm, seit 2002 Betriebsleiter Seilbahnen & Lifte Zugspitze bei der BZB, kann auf die stolzen globalen Höchstleistungen noch einen ganz persönlichen, freilich „nur” nationalen Rekord draufsetzen: Er hat seinen Schreibtisch in 2.600 Metern Höhe am Rande des Zugspitz-Gletschers. Einen solch hohen Posten kann kein anderer deutscher Verkehrsbetrieb besetzen. Höchstleistungen hat der 49-jährige Maschinenbau-Ingenieur gerade reichlich hinter sich. In den drei Jahren, in denen vom Eibsee bis hinauf in die Nachbarschaft des goldenen Gipfelkreuzes die neue Seilbahn gebaut wurde, die jetzt das über 50 Jahre alte Vorgängersystem ersetzt, war er nicht nur Betriebsleiter für die 27 Lifte und Seilbahnen rund um Garmisch-Partenkirchen, sondern zugleich Bauleiter des 50-Millionen-Euro-Projektes. Ein bisschen viel auf einmal? Nein, wehrt er ab, das sei nun einmal „seilbahntypisch”: „Wir Seilbahn-Betreiber sind in der Verkehrsbranche Exoten mit hoch spezifischem Know-how. Da macht es schon Sinn, solche Projektaufgaben selbst in die Hand zu nehmen.”

Auch wenn die Bauaufgabe mit der offiziellen Eröffnung der „Seilbahn Zugspitze“ kurz vor Weihnachten 2017 weithin abgeschlossen ist, muss Hurm immer noch Höchstleistungen im wahrsten Sinne des Wortes erbringen – meist noch einmal knapp 400 Meter höher, als sein Schreibtisch steht. In der Bergstation, mal aber auch exakt 1.945 Meter tiefer in der nagelneuen Talstation am Eibsee. Es sind, sagt er, die „Kinderkrankheiten” im täglichen Betrieb, die ihn auf Trab halten: „Mensch und Maschine müssen zusammenkommen, damit alles bestens funktioniert. Wie bei einem neuen Auto: Wer da die falschen Knöpfe ausprobiert, kriegt auch schnell Probleme.” Außerdem wird auf dem Gipfel immer noch gebaut. Dort entsteht das neue „Panorama 2.962“ – eine große und vielseitige Gastronomie-Landschaft für die vielen hundert Gipfelstürmer, die sich tagtäglich mit der Seilbahn und der seit bald 90 Jahren betriebenen Zahnradbahn nach oben und wieder nach unten bewegen. Im Juli soll sie fertig sein.

Wir Seilbahn-Betreiber sind in der Verkehrs­branche Exoten mit hoch spezifischem Know-how.

Martin Hurm,
Betriebsleiter Seilbahnen & Lifte Zugspitze, Bayerische Zugspitzbahn Bergbahn AG
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Massenverkehrsmittel mit Hightech

Arbeitstage „von sieben bis acht”, präziser bis 20 Uhr, sind für den Betriebsleiter deshalb keine Ausnahme. Aber: „Die Anspannung ist weg.“ Alles ist zum geplanten Termin fertig geworden. Es hat nicht mehr gekostet als geplant, und das Wichtigste: „Wir haben während der anspruchsvollen Bauaufgabe nicht einen einzigen schweren Arbeitsunfall gehabt.” Entstanden ist ein Hightech-Verkehrssystem, ein Massenverkehrsmittel: Pro Stunde können die beiden Großraumkabinen, die jeweils Platz für 120 Fahrgäste haben, mit rechnergesteuerter Präzision bis zu 580 Ausflügler auf den knapp unter 3.000 Meter hohen Berg transportieren. Der Andrang wird schon in der großzügig bemessenen Talstation kanalisiert. Wie auf einem Großflughafen kommen sich Abflüge und Ankünfte nicht in die Quere. Besonderer Clou dafür: Zwischen den beiden Seilbahn-Fahrbahnen ist in der Station ein gewaltiger Gitterrost installiert. Das ist ein mit Maschinenkraft verschiebbarer Bahnsteig, der mal für die eine, mal für die andere Kabine genutzt wird, um ein- und aussteigende Fahrgastströme zu trennen.

Seilbahn-Exoten messen ihre Geschwindigkeit in Meter pro Sekunde. 10,6 Meter macht die neue Seilbahn Zugspitze jede Sekunde, beim Überfahren der einzigen Stütze wird leicht abgebremst. Das ist stolzes Tempo wie bei einem Hochhaus-Aufzug. Ganze zehn Minuten dauert die Reise in Fels und Firn. Sanft wie in einem komfortabel gefederten Landfahrzeug. Mit von Höhenmeter zu Höhenmeter schnell wachsender Rundum-Aussicht auf die Bergwelt – jedenfalls, wenn das Wetter mitspielt. „Gegen Nebel und Wolken können wir natürlich nix machen”, sagt Martin Hurm. Wohl aber gegen beschlagene Scheiben: Die Kabinenfenster über Brusthöhe sind beheizt. Auch an frostigen Wintertagen ist die Sicht klar.

Drei
Fragen an

Matthias Stauch, kaufmännischer Vorstand der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG


»Herr Stauch, die BZB hat mit der neuen Seilbahn Zugspitze ein ambitioniertes Projekt ganz ohne öffentliche Fördermittel realisiert. Wie haben Sie das geschafft?
Matthias Stauch: Nicht viel anders als jeder Häuslebauer. Wir haben eine umfassende betriebswirtschaftliche Vorplanung gemacht, die nichts schön gerechnet und nur zehn Prozent Fahrgastzuwächse kalkuliert hat. Und dann haben wir die derzeit günstigen Konditionen am Kapitalmarkt genutzt, übrigens ausschließlich über die heimischen Geldinstitute in Garmisch-Partenkirchen. In 20 Jahren werden sämtliche Darlehen getilgt sein, dafür wird der Magnet Zugspitze problemlos sorgen.

»Haben Sie auch mal in Erwägung gezogen, für sicherlich weit weniger Geld die gut 50 Jahre alte Vorgängerbahn zu modernisieren?
Ja, aber schnell verworfen. Die neue Bahn bietet uns mehr als eine Kapazitätsverdoppelung, und die brauchen wir. Bei der alten Eibsee-Seilbahn haben die Fahrgäste manchmal bis zu zwei Stunden angestanden, bis sie endlich einen Platz bekamen. Das war insbesondere im internationalen Tourismusgeschäft mit Europa-Reisegruppen etwa aus Asien oder USA nicht mehr tragbar. Die wollen ruck, zuck rauf und ruck, zuck wieder runter.

»Die BZB ist ein regionales Nahverkehrsunternehmen. Wie passt da die Bedienung der Zugspitze hinein?
Das sind zwei unterschiedliche Bereiche. Von Garmisch-Partenkirchen bis Grainau fährt die Zahnradbahn im Auftrag der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, ganz normaler SPNV also. Der Zugspitzverkehr ist eigenwirtschaftlich und unsere Cashcow, wobei unser Rundfahrticket zum Gipfel natürlich auch auf der kompletten Strecke ab und bis Garmisch gilt. Grundsätzlich wollen wir, auch im Zusammenspiel mit der Deutschen Bahn, möglichst viele Zugspitzgäste am besten schon ab München auf die Schiene holen. Jedes Auto, das gar nicht bis zu uns kommt, ist ein gutes Auto.

Hinter den Kulissen wird die Seilbahn von hochmoderner Computertechnik gesteuert und überwacht. Auf einem geteilten Bildschirm ist im Führerstand in der Talstation die Fahrt der Kabinen grafisch-schematisch und metergenau nachvollziehbar. Wie immer bei Pendel-Seilbahnen sind beide Kabinen stets gleichzeitig unterwegs – die eine von unten nach oben, die andere in der Gegenrichtung. Auf dem Bildschirm lässt sich die Kühnheit der Konstruktion selbst dann erahnen, wenn das Nebelgrau keine Sicht lässt. Es wird deutlich, dass die Bahnen ganz oben beinahe schon senkrecht die letzte Etappe zum Gipfel bewältigen. Elektronische Überwachung ist das eine, mechanische Sicherheit das andere. So sind die jeweils zwei Tragseile beider Seilbahnfahrbahnen in der Talstation mehrfach um meterdicke Betonfundamente aufgewickelt und mit einer ganzen Armada faustgroßer Klemmen fest fixiert. Noch kühner die technische Lösung in der Bergstation: In die Südflanke des schmalen, weithin überbauten Gipfelplateaus ist ein sogenanntes Rückspannbauwerk eingefügt worden. Ein sorgsam berechnetes Konstrukt aus Stahl und Beton, das die von der Seilbahn auf der Nordseite ausgehenden, tonnenschweren Kräfte austariert. Der Blick hinter die Kulissen lockt Bahnfahrer, und die Zugspitzbahn organisiert auf Anfrage gerne Führungen. Zu den Highlights gehört der Besucherbalkon im Maschinenraum, wo das gemeinsame Zugseil der beiden Gondeln über Umlenkscheiben, mehr als mannshohe Räder, seinen Weg von der einen Fahrbahn zur anderen nimmt.
Auch wenn der Betrieb und die Kontrolle über die Abläufe weitestgehend automatisiert sind, zeigen die Mitarbeiter der BZB in ihren schwarzen Anoraks und roten Overalls mit der Rückenaufschrift „Zugspitze. Top of Germany” vielseitige Präsenz. Sie stehen an den Drehkreuzen, wo der Rechner immer nur die höchstzulässige Zahl an Passagieren durchlässt. Und sie helfen dort Kunden im Umgang mit dem elektronischen Ticket. In den Kabinen sind stets Fahrgastbetreuer mit an Bord. Sie verfügen nicht nur über einen Touchscreen und Telefonkontakt in die Außenwelt, sondern müssen auch mal ängstliche Fahrgäste aufmuntern. „Wir hatten schon Familien, für die die Zugspitzfahrt zum Drama wurde”, berichtet Martin Hurm schmunzelnd. „Während die Kinder unbedingt in die Gondel wollten, traute sich zwar die Mutter, aber nicht der Vater.” Wenn die Überzeugungsarbeit der Betreuer nicht funktioniert, hilft nur noch eins: Ängstliche Reisende nehmen die Zahnradbahn. Hurm: „So kriegen wir sie alle nach oben.”

Mehr Infos zur


Seilbahn Zugspitze
www.zugspitze.de

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