01.08.2019

Billige Tickets werden am Ende richtig teuer

In manchen Kommunen und Ländern wird derzeit intensiv darüber nachgedacht, wie der Nahverkehr mit preiswerten Tickets attraktiver gemacht werden kann. Guter ÖPNV mit modernen Fahrzeugen und Infrastrukturen sowie mit ausreichenden Kapazitäten und qualifiziertem Personal muss allerdings entsprechend gegenfinanziert werden. Mit einem Jahresticket für 365 Euro ist das nicht zu bezahlen. Wer über die Einführung eines derartigen Angebots nachdenkt, muss sich darüber im Klaren sein, dass ÖPNV für einen Euro am Tag oder vielleicht sogar zum Nulltarif dauerhafte und hohe Finanzierungszusagen von Seiten der Kommunen und Länder erfordert.

Die Politik sollte das Pferd nicht von hinten aufzäumen, sondern dabei helfen, das ÖPNV-Angebot attraktiver zu machen. Ohnehin ist der Fahrpreis nicht das ausschlaggebende Argument für den Umstieg auf den ÖPNV. Vielmehr muss zuerst die Infrastruktur modernisiert und ausgebaut werden. Dann können die Takte verdichtet und Kapazitäten mit zusätzlichen Fahrzeugen und Personalen ausgeweitet werden. Wenn das alles erfolgreich umgesetzt wurde, kann man darüber nachdenken, die Fahrpreise zu reduzieren. So ist es in Wien gelaufen, und so hat es dort 20 Jahre gedauert. Rund 400 Millionen Euro jährlich lässt sich die Stadt Wien ihren ÖPNV kosten.

In Deutschland leisten die Ticketerlöse einen wichtigen Beitrag für das gesamte ÖPNV-System. Brechen diese Erlöse durch verbilligte Fahrpreise ein, muss das durch andere Einnahmequellen aufgefangen werden – entweder durch den Steuerzahler oder durch zusätzliche Abgaben, die zweckgebunden direkt in den ÖPNV fließen. Auch hier zeigt uns Wien beispielhaft, wie das geht – mittels einer U-Bahnsteuer für Gewerbebetriebe sowie mit deutlich erhöhten Parkgebühren.

Bevor billige Tickets angeboten werden, müssen Bund und Länder die Rahmenbedingungen für einen beschleunigten Ausbau und ein schnelles Wachstum des umweltfreundlichen Nahverkehrs schaffen. Die gesetzlichen Hebel haben sie in der Hand. Die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sollen ab 2020 stufenweise auf eine Milliarde Euro pro Jahr erhöht werden. Zudem muss das GVFG auch für Maßnahmen zur Grunderneuerung und Modernisierung geöffnet werden. Damit das Geld im kommenden Jahr überhaupt fließen kann, steht die GVFG-Novelle bis Ende dieses Jahres an. Zudem können die Länder die Beschaffung neuer, zusätzlicher Fahrzeuge über entsprechende Förderprogramme beschleunigen und unterstützen. Und abschließend brauchen wir zum Ausbau des städtischen Schienenverkehrs eine Planungsbeschleunigung durch den Bund, wie sie es bei der „großen“ Eisenbahn seit einem Jahr gibt.


Beste Grüße
Ihr Ingo Wortmann

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