Innovationen
23.02.2017
Titelstory

Zukunftsfragen

Die Deutsche Bahn tut es, und andere Verkehrsunternehmen ziehen nach: Die ersten Pilotversuche für autonomen ÖPNV auf der Straße sind gestartet – oder werden noch in diesem Jahr anlaufen. Dabei geht es um viel mehr als um das Erproben neuer Technologien. Der Öffentliche Verkehr steht gewissermaßen am Scheideweg. Ist das automatisierte Fahren seine Zukunft oder sein Sargnagel?

Leise rollt der kleine, rot-weiße Shuttle-Bus über das Gelände des Euref-Campus‘, eines Technologieparks in Berlin. Nur das Geräusch der Räder auf dem Asphalt ist zu hören. Ein Fußgänger am Straßenrand zückt sein Smartphone, als der Shuttle an ihm vorbeifährt. „Ich glaube, ich bin noch nie so oft fotografiert und gefilmt worden wie in den letzten Wochen“, sagt Marie Preuß, die Sicherheitsbegleiterin im Inneren des Fahrzeugs. Denn der elektrisch angetriebene Minibus hat kein Lenkrad und keinen Fahrersitz. Er ist autonom unterwegs – und für die Besucher und Mitarbeiter der am Campus ansässigen Unternehmen bleibt er auch nach mehrwöchigem Pilotbetrieb ein Hingucker. Aber schließlich hatte er es im Dezember auch bundesweit in die Medien geschafft: Mit dem Bus des Herstellers Local Motors (siehe Infokasten in der Randspalte) testen die Deutsche Bahn und das mehrheitlich von ihr geführte InnoZ (Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel) seit Ende 2016 den autonom fahrenden Busverkehr im halb-öffentlichen Raum. Drei Haltestellen steuert der Bus auf seinen zehnminütigen Rundtouren an. Nicht nur die Mitarbeiter auf dem Campus nutzen ihn. Auch Besucher von außerhalb kommen extra zum InnoZ, um eine Tour mit dem Shuttle zu drehen.

7 Prozent

Auf diesen Anteil könnte die Zahl der Fahrzeuge im Straßenverkehr – bezogen auf den heutigen Stand – sinken. Vorausgesetzt wird ein 100-prozentiges Ride-Sharing.

Minibus im Look des Fernverkehrs: Vor dem roten Backsteingebäude des Berliner InnoZ beginnt und beendet der autonome Shuttle seine zehnminütigen Fahrten. Bis zu neun Menschen können mitfahren – inklusive der Sicherheitsbegleiter.

Foto: Elena Grawe

Vollkommen autonom fährt der Shuttle auf dem Euref-Campus allerdings noch nicht. Es sind immer ein bis zwei Sicherheitsfahrer dabei, die bei Bedarf eingreifen können. An diesem Tag Anfang Februar sind das Marie Preuß und Panagiotis Loukaridis, zwei studentische Mitarbeiter des InnoZ. Und während Panagiotis Loukaridis heute vor allem den Fahrgästen als Ansprechpartner zur Verfügung steht, hat Marie Preuß die schmalen Wege auf dem Campus im Blick.

Die Vorteile des autonomen Fahrens für die Gesellschaft greifen nur, wenn es über den Öffentlichen Verkehr stattfindet. 

Andreas Becker, Projektleiter Konzernentwicklung Deutsche Bahn AG

Bus auf App-Ruf

Schon nach wenigen Metern muss der Shuttle das erste Mal bremsen. Ein Pkw parkt halb auf der Straße und damit im Fahrweg des Busses. Mit einem Joystick manövriert ihn Marie Preuß um das Auto herum, bis er seinen eingespeicherten Weg wiedergefunden hat. „Virtuelle Schiene“ nennt sie das: Am Anfang wurde die Strecke mit dem Shuttle manuell abgefahren und erfasst. An diese Vorgabe hält sich der Bus. Befindet sich ein Hindernis im Weg, stoppt er, und der Sicherheitsfahrer übernimmt. Noch. Denn natürlich soll er eines Tages von selbst ausweichen können. Und zudem nicht mehr nach Fahrplan, sondern nach Bedarf fahren. „On demand“ heißt das: ein Klick in der App – und der Bus kommt. Und das möglichst bald auch auf öffentlichen Straßen.

Die erste Bilanz der Deutschen Bahn fällt positiv aus. „Gemeinsam mit unseren Partnern InnoZ und Local Motors leisten wir Pionierarbeit“, schwärmt Michael BarillèreScholz aus der Gesamtleitung des Projekts „Autonomes Fahren auf der Straße“ bei der DB. Das nach jeder Fahrt abgefragte Feedback der Passagiere sei gut und konstruktiv. Aktuell läuft die erste große Evaluierung. Von Oktober bis Dezember 2016 fand zudem ein Test mit einem autonomen Shuttle des Herstellers Easymile auf dem Gelände von DB Schenker in Leipzig statt, allerdings im nicht-öffentlichen Raum. Genutzt wurde das Fahrzeug ausschließlich von eigenen Mitarbeitern. 2017 sollen nun weitere Piloten folgen, einer davon im bayerischen Bad Birnbach. Dort soll der Shuttle im öffentlichen Raum zwischen Bahnhof und Stadtzentrum pendeln. Reguläre Busse sind hier nicht unterwegs, für Taxen ist die kurze Strecke unattraktiv. Das Fahrzeug solle die Mobilität vor Ort also „intelligent ergänzen“, so Barillère-Scholz.

InnoZ geht On-demand-Service an

Lesern von „VDV Das Magazin“ dürfte der autonome Bus der Firma Local Motors bekannt vorkommen, den die Deutsche Bahn in Berlin erprobt: Bereits im Sommer wurde das Fahrzeug am InnoZ erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt – damals noch unter dem Namen „Olli“ und noch nicht in den Farben der DB (siehe „VDV Das Magazin“, Ausgabe 3/2016). In den folgenden Wochen liefen rund um das InnoZ bereits die ersten Tests.
Dieses übernimmt in Kooperation mit der DB die Rolle des Projektorganisators und -umsetzers. Zudem treibt es die technische Entwicklung weiter voran. Der aktuelle Linienbetrieb nach Fahrplan sei dabei nicht „der Weisheit letzter Schluss“, betont Frank Hunsicker, Programmleiter Automatisiertes Fahren beim InnoZ. Einer der nächsten Schritte sei deshalb die Entwicklung des On-demand-Services. „Je nachdem, wer von wo aus einen Bus per App anfordert, muss das Ganze im Dispositionsbetrieb sinnvoll verknüpft werden, sodass alle mit nur kleinen Umwegen ihr Ziel erreichen.“ Ein weiteres Projekt: das induktive Laden des Shuttles.


Mehr Infos zum InnoZ unter: www.innoz.de

Der genaue Startpunkt steht noch nicht fest. Das Genehmigungsverfahren hat gerade erst begonnen. Die Signale seien jedoch positiv, sagt Andreas Becker, im Projekt „Autonomes Fahren“ zuständig für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Er umreißt das Ziel der Deutschen Bahn: „Heute macht der klassische Individualverkehr den größten Teil am Modal Split aus. Der des Öffentlichen Verkehrs ist deutlich kleiner. Wir glauben, dass das automatisierte Fahren diese Architektur verändert und es die große Chance für unsere Branche sein kann.“ Seine Vision: eine „individuelle Mobilität ohne eigenes Auto, flexibel, umweltfreundlich und eben ‚on demand‘“. Autonome Busverkehre könnten dabei als Zubringer fungieren, etwa zum Schienenverkehr, und somit den ÖPNV ergänzen.

Mit diesen Projekten ist die Deutsche Bahn derzeit das erste Verkehrsunternehmen hierzulande, das sich diesem Thema dermaßen umfassend widmet. Allerdings nicht mehr das einzige: Quer durch die Republik gehen weitere Projekte an den Start. Der Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) in Zusammenarbeit mit der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv), die Stadtwerke Osnabrück und die Hamburger Hochbahn haben Projekte angekündigt oder zumindest entsprechende Absichtserklärungen abgegeben, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch Karlsruhe zählt dazu. Dort hat ein Konsortium aus Kommunen und Forschungseinrichtungen eine entsprechende Ausschreibung des Landes Baden-Württemberg gewonnen. Noch in diesem Jahr soll ein Testfeld an den Start gehen. Dessen Betreiber wird der Karlsruher Verkehrsverbund (KVV). „Wir sind der erste Verkehrsverbund in Deutschland, der an einem solch zukunftsweisenden Projekt maßgeblich beteiligt ist“, erläuterte KVV-Geschäftsführer Dr. Alexander Pischon nicht ohne Stolz, nachdem vergangenes Jahr die Entscheidung für Karlsruhe bekannt gegeben worden war. Der KVV sei „Garant für die Einbindung des ÖPNV in das Forschungsprojekt“.

Die Einbindung des Öffentlichen Verkehrs in die Mobilitätskonzepte der Zukunft: Es geht nicht ohne, wenn die Städte auf Dauer keinen Verkehrskollaps erleiden und Umwelt- sowie Klimaschutz gestärkt werden sollen. Von einer Mobilitätsgarantie für alle Menschen ganz zu schweigen – egal, ob Kinder oder Senioren, Städter oder Dorfbewohner. Für Dr. Till Ackermann, Fachbereichsleiter Volkswirtschaft und Business Development beim VDV, sind autonome Fahrzeuge deswegen viel mehr als einfach der nächste technologische Entwicklungsschritt. Mit ihnen können und sollen die Verkehrsunternehmen schon jetzt die Weichen für die Zukunft des Öffentlichen Verkehrs stellen: „Das automatisierte Fahren ist für uns ein zentrales Zukunftsthema.“

Fotos: Karlsruher Verkehrsverbund & Verkehrsverbund Rhein-Neckar
In Karlsruhe soll noch in diesem Jahr ein Testfeld in Betrieb gehen. Erste Probefahrten wurden bereits unternommen.
In Mannheim soll voraussichtlich ab Sommer ein eingeschränkter Roboshuttle-Verkehr im Rahmen des Forschungsprojektes ShuttleMe eingerichtet werden. Im Januar wurde der Bus bereits vorgestellt – Rundfahrten um den Wasserturm inklusive.

Studie beleuchtet autonome Szenarien

Was das genau bedeutet, zeigt eine aktuelle Studie der Universität Stuttgart, die vom VDV, der Stuttgarter Straßenbahnen AG sowie dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart in Auftrag gegeben worden ist. „Megafon – Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des oeffentlichen Nahverkehrs“ lautet ihr Name. Die Macher haben verschiedene Szenarien für das automatisierte Fahren und ihre Auswirkungen auf den Verkehr für die Region Stuttgart untersucht. Die Ergebnisse zeigen, was möglich wäre, wenn man die Automatisierung als Chance für den Öffentlichen Verkehr zu nutzen weiß. Das optimale – aber zugebenermaßen unwahrscheinlichste – Szenario basiert auf der Annahme, dass der Straßenverkehr zu 100 Prozent durch eine autonome Ride-Sharing-Flotte ersetzt wird, also fahrerlose Minibusse, die ohne Haltestellen und fixe Routen ihre Kunden von Tür zu Tür bringen. In Verbindung mit einem leistungsstarken Schienenpersonennahverkehr, Straßenbahnen oder hochwertigen Bussystemen könnte der Straßenverkehr mit nur noch sieben Prozent der heute in der Region genutzten Fahrzeuge abgewickelt werden. Unter Umwelt-, Klimaschutz- oder auch städteplanerischen Aspekten bietet das enorme Chancen.

Doch auch das Gegenteil kann der Fall sein, wenn Menschen lieber alleine im automatisierten Auto unterwegs sind und damit selbst lange Strecken komfortabel und günstig zurücklegen können – ohne sich den Innenraum mit anderen teilen zu wollen. Die Entwicklung bedürfe deswegen, so die Megafon-Studie, einer politischen Steuerung – etwa über die Vergabe von Konzessionen oder Straßenbenutzungsgebühren. Kommunen müsse ein entsprechendes Mitsprache- und Gestaltungsrecht eingeräumt werden, fordert vor diesem Hintergrund nicht nur Dr. Volker Deutsch. Der Fachbereichsleiter Integrierte Verkehrsplanung beim VDV ist wie Till Ackermann einer der Experten im Verband für das Thema autonomes Fahren. „Bei einer Laissez-faire-Politik ist es klar, dass wir in das goldene Zeitalter des Autos kommen werden“, mahnt er: „Die Menschen werden weniger mit dem Rad, zu Fuß oder per ÖPNV unterwegs sein. Die Autos werden länger und öfter fahren. Die Verkehrsleistung wird zunehmen.“ Welches Szenario am Ende Wirklichkeit wird, hänge somit davon ab, „mit welchem Rückgrat die Politik versucht, Klimaschutzziele, eine Emissionsreduktion und letztlich die effiziente Bewältigung des Verkehrs durchzusetzen, um eine lebenswerte Stadt zu erhalten“. Bisher habe die Politik das automatisierte Fahren aber vor allem als Projekt der Automobilbranche auf dem Schirm, bedauert Till Ackermann. „Da müssen wir als Branche schon jetzt klar machen, dass das auch unser Thema ist.“ Das findet auch Volker Deutsch: „Die Politik muss das erkennen. Die Verkehrsunternehmen sollten für die Kommunen erster Ansprechpartner sein.“ Denn der Öffentliche Verkehr hat mit der Daseinsvorsorge einen gesellschaftlichen Auftrag.

Bleibt die Frage, wo das automatisierte Fahren 2030 tatsächlich stehen wird. „Ich bin ein absoluter Technologie-Optimist“, sagt zum Beispiel DB-Mann Barillère-­Scholz: „Schon in zehn Jahren werden wir in der Lage sein, solche Shuttles als neue Zubringer zum Schienenverkehr und im integrierten Öffentlichen Verkehr einzusetzen.“ Wie umfassend das sein wird, hängt auch von der Bereitschaft der Menschen ab, aufs eigene Auto zu verzichten. „Das werden natürlich nicht alle tun“, sagt Till Ackermann: „Aber ich wünsche mir, dass die Menschen rationaler mit dem Thema Mobilität umgehen – und die Politik das unterstützt.“


Die Megafon-Studie zum Download:
http://tinyurl.com/zqr8lb8





„Wir sollten nicht auf einen Bewusstseins-wandel hoffen“

Prof. Dr. Markus Friedrich, Leiter des Instituts für Straßen- und Verkehrswesen an der Uni Stuttgart (Foto), ist Mitautor der Megafon-Studie, die für die Region Stuttgart verschiedene Szenarien in Sachen autonomer Verkehr untersucht hat. Im Interview mit „VDV Das Magazin“ spricht er darüber, was schon heute dafür getan werden muss, um Chancen nicht ungenutzt zu lassen.

» Herr Prof. Friedrich, Hand aufs Herz: Sehen Sie sich schon in zehn, 15 Jahren in einem vollautomatisierten Fahrzeug?

Prof. Markus Friedrich: Ich wünsche mir, dass das der Fall ist – sowohl beim Auto, als auch bei Zug und Bus. Ich bezweifle aber, dass wir bereits in allen Fällen von Tür zu Tür mit selbstfahrenden Fahrzeugen befördert werden können. Aber auf großen Teilen einer Fahrt wird das möglich sein – hoffentlich nicht nur im Auto.

» In der Megafon-Studie haben Sie viele verschiedene Szenarien analysiert. Was glauben Sie, wo wir 2030 wirklich stehen werden?
In der Studie haben wir angenommen, dass alle motorisierten Fahrzeuge autonom fahren. Das wird 2030 noch nicht der Fall sein. Auf dem Weg dorthin wird aber der Pkw immer komfortabler und damit noch attraktiver werden als heute. Bei sonst gleichen Randbedingungen bezüglich der Preise und der Angebotsqualität im ÖPNV würde das sicherlich zu Verlagerungen vom Öffentlichen Personennahverkehr zum Auto führen. Sobald Pkw fahrerlos zum Kunden kommen können, werden Sharing-Konzepte in Form von Car- oder Ride-Sharing wirtschaftlicher für die Anbieter und damit auch preiswerter für die Nutzer. Dann wird Sharing eine Herausforderung für den ÖPNV.
Der klassische private Pkw, der nicht geteilt wird, wird aber nach meiner Einschätzung auch als selbstfahrendes Fahrzeug das Verkehrsmittel sein, mit dem Nutzer die meisten Wege zurücklegen werden. Vielen wohlhabenden Menschen wird die Privatsphäre, die ein eigener Pkw bietet, die Mehrkosten gegenüber einem geteilten Fahrzeug wert sein. Das ist die wahrscheinlichste, aber aus Sicht der Stadt- und Verkehrsplaner nicht wünschenswerte Entwicklung.

» Gibt es eine Erkenntnis, die Sie besonders überrascht hat?
Die Megafon-Studie enthält eine Reihe interessanter Kennwerte, mit denen sich mögliche Entwicklungen beurteilen lassen. So konnten wir bestätigen, dass die erforderliche Fahrzeugflotte bei Sharing-Konzepten deutlich kleiner sein wird als die heutige Fahrzeugflotte. Überraschend war die Erkenntnis, dass die erforderlichen Leerkilometer für Umsetzfahrten mit weniger als zehn Prozent relativ klein sind. Angesichts der tageszeitabhängigen Lastrichtungen hätte ich mit mehr Leerkilometern gerechnet. Eine zweite, eher ernüchternde Zahl, ist der Besetzungsgrad im Fall von Ride-Sharing. Während ein Pkw heute im Stadtverkehr mit rund 1,3 Personen besetzt ist, erhöht sich der Besetzungsgrad bei Ride-Sharing nur auf etwa 2,5 Personen. Das ist zwar eine Verdopplung, trotzdem wird es viele Ride-Sharing-Fahrten geben, die nur mit einer Person besetzt sind.

» Eine Kombination aus Ride-Sharing und leistungsstarkem ÖPNV beziehungsweise SPNV – ist laut Studie der Schlüssel dazu, den Straßenverkehr in Zukunft so weit wie möglich zu reduzieren. Die Branche beklagt jedoch mangelnde Finanzierung und Investitionsstau. Was müsste mit Blick auf die zukünftigen Verkehrssysteme heute schon dringend im ÖPNV getan werden, um keine Chancen zu verschenken?
Wenn wir den ÖPNV fördern wollen, müssen wir ihn entsprechend finanzieren. Dieses Geld muss irgendwo herkommen. Mir fällt hierfür nur das Konzept „Straße finanziert Verkehr“ ein. Jeder Verkehrsteilnehmer, der sich anstelle des Pkw für den meist langsameren und weniger komfortablen ÖPNV entscheidet, trägt zu einem effizienteren, stadtverträglicheren Verkehr bei. Nutzer privater Pkw müssen für die Vorteile bezahlen, die ihnen durch die Nutzung der Straßennetze entstehen.

» Was natürlich auch im Raum steht, ist die für die Verkehrssysteme der Zukunft benötigte IT-Infrastruktur. Wie kann so etwas finanziert und umgesetzt werden?
Eine leistungsfähige IT-Infrastruktur ist die Grundlage für alle zukünftigen Verkehrssysteme. Ein Teil dieser Infrastruktur muss in Zukunft nicht mehr von den ÖV-Unternehmen vorgehalten werden, sondern kann an IT-Dienstleister ausgelagert werden, um Kosten zu sparen. Außerdem sollte die ÖV-Brache ihre Kräfte bündeln. Heute hat jeder Verkehrsverbund sein eigenes Tarifsystem und informiert die Kunden über eine eigene Fahrplanauskunfts-App. Das ist unnötig teuer und wird in Zukunft nicht genügen, um gegen global agierende Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen – wie zum Beispiel Uber – bestehen zu können. Ein globaler Player wird bessere Apps und bessere Bezahlsysteme anbieten können. Hier sollte die ÖV-Branche eine einheitliche Lösung für ganz Deutschland anstreben.

» Multimodalität und insbesondere Ride-Sharing ist auch eine Frage der persönlichen Einstellung und Bequemlichkeit. Sie sagten bereits, dass gerade wohlhabendere Menschen die Mehrkosten eines privaten Pkw gerne hinnehmen werden, wenn sie dafür mehr Komfort und Privatsphäre haben. Die Befürchtung ist also, dass das vollautomatisierte Fahren zu einem Anstieg des Verkehrs führt. Was müsste hier mit Blick auf einen Bewusstseinswandel getan werden?
Aus Sicht der meisten Verkehrsteilnehmer wird der private Pkw die bessere und Ride-Sharing die billigere Lösung sein. Aus Sicht der Allgemeinheit ist allerdings ein leistungsfähiger ÖPNV gekoppelt mit Ride-Sharing wünschenswert. Damit wir diese Entwicklung schaffen, sollten wir nicht auf einen Bewusstseinswandel hoffen. Die Verkehrspolitik sollte die Rahmenbedingungen durch die Gestaltung von Verkehrsnetzen und Preisen so setzen, dass viele Verkehrsteilnehmer automatisch die stadtverträglichen Verkehrsmittel wählen. Autonome Fahrzeuge werden uns viele Vorteile bringen. Wir müssen trotzdem darauf achten, dass wir nach der autogerechten Stadt des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert nicht bei einer Stadt landen, die komplett aufs autonome Auto ausgerichtet ist, und wir in 30 Jahren feststellen: „Wir hätten damals im Jahr 2020 besser auf unsere Städte aufpassen sollen“.

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