Innovationen
03.05.2017
Titelstory

Voll vernetzt: „Mobility inside“ legt los


In Hamburg mit dem Bus zum Bahnhof, dort in den ICE nach München. Weiter geht es – erst mit der U-Bahn, dann per Carsharing. Und diese komplette Reisekette hat der Fahrgast mit nur einer App organisiert, gebucht und bezahlt. An einer solchen Zukunftsversion arbeitet die Branche schon lange. Jetzt soll es konkret werden: 20 Initiatoren und der VDV haben eine Vernetzungsinitiative gestartet.


Die europäische Politik drängt, und mit ihr die Zeit. Denn erstere fordert ein verkehrsmittelübergreifendes, bundesweit einsetzbares E-Ticket- und Auskunftssystem für den Öffentlichen Verkehr. Spätestens 2019 soll eine solche Branchenlösung stehen. Klappt das nicht, droht die EU, den Vertrieb für Drittanbieter zu öffnen. Der Öffentliche Verkehr riskiert in diesem Fall, seine Rolle als Komplettdienstleister in Sachen Mobilität und besonders das Vertriebsmonopol zu verlieren. Plattformanbieter können im Stadtverkehr zugelassen werden, neue Wettbewerber sich noch stärker zwischen den öffentlichen Verkehrsunternehmen und ihren Kunden positionieren. „Die Branche als verlässlicher Partner der Kunden darf nicht zum ‚Lohnkutscher‘ degradiert werden“, so VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.

Foto: Deutsche Bahn AG

Wenn wir auch in Zukunft ‚der‘ Mobilitätsdienstleister unserer Kunden bleiben wollen, muss ‚Mobility inside‘ gelingen.

Oliver Wolff,
VDV-Hauptgeschäftsführer

Systeme sollen sich vernetzen

Vor diesem Hintergrund wurde der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen von 20 Initiatoren – den „First Movers“ – gebeten, eine Vernetzungsinitiative zu starten. Ziel ist eine Plattformarchitektur, die bereits vorhandene Plattformen der Verkehrsunternehmen und -verbünde bündelt, sodass die komplette Reisekette unabhängig von Reisemittel und -ort geplant und gebucht werden kann. Der Arbeitsname des Ganzen: „Mobility inside“.
Damit will die Initiative ein großes Problem der Branche in Sachen Digitalisierung aus dem Weg schaffen: Über die Jahre haben viele Verkehrsunternehmen und -verbünde ihre eigenen E-Ticket-Lösungen entwickelt. Hinzu kommen die Anwendungen von Drittanbietern. Eine Komplettlösung ist bisher nicht dabei. Es gibt zwar Mobilitätsplattformen – etwa Qixxit aus dem Hause der Deutschen Bahn – die dem Nutzer eine Reisekette zusammenstellen, sogenannte „Broker“. Das Buchen und Bezahlen muss aber überwiegend weiterhin bei den jeweiligen Anbietern erfolgen, also zum Beispiel direkt beim Verkehrsunternehmen.
Andere Anwendungen ermöglichen das Bezahlen, wenn auch eingeschränkt. Dazu zählen etwa die E-Ticket-Apps der ÖPNV-Unternehmen, über die nur die Fahrkarte für den jeweiligen Verbund gekauft werden kann. „Der Markt ist sehr heterogen“, so Oliver Wolff: „Deswegen geht unser Projekt noch über die Roadmap von Bundesverkehrsminister Dobrindt hinaus.“ Dessen Investitionsoffensive begrüßt der VDV: „Aber durch die Förderung von Einzelprojekten darf eine bundesweit einheitliche Lösung nicht noch weiter in die Ferne rücken. Hier sollte jeder einen sinnvollen Teil des Ganzen entwickeln.“ Mit dem Bundesverkehrsministerium sei man sich darin einig.

Der aktuelle Stand


„Mobility inside“ baut auf bereits existierende Projekte auf und soll zum Teil deren Technologie und Know-how nutzen. Ein Überblick:

VDV-Kernapplikation und E-Ticket Deutschland
Die Kernapplikation (KA) hat sich als technologischer und organisatorischer Standard für das E-Ticket im deutschen ÖPNV etabliert. Wie für „Mobility inside“ geplant, können auch hier Systeme verschiedener Verkehrsbetriebe vernetzt funktionieren. In der Regel kennt man die KA unter ihrem Markenname, dem E-Ticket Deutschland. Innerhalb des E-Tickets Deutschland wurde bislang noch nicht die Interoperabilität zwischen Regionen umgesetzt.

Delfi
Bei der „Durchgängigen Elektronischen Fahrgastinformation“ handelt es sich um eine vom Bundesverkehrsministerium initiierte Verkehrsauskunft für den Öffentlichen Verkehr. Getragen wird Delfi vor allem von den Ländern beziehungsweise den Landesnahverkehrsgesellschaften oder Verbundorganisationen sowie von der Deutschen Bahn.

Dimo-OMP
Bei Dimo-OMP („Digitalisierte Mobilität - die Offene Mobilitätsplattform“) handelt es sich um ein Projekt der RWTH Aachen zusammen mit der VDV eTicket Service GmbH (ETS) und verschiedenen Partnern. Es wird über das Forschungsprogramm „E-Ticketing und digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr“ vom Bundesverkehrsministerium gefördert. Ziel ist es, organisatorische und technische Grundlagen sowie Standard-Architekturen für Plattformen und deren Verknüpfung untereinander zu schaffen.

Drei Lösungen geplant

Die Vernetzungsinitiative soll eine Durchgängigkeit ermöglichen und auf bisherigen Strukturen wie Delfi und Standards wie dem E-Ticket Deutschland aufbauen. Darauf soll eine neue Anwendung entwickelt werden, die die existierenden Plattformen verknüpft. „Die Systeme müssen miteinander reden können“, beschreibt es Oliver Wolff. Dafür lassen die „First Movers“ derzeit die Köpfe rauchen: „Die Tage sind lang, Wochenenden werden genutzt. Es ist wie in einem Start-up.“ 2019 solle „Mobility inside“ an den Start gehen. Jedes Verkehrsunternehmen soll es dann nach eigenem Bedarf einsetzen können und somit Teil einer echten multimodalen Mobilitätsplattform werden – zunächst in Deutschland, anschließend in Europa nutzbar. Geplant sind derzeit drei Optionen:

Unternehmen mit eigener Plattform: Wer schon eine geeignete Plattform hat, kann selbst Teil des „Mobility inside“-Hintergrundsystems werden und so die Verknüpfung mit anderen ermöglichen. Der Kunde bleibt in der App „seines“ Anbieters vor Ort, kann aber trotzdem eine durchgehende Reisekette buchen. Die lokale Marke bleibt Hauptabsender.

Unternehmen ohne eigene Plattform: Diese Lösung ist vor allem für kleine ÖV-Betriebe gedacht, die noch keine digitalen Produkte anbieten, dieses aber gerne auch unter der eigenen Marke tun wollen. Sie können „Mobility inside“ als Full-Service-Modell übernehmen, ohne selbst Ressourcen in die eigene Entwicklung stecken zu müssen. Natürlich müssen lokal Voraussetzungen geschaffen werden. Dafür sollen die Unternehmen Unterstützung erhalten.

Zwischenlösung: Diese richtet sich an Unternehmen, die sich in Sachen digitales Ticketing zwischen den Erstgenannten befinden. Sie können die gemeinsame App und das Hintergrundsystem nutzen und einzelne Bausteine zu ihrer eigenen Lösung hinzufügen. Konkret geht es etwa um zusätzliche Module für das Vertriebs- und Kundenmanagement. Auch hier bleibt die Unternehmensmarke der Absender des Services.

Auch Fahrräder zählen zur intermodalen Reisekette. Im Bild: Die Leihräder des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar. "VRN Next Bike" lautet der Name des Verleihsystems.

Foto: Verkehrsverbund Rhein-Neckar 

Der Zeitplan zur Umsetzung ist straff. Im November 2016 haben die Initiatoren einen „Letter of Intent“ unterschrieben. Bis Ende Juli 2017 soll eine Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen erstellt werden. Danach beginnt die eigentliche Umsetzung. Bei der VDV-Jahrestagung im Juni (siehe Seiten 10-11) soll das Projekt den Teilnehmern vorgestellt werden – mithilfe eines Demonstrators, der die Funktionsweise von „Mobility inside“ veranschaulicht.

Das Rad wollen der VDV und die „First Movers“ dabei nicht neu erfinden – Technologie und Know-how aus vorhandenen und im Rahmen der Roadmap entwickelten Systemen wollen sie nach Möglichkeit einbinden. Dazu zählen etwa Dimo-OMP, das für „Mobility inside“ zu einer multimodalen Buchungsplattform weiterentwickelt werden soll, die Verbindungsauskunft Delfi oder auch die VDV-Kernapplikation (siehe Stichwortverzeichnis, rechts). „Mit Letzterer hatten wir 2005 zwar einen Standard gesetzt, der sich mittlerweile etabliert hat“, sagt Oliver Wolff: „Allerdings wird sie von jedem anders genutzt, weswegen sich die Systeme unterschiedlich entwickelt haben. Es fehlt an der überregionalen Harmonisierung und der homogenen Umsetzung.“ Mit „Mobility inside“ soll der Branche nun endlich der Durchbruch gelingen. „Und wenn wir auch in Zukunft ‚der‘ Mobilitätsdienstleister unserer Kunden bleiben wollen“, so Oliver Wolff weiter, „muss es klappen. Wir sind zum Erfolg verurteilt.“

Mehr Infos zur Vernetzungsinitiative unter: 


www.mobilityinside.de


Vernetzte Informationen – digitales Magazin

Alle wichtigen Informationen, auch zur Vernetzungsinitiative, präsentiert der VDV ab sofort in seinem Newsroom. In dem neu eingerichteten Angebot gibt der Verband einen schnellen und gebündelten Überblick über aktuelle Nachrichten und Dokumente – egal, ob Pressemitteilung, Positionspapier oder Politikbrief. Auf Termine und Veranstaltungen sowie die Kanäle in den sozialen Medien wird ebenfalls hingewiesen. 
www.vdv.de/newsroom.aspx

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