Infrastruktur
03.05.2022

Mehr Gleise für den
Bahn-Boom an Kaimauern

Wer an Häfen denkt, hat Schiffe vor Augen. Doch die Logistikwelt hat die Landseite genauso fest im Blick: See- wie Binnenhäfen sind bedeutende ­trimodale Güterverkehrszentren für Schiff, Bahn und Lkw. Mit dem Ziel des Klimaschutzes setzt die Branche immer stärker auf den Verkehrsträger Schiene. Doch bremsen Infrastruktur-Engpässe das CO2-freie Verkehrs­wachstum. Ein Positionspapier des VDV zeigt Schwachstellen auf und ­formuliert den Nachholbedarf.

Für eine zuverlässige Versorgung der Region und einen umweltfreundlicheren Güterverkehr per Schiff und Schiene braucht es unsere Binnenhäfen mit ihrer Infrastruktur.

Joachim Zimmermann,
Geschäftsführer Bayernhafen-Gruppe


Bilanzpräsentation in Regensburg: Joachim Zimmermann, Geschäftsführer der Bayernhafen-Gruppe mit ihren sechs Standorten in Aschaffenburg, Bamberg, Nürnberg, Roth, Regensburg und Passau, stellte stolze Unternehmenszahlen für das Coronajahr 2021 vor. Die Schienenlogistik hat wachsende Bedeutung in der Hafengruppe: fast 6,4 Millionen Tonnen Bahn-Umschlag, ein Zuwachs von gut 14 Prozent. Bei der Schifffahrt sank das Umschlaggeschäft zwar um fast 13 Prozent auf 2,75 Millionen Tonnen, doch durch den starken Schienenverkehr erreichte das bayerische Hafen-Sextett beim gesamten Umschlag ein Plus von 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das seien auch 535.000 weniger Lkw-Fahrten, merkte der Geschäfts­führer an: „In jeder unserer Standort-Regionen sind wir Güter-Drehscheibe für Import und Export und Motor der regionalen Wirtschaft. Für eine zuverlässige Versorgung der Region und einen umweltfreundlicheren Güterverkehr per Schiff und Schiene braucht es unsere Binnenhäfen mit ihrer Infrastruktur“, erklärte Joachim Zimmermann.

Rund 130 Häfen in Deutschland verfügen laut einer Untersuchung der Bundesnetzagentur über 2.000 Kilometer Gleisanlagen, über die jährlich rund zwei Millionen Güterwagen bewegt werden. Sie sind längst nicht nur Umschlagplätze in den Transportketten. Wegen ihrer vielseitigen Verkehrsanbindungen suchen immer mehr Logistikunternehmen und Industrie- wie Gewerbebetriebe Flächen für die Ansiedlung unweit von Hafenbecken, Kränen und Kaimauern. „Wir sehen erhebliches organisches Wachstum von Anrainern aus unserer Region, die über die Schiene in den Hafen kommen wollen“, beobachtet beispielsweise Volker Molz, Hafendirektor in Kehl am Rhein. Sein Betrieb ist im wasserseitigen Umschlag die Nummer sieben unter den deutschen Binnenhäfen. Unter den rund 100 Firmen, die sich im Hafen angesiedelt haben und Schienenwege brauchen, sind die Größten ein Tanklager, ein Stahlwerk und eine Papierfabrik. Mit 200.000 Tonnen pro Jahr ist auch der Umschlag von Forstprodukten ein gewichtiger Faktor.

Hafen Bremerhaven: Für die erfolgreiche Verkehrsverlagerung spielen die Seehäfen und die Binnenhäfen eine wichtige Rolle.


Oberleitung wieder abgebaut

Positive Entwicklungen für den Hafenbetrieb auf der schmalen Landzunge zwischen dem Rhein und der Mündung des Schwarzwald-Flüsschens Kinzig – doch der Blick von Hafendirektor Volker Molz in die Zukunft ist durch die Rückschau in die Vergangenheit getrübt. Es fehlt an dem, was Fachleute die vorgelagerte Infrastruktur nennen. Zwar verfügt der Rheinhafen Kehl über 44 Kilometer Gleisanlagen, doch an der Schnittstelle zur Deutschen Bahn im Bahnhof Kehl wird es eng wie im Flaschenhals. „Im Laufe der Jahrzehnte sind im Rangierbahnhof der DB über sechs Kilometer Rangier- und Abstellgleise abgebaut worden“, beklagt Volker Molz. Seinerzeit habe man nicht mehr mit einem Zuwachs im Hafen-Güterverkehr gerechnet. Zugleich sei deshalb die schon vorhandene Elektrifizierung wieder demontiert worden. „Mit der Folge, dass heute nach unserer Zugbildung mit Diesellok und der wagentech­nischen Kontrolle im Hafen schon einen Kilometer weiter der Wagenmeister der DB erneut ran muss, wenn die E-Lok vorgespannt wird. Das kostet Zeit und Geld.“

Engpässe bremsen Expansion

Probleme auch bei der Ausfahrt aus dem Kehler Bahnhof wegen der reduzierten Gleisinfrastruktur: „Da müssen sich dann unsere Züge die Strecke mit dem TGV teilen, und der hat natürlich Vorfahrt.“ Bedroht sei auch der Erhalt der Diesellok-Tankstelle: „Sollte sie geschlossen werden, müssten unsere Loks bis nach Offenburg zum Tanken fahren und wären stundenlang unterwegs.“ Trotz der Widrigkeiten rollten im vergangenen Jahr 50.000 Waggons aus dem Hafen, doppelt so viele wie vor gut 30 Jahren, mit einer auf das Dreifache gestiegenen Tonnage von 2,5 Millionen Tonnen.

Die weitere Expansion ist durch die vorhandenen Engpässe gebremst, doch Volker Molz gibt nicht auf. Denn die Klimaschutzpolitik der neuen Bundes­regierung gibt den Hafenbahnen Rückenwind. „Es wird miteinander geredet, die Tür ist auf. Geld ist jedenfalls genug da. Nur muss die Politik verstehen lernen, dass der Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur keine betriebswirtschaftliche, sondern eine volkswirtschaftliche Aufgabe ist“, erklärt er: „Und dementsprechend müssen Projekte beherzt angegangen werden, auch wenn sie aus der Perspektive des Infrastrukturbetreibers DB Netz für den bundeseigenen Bahnkonzern wirtschaftlich weniger Sinn machen – sonst bleibt die Verkehrswende mit der angestrebten Verdoppelung des Marktanteils der Schiene eine Illusion.“

Politik schaut zu sehr auf Personenverkehr

Es wird viel zu wenig mit der Lupe geschaut, wie die Ladung überhaupt aus dem Hafen auf den Zug und dann auf die Strecke kommt.

Georg Lennarz,
Fachbereichsleiter Marktfragen Güterverkehr beim VDV

Auch Georg Lennarz, Güterverkehrsexperte des VDV und Mitautor des von der VDV-Arbeitsgemeinschaft Eisenbahn öffentlicher Häfen (EöH) publizierten Positionspapiers, sieht die Politik in der Pflicht: „In den Regierungen und den Parlamenten haben sie immer nur die Strecken im Blick, bevorzugt für den Personen­verkehr. Es wird viel zu wenig mit der Lupe geschaut, wie die Ladung überhaupt aus dem Hafen auf den Zug und dann auf die Strecke kommt“, so der VDV-Mann: „Und da hängt es oft an der fehlenden oder mangelhaften vorgelagerten Infrastruktur.“

Das Problem betrifft Binnen- wie Seehäfen. Zwei weitere Beispiele: Lübeck, in Deutschland führender Seehafen für die Roll-on-roll-off-Verkehre mit Lkw-Ladungen und Containern über die Ostsee, hat den Schienenumschlag seit 2014 verdoppelt und sieht im Trend noch weitaus mehr Geschäft. Doch Hafenchef Prof. Sebastian Jürgens beklagt „erhebliche infrastrukturelle Engpässe“ im Zulauf auf den südlichen Bahnstrecken nach und von Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Zudem fordert er den Bau einer Nordkurve von den Lübecker Hafenanlagen an die geplante Neubaustrecke zum Fehmarnbelt-Tunnel nach Dänemark. Im Hafen selbst ließe sich mit staatlicher Förderung die Kapazität des „Baltic Rail Gate“ auf sechs Gleise mit europäischer Güterzuglänge von 750 Metern erweitern, verbunden mit entsprechendem Ausbau des Vorbahnhofs Lübeck-Skandinavienkai.

Bildgalerie zum Vergrößern anklicken: Magdeburg verfügt über einen Hafen mit 70 Kilometern Gleisen und einer eigenen Hafenbahn. Unter anderem werden Mineralöl und andere chemische Produkte gelagert und umgeschlagen.


Kapazitäten für lange Güterzüge schaffen

In Magdeburg, vor dem Mauerfall größter Binnenhafen der DDR, stehen die Zeichen ebenfalls auf Expansion. Nachdem im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts das Güterverkehrszentrum mit Terminal für Kombinierten Verkehr und Container aufgebaut worden war, „erfolgte die stetige Erneuerung aus eigenen Mitteln“, beschreibt Betriebsingenieur Sebastian Kuzaj. Derzeit werde die Hafenfläche abermals erweitert. In der Nachbarschaft des Terminals wurde ein neues Gebäude und eine Lagerhalle nebst zwei Ladegleisen von jeweils 370 Metern übernommen – lang genug für 740-Meter-Güterzüge. Für die Hafenentwicklung entscheidend sei nun, dass im Übergabebahnhof an die DB, in Magdeburg-Rothen­see, auch eine Kapazität für die heute möglichen Güterzuglängen von 740 Metern geschaffen werde.

In vielen Hafenbetrieben gehe es darum, „ganz gezielt am Anfang und am Ende des Transportweges mit überschaubarem Aufwand eine Leichtigkeit des Betriebes zu schaffen“, erklärt der Stuttgarter Hafenchef Carsten Strähle. Er ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft EöH. Nur wenn der Schienengüterverkehr auf der ersten und der letzten Meile in den Logistikzentren der Häfen optimale Bedingungen für die Betriebsabläufe vorfinde, könne er preiswert und damit wettbewerbsfähig operieren. Gleiches gelte für Gleisanschlüsse und genauso für die Netze der nichtbundeseigenen, der NE-Bahnen. Nur so ließen sich die Vorteile des Rad-/Schiene-Systems überzeugend in den Wettbewerb der Verkehrsträger einbringen.

Der Schienengüterverkehr benötigt auf der ersten und der letzten Meile in den Häfen optimale Bedingungen, um preiswert und wettbewerbsfähig arbeiten zu können.


Vorschläge für Verkehrswende aufgelistet

Das Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft, die gut 50 deutsche See- und Binnenhäfen repräsentiert, ist unter dem Titel „Schienenpolitische Vorschläge der deutschen See- und Binnenhäfen für eine erfolgreiche Verkehrswende“ ein gemeinsamer Auftritt des VDV mit dem Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen (BöB) und dem Zentralverband der deutschen Seehafen­betriebe (ZDS). Die Broschüre listet 16 Handlungsfelder auf, in denen die Transportbranche mehr Verständnis und Unterstützung der Politik für eine Optimierung der Schienenwege in und aus den Häfen erwartet.

Eine ausführliche Liste mit über 60 potenziellen lokalen Projekten macht detailliert deutlich, dass der große Wurf oft schon mit kleinen Anstrengungen und überschaubaren Finanzierungen erreichbar ist. Mal geht es um die Schaffung zusätzlicher Abstellgleise für das allenthalben wachsende Aufkommen, mal um kurze Streckenelektrifizierungen vom DB-Netz zur Hafenbahn, um einen zusätzlichen Lokwechsel zu vermeiden. Häufig gefordert sind Gleisverlängerungen auf 750 Meter, um Güterzüge mit der höchstmöglichen Zuglänge auf EU-Niveau bilden zu können. Immer wieder besteht auch die Vorstellung, von der DB nicht genutzte, den Häfen vorgelagerte Infrastrukturen dem Hafenbetreiber oder seiner Bahn zu überstellen.

Das Positionspapier

finden Sie unter:

www.vdv.de/positionen

Drei
Fragen an

Carsten Strähle (Foto), Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Eisenbahn öffentlicher Häfen (EöH), erläutert, warum die Schieneninfrastruktur der Häfen ausgebaut werden muss.

Herr Strähle, in vielen deutschen Häfen boomt der Schienenumschlag. Warum ruft die Branche nun nach dem Staat?
» Carsten Strähle: Das wachsende Verkehrsaufkommen der Güterbahnen erreicht in den trimodalen Logistikzentren der Häfen vielerorts die Kapazitätsgrenzen, vor allem an den Schnittstellen zum bundesdeutschen Schienennetz. Die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung streben aber eine Verdoppelung des Schienengüterverkehrs an. Das ist ohne Infrastrukturausbau nicht zu machen.

Was muss sich ändern?
» In den vergangenen Jahrzehnten ist Schieneninfrastruktur im Zulauf zu den Häfen zurückgebaut worden, einfach weil die Nachfrage lange Zeit rückläufig war. Doch Infrastrukturen sind eigentlich keine Wirtschaftsgüter, die Gewinn erbringen müssen. Netze, auch das Schienennetz, sind volkswirtschaftliche Qualitäten und damit Grundlagen für eine leistungsfähige Wirtschaft. Das ist klassische staatliche Daseinsvorsorge. Da mag der Einbau einer Weiche als sechsstellige Investition vor Ort teuer erscheinen, doch wenn sie mehr Verkehr ermöglicht, taucht sie in der ökonomischen wie der ökologischen Gesamtbilanz als Gewinnbringer auf.

Der von der EöH vorgelegte Forderungskatalog mit über 60 Einzelmaßnahmen wirkt sehr kleinteilig …
» Ist er auch, denn die erforderlichen Maßnahmen sollen spezifische örtliche Verhältnisse verbessern. Vergleichbar ist das mit einem Puzzle, wo erst das Gesamtbild einen Sinn ergibt. Das Problem unserer Branche ist, dass DB Netz einfach keine Finanzierungstöpfe für derartige Projekte hat. Jetzt muss die Verkehrspolitik ihre durchaus vorhandenen Ansätze für die jahrzehntealte Forderung „mehr Verkehr auf die Schiene“ auch ganz pragmatisch präzisieren. Und da mag der Forderungskatalog hilfreich sein.

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