Finanzierung
06.11.2017
Grenzenlos

Finanzspritze
für Wiens ÖPNV

Die U-Bahn in Wien wächst und wächst. Finanzierungsprobleme oder Vorbehalte der Bürger gegen Bauprojekte scheint der Öffentliche Verkehr dort nicht zu kennen. Woran liegt das? Nachdem „VDV Das Magazin“ in der vergangenen Ausgabe bereits einen Blick nach Dänemark geworfen hat, geht es nun in die österreichische Hauptstadt. Hier hat sich vor allem die „Dienstgeberabgabe“ als wichtiges Finanzierungsinstrument erwiesen.


Samstag, 2. September, 10 Uhr früh: In der U-Bahnstation Reumannplatz drängen sich die Menschen. Am Gleis setzt sich ein Zug der Linie U1 in Bewegung. „Oberlaa“ steht in leuchtendem Orange vorne auf der Zielanzeige – eine Premiere im regulären Betrieb. An diesem Samstagmorgen ist ein 600-Millionen-Euro schweres Großprojekt nach gut fünf Jahren Bauzeit abgeschlossen worden. Wien feiert die Verlängerung seiner U1.

Ziel ist es, das Netz Schritt für Schritt noch besser zu machen – durch
Netzausbau, neues Wagenmaterial, bessere Intervalle und guten Service.

Renate Brauner,
Stadträtin für Finanzen, Wirtschaft und Internationales der Stadt Wien

Um fünf Stationen beziehungsweise 4,6 Kilometer ist die U1 in Richtung Süden gewachsen. Das kommt vor allem den Menschen in Wiens einwohnerstärkstem Gemeindebezirk Favoriten zugute. 50.000 von ihnen leben im direkten Einzugsbereich der neuen U-Bahnstationen und sind nun deutlich besser ans Stadtzentrum angebunden. Viele weitere profitieren von der Anpassung des Busnetzes an die neue Linienführung der U1.

Mit der Verlängerung umfasst das Liniennetz der erst 1978 eröffneten U-Bahn jetzt etwas mehr als 80 Kilometer. „Und es wächst immer weiter“, sagt Johanna Griesmayr, Sprecherin des kommunalen Verkehrsunternehmens, der Wiener Linien. „Aber das ist auch notwendig – schließlich legt auch unsere Stadt um 30.000 bis 40.000 Einwohner pro Jahr zu.“

SANIERUNGSARBEITEN AN DER U4: BIS 2024 INVESTIEREN STADT UND WIENER LINIEN INSGESAMT 335 MILLIONEN EURO IN DIE MODERNISIERUNG DER LINIE.

Schon 2018 soll es weitergehen. Bis Ende der 2020er-Jahre will das Verkehrsunternehmen dann in zwei Ausbaustufen die U2 um sechs Kilometer verlängern und mit einer neuen U5 den 17. Bezirk Hernals an die Innenstadt anschließen. Und das völlig autonom: Die U5 wird die erste vollautomatisch betriebene U-Bahn-Linie in der österreichischen Hauptstadt sein, verkünden Stadt und Wiener Linien. Und nebenbei werden auch die restlichen U-Bahn-Strecken weiter modernisiert.

Es scheint, als könnte das Verkehrsunternehmen beim Erhalt und Ausbau seines U-Bahn-Netzes konsequent aus dem Vollen schöpfen. Und so ganz trügt der Eindruck nicht: In wenigen europäischen Großstädten wird der U-Bahn-Bau beziehungsweise der Öffentliche Verkehr generell so konsequent gefördert wie in Wien. Und das, obwohl – oder gerade weil – das Untergrundnetz zu den jüngeren Europas gehört. Erst Ende der 1960er-Jahre, und damit im Vergleich zu anderen Großstädten relativ spät, fiel der Entschluss, hier eine U-Bahn zu bauen. Doch Wien stand damals vor dem Verkehrsinfarkt. „Der Leidensdruck in der Innenstadt war wirklich groß. Überall gab es Stau, die Luft war nicht mehr zum Atmen“, so Johanna Griesmayr. Einkaufszentren und Unternehmen zogen raus auf die grüne Wiese. „Die Wertschöpfung floss ab. Zum Glück hatte man dann recht bald realisiert, dass das Auto hier nicht zielführend war.“ Eine attraktivere Innenstadt, weniger Autoverkehr: Der Bau der U-Bahn sowie die Stärkung des ÖPNV insgesamt sollten dafür die Lösung sein. Auf die Frage nach einer Finanzierung fand man rasch eine Antwort: die Dienstgeberabgabe.

STEP 2025: Für einen effizienten ÖPNV

Wie soll Wien im Jahr 2025 aussehen? Im Stadtentwicklungsplan „Step 2025“ wurden dazu verschiedene Ziele und Visionen definiert und in sechs Fachkonzepten weiter ausgeführt. Dabei spielt auch das „Fachkonzept Mobilität“ eine zentrale Rolle auf dem Weg zur lebenswerten, umweltfreundlichen Großstadt. Die Mobilitätsangebote sollen demnach „fair, gesund, kompakt, ökologisch, robust und effizient“ sein, heißt es bei der Stadt. Ziel sei es, einen Modal-Split-Anteil des Umweltverbundes von 80 Prozent zu erreichen. Derzeit liegt er bei 72 Prozent. Dafür soll auch der ÖPNV gestärkt werden. Als tragende Säule gelten Verbesserungen im S- und U-Bahn-Netz. Bereits heute kommen in Wien auf 1.000 Einwohner nur 381 Pkw – diese Zahl soll noch weiter sinken.

Arbeitgeber zahlen

Bei dieser „U-Bahn-Steuer“, so der Spitzname, werden die Arbeitgeber im Stadtgebiet zur Kasse gebeten. Für jeden Vollzeit-Mitarbeiter unter 55 Jahren zahlen sie heute zwei Euro pro Woche an die Stadt. 2016 kamen so fast 72 Millionen Euro zusammen. Diese Mittel werden zweckgebunden für den U-Bahn-Bau verwendet. Wird der Topf in einem Jahr nicht ausgeschöpft, wird das Geld für künftige Investitionen zurückgestellt. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Steuer: groß. Genauso wie für den ÖPNV und seinen Ausbau generell – egal, ob es um das U-Bahn-, Straßenbahn- oder Busnetz geht. „Neue Projekte werden grundsätzlich eher gefordert als abgelehnt“, sagt Johanna Griesmayr. Gerade die U-Bahn genieße ein sehr gutes Image – etwa aufgrund ihrer hohen Taktung.

Eine solide Finanzierung, eine hohe Akzeptanz der Bürger gegenüber Baumaßnahmen: Aus Sicht manches Verkehrsunternehmens mag die Situation wie ein wahrgewordener Traum klingen. „Also mit Blick auf die Wertschätzung und den Fokus der Politik auf den Öffentlichen Verkehr ist unsere Wunschliste schon sehr kurz“, scherzt Johanna Griesmayr. „In Wien wird der ÖPNV gut finanziert.“

Wichtigste Grundlage sind dabei die Finanzierungsvereinbarungen zwischen der Stadt und dem Verkehrsunternehmen, die immer über einen Zeitraum von 15 Jahren geschlossen werden. Die aktuelle gilt seit diesem Jahr – ihr zufolge sollen bis 2032 insgesamt 7,5 Milliarden Euro an Investitions- und Betriebskostenzuschüssen in U-Bahn, Bus und Straßenbahn fließen. Die Dienstgeberabgabe ist dabei nicht das einzige drittnutzerfinanzierte Instrument. Unter anderem fließen auch Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung an den ÖPNV.

Gefördert werden dabei nicht nur Ausbau und Erhalt, sondern auch das Angebot für die Kunden. Das Jahresticket kostet seit 2012 nur noch 365 statt 449 Euro – was die Zahl der Abonnenten entsprechend ansteigen ließ: von rund 400.000 auf aktuell über 735.000. „Solche Maßnahmen haben natürlich mit der politischen Zielsetzung zu tun“, so Johanna Griesmayr. Und in Wien wolle die Politik eben den ÖV stärken und seinen Anteil am Modal Split erhöhen. Der liegt aktuell bei 39 Prozent, der des Individualverkehrs bei 27 Prozent. Bis 2025 soll das Auto nur noch 20 Prozent ausmachen, heißt es im maßgeblichen Mobilitätskonzept zum Stadtentwicklungsplan (Step) 2025 (siehe Infokasten weiter oben, „Step 2025: Für einen effizienten ÖPNV“).
„Unser erklärtes Ziel ist es, das Netz Schritt für Schritt noch besser zu machen – durch Netzausbau, neues Wagenmaterial, bessere Intervalle und guten Service“, sagt dazu Renate Brauner, Stadträtin für Finanzen, Wirtschaft und Internationales. Auch die günstigen Tickets gehören dazu. „Wir sind davon überzeugt, dass nur diese Kombination weitere Menschen davon überzeugt, die Öffis zu nutzen.“

Auf einem guten Weg befindet sich die Stadt zumindest: 2016 fuhren 954 Millionen Menschen mit dem ÖPNV. Spätestens 2020 soll die Grenze von einer Milliarde Fahrgäste fallen.

Drittnutzerfinanzierung in Deutschland

Anders als in Österreich fehlt in Deutschland bisher der Rechtsrahmen zur Drittnutzerfinanzierung. Der VDV setzt sich deswegen für eine Anpassung der rechtlichen Grundlage ein. Denn ein moderner, leistungsfähiger ÖPNV und eine erfolgreiche Verkehrswende verlangen in Zukunft erhebliche finanzielle Anstrengungen in Sachen Modernisierung und Infrastrukturausbau. Aus Sicht des VDV stellt die Drittnutzerfinanzierung hierfür ein geeignetes Instrument dar. Denkbar wären etwa Beiträge von Immobilieneigentümern, Arbeitgebern, Autofahrern oder dem Handel, die von einem guten kommunalen ÖPNV profitieren. Auf freiwilliger Basis ist das übrigens nichts ganz Neues: Es gibt vereinzelte Übereinkünfte zwischen Verkehrsbetrieben und Unternehmen, die sich zum Beispiel an den Kosten für den Stadtbahnbau in einem neuen Gewerbegebiet beteiligen.

Mehr Informationen zu Großprojekten im Wiener ÖPNV finden Sie online unter: www.wien.gv.at/verkehr/oeffentlich/grossprojekte/

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