Verkehrspolitik
09.11.2021

Wie der Nahverkehr
die Klimawende schafft

Um die Fahrgastzahlen im ÖPNV zu verdoppeln und somit die Klimaziele bis 2030 zu erreichen, müssen die Verkehrsunternehmen das Angebot von Bussen und Bahnen deutlich ausweiten. Das geht nicht ohne Zusatzkosten. Ein Gutachten des Beratungsunternehmens Roland Berger hat einen Mehrbedarf von 48 Milliarden Euro ermittelt.

48

MRD. EURO

müssten bis 2030 zusätzlich aufgewendet werden, um das Mehrangebot im ÖPNV zu finanzieren, mit dem die Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreicht werden.

Mehr Impfstoff, Öffnungen in den Bereichen Freizeit, Sport, Kultur und Gastronomie sowie weniger Homeoffice: Seit dem Sommer kehren die Fahrgäste allmählich wieder in die Busse und Bahnen zurück. Rund drei Viertel der Menschen, die vor Corona mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren, nutzen diese inzwischen wieder regelmäßig. Während des bundesweiten Shutdowns zu Beginn des laufenden Jahres lag diese Zahl bei 60, zu Beginn der Pandemie im April 2020 bei lediglich zehn bis 20 Prozent. Mit der zunehmenden Nutzung von Bussen und Bahnen steigt wieder das Vertrauen der Fahrgäste. Der im Rahmen der Kampagne #BesserWeiter ermittelte Vertrauensindex erreichte bei seiner vorerst letzten Erhebung Ende August seinen Höchstwert. „Wir müssen weiter intensiv daran arbeiten, so schnell wie möglich so viele Fahrgäste wie möglich wieder oder neu von uns zu begeistern“, verdeutlicht VDV-Präsident Ingo Wortmann die tragende Rolle der Verkehrsunternehmen beim Klimaschutz: „Denn nur, wenn mehr Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, lassen sich die Klimaschutzziele im Verkehrssektor bis 2030 erreichen.“



Für dieses Ziel muss das ÖPNV-Angebot erheblich ausgebaut werden. In welchem Umfang die Leistungen gesteigert werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen, und wie viel Geld das zusätzlich kostet, schlüsselt nun ein Gutachten auf. Im Auftrag des VDV haben die Beratungsunternehmen Roland Berger, Intraplan und Florenus einen Mehrbedarf von 48 Milliarden Euro bis 2030 ermittelt, wovon allein auf 2030 elf Milliarden entfallen. Die Mittel werden benötigt, um mit deutlich mehr Personal und Fahrzeugen das ÖPNV-Angebot bundesweit auszudehnen - gerade auch mit innovativen Bedarfsangeboten und in dünner besiedelten Gebieten, wo bislang Busse und Bahnen seltener verkehren.

Mehr Kilometer machen

Gemeinsam mit 50 Verkehrsunternehmen und Verbünden hatten die Gutachter untersucht, wie die Finanzierung des ÖPNV bis 2030 aussehen muss. Dabei wurde ermittelt, wie stark die Angebote im Nahverkehr wachsen müssen, um die noch einmal ambitionierter gesteckten Klimaschutzziele erreichen zu können. Um die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 65 Prozent zu senken, wie es die Bundesregierung anstrebt, müssen die Personenkilometer im Nahverkehr bis 2030 um 24 Prozent und die Fahrleistung um 60 Prozent anwachsen. Das führt zu deutlich höheren Kosten (siehe Grafik). Die Belastung der Verkehrsunternehmen würde um 89 Prozent steigen, so das Gutachten. Dagegen legen in diesem Zeitraum die Einnahmen aus dem Verkauf von Tickets lediglich um 52 Prozent zu – macht unterm Strich eine ungedeckte Finanzierungslücke von 48 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030.
Differenziert nach den unterschiedlichen Verkehrsmitteln steigen insbesondere die Angebote des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) um 36 Prozent in ihrer Leistung nach Zugkilometern. Gemessen an den Fahrzeugkilometern legen währenddessen Buslinien und Linienbedarfsverkehre in den Regionen um 107 Prozent zu. Für den SPNV ergibt sich daraus in 2030 ein zusätzlicher konsumtiver Finanzierungsbedarf – also Ausgaben, die im jeweils laufenden Haushaltsjahr ihren Nutzen stiften – in Höhe von 6,8 Milliarden Euro sowie für den öffentlichen Personennahverkehr auf der Straße ein Bedarf von 7,8 Milliarden Euro. Dabei gehen die Gutachter von der Annahme aus, dass die Mittel der öffentlichen Hand gemäß gesetzlicher Vorgaben beziehungsweise mit der unterstellten Inflationsrate anwachsen. Demnach sind bereits 3,6 von diesen insgesamt 14,6 Milliarden Euro gedeckt.


Für den Personennahverkehr auf der Straße und der Schiene ergibt sich im Jahr 2030 ein Bedarf von 14,6 Milliarden Euro.



Jetziges Finanzierungssystem als Basis

Unterdessen leisten die Verkehrsunternehmen ihren unternehmerischen Beitrag, die Verkehrswende zu realisieren. Selbst wenn es beim heutigen Leistungsumfang im ÖPNV bliebe, würden die Kosten zwischen 2018 und 2030 um 32 Prozent steigen. Ins Geld gehen insbesondere Personal- und Energiekosten, Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur und die Erneuerung des bestehenden Fahrzeugparks sowie die digitale Transformation. Künftig können die Anbieter der öffentlichen Mobilität ihrer derzeitigen und künftigen Stammkundschaft nachhaltig angenommene Angebote nur dann machen, wenn die Leistungsfinanzierung des Gesamtsystems auf die bisherige Finanzierung aufsetzt und sie ergänzt. Die zusätzlichen Mittel, die benötigt werden, um die Finanzierungslücke zu schließen, sollen zweckgebunden an die Verkehrsunternehmen fließen und sich an den jeweiligen Angebotsformen orientieren.

Wesentliche Bestandteile der heutigen wie auch der künftigen ÖPNV-Finanzierung sind die Fahrgeldeinnahmen. Das Gutachten kommt daher unter anderem zu dem Ergebnis, dass Länder und Kommunen im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit Verantwortung dafür tragen sollten, die Tarife mindestens inflationsausgleichend zu stabilisieren. Zudem wird es notwendig sein, die externen Kosten des motorisierten Individual­verkehrs einzubeziehen und diesen zu reglementieren – etwa in Fragen der Flächennutzung, Parkraumbewirtschaftung und Drittnutzerfinanzierung sowie beim Umgang mit klimaschädlichen Subventionen.

Weitere Informationen und das Gutachten „Verkehrswende gestalten – leistungsstark und nachhaltig“ unter: www.vdv.de/oepnv-leistungskosten

Nötiges ÖPNV-Wachstum und Finanzierungsbedarf für das Erreichen der Klimaschutzziele bis 2030

* Die Personenkilometer geben Auskunft über die Verkehrsleistung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Sie ergeben sich aus der Zahl der Fahrgäste, multipliziert mit der durchschnittlich zurückgelegten Entfernung in Kilometern, der sog. mittleren Fahrtweite. So legen Busse und Bahnen im Nahverkehr deutschlandweit über 90 Milliarden Personenkilometer im Jahr zurück.

** Die Fahrzeugkilometer (Fahrleistung) bezeichnet die in einem bestimmten Zeitraum von Bussen und Bahnen zurückgelegte Distanz in Zug- oder Buskilometern. Für die Berechnung werden alle Fahrten herangezogen,unabhängig von der Anzahl der beförderten Fahrgäste.

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