Verkehrspolitik
28.02.2022

„Wir müssen Daten viel intensiver nutzen“

„Mehr Fortschritt wagen“: Unter dieses Leitmotiv hat die Bundesregierung die Legislaturperiode gestellt. Dr. Volker Wissing (MdB), Bundesminister für Digitales und Verkehr, erläutert in seinem Gastbeitrag für „VDV Das Magazin“ Ziele und Vorhaben in der Verkehrspolitik.


Der öffentliche Personenverkehr macht es möglich: morgens auf dem Weg zur Arbeit in Ruhe Zeitung lesen oder erste E-Mails bearbeiten; aus dem Fenster schauen und sehen, wie sich draußen die Autos drängen; oder einfach noch ein bisschen dösen. Derzeit erleben das 20 Millionen Pendler täglich. Vor der Pandemie waren es sogar 25 Millionen – und wir werden alles daransetzen, dass es bald noch viel mehr werden. Deutschland muss und will klimaneutral werden, dieses Ziel nimmt die Bundesregierung ernst. Der Verkehrsbereich muss dazu einen großen Beitrag leisten. Heute stößt er 145 Millionen Tonnen CO2 jährlich aus. Bis 2030 dürfen es nur noch 85 Millionen Tonnen sein. Das können wir nur schaffen, wenn wir beim Individualverkehr auf alternative Antriebe umsteigen – und gleichzeitig versuchen, möglichst viele Wege und Transporte zu bündeln. Ein Güterzug zum Beispiel kann 52 Lkw ersetzen. Und selbst ein nur zur Hälfte besetzter Personenbus benötigt deutlich weniger Energie als die Autos, die unterwegs wären, wenn jeder Fahrgast allein führe. Ein überzeugendes Angebot auf der Schiene und ein attraktiver Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) sind daher Kernelemente für das Erreichen der Klimaziele.

Zurück zum Aufwärtstrend

In den Städten waren wir da bereits auf einem guten Weg. Vor Corona hat der ÖPNV die Fahrgastzahlen jedes Jahr auf neue Rekorde gesteigert. Sobald die Pandemielage es wieder zulässt, müssen wir diesen Aufwärtstrend fortsetzen – mit Angeboten, die Lust machen, wieder in Bus und Bahn zu steigen. Überdachte Haltestellen, digitale Fahrzeitenanzeiger und die erfreulicherweise allmählich steigende Zahl an E-Bussen werden nicht reichen. Wir brauchen klug aufeinander abgestimmte, regelmäßige Vertaktungen und einfache Buchungs- und Bezahlsysteme, sodass man problemlos von einem Verkehrsmittel zum anderen wechseln kann. Im Idealfall funktioniert das bundesweit, etwa mit einer einheitlichen App für alle Verkehrsverbünde. Das Projekt „Mobility inside“, mit dem einige Verkehrsverbünde gemeinsam mit der Deutschen Bahn im März an den Start gehen, ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung – und wird genau deshalb vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit mehr als zehn Millionen Euro unterstützt. Doch um die Fahrgastzahlen deutlich zu steigern, brauchen wir noch mehr: kreative, überraschende Ideen, die den ÖPNV attraktiver machen.

Intelligent verknüpfte Daten können den Umstieg auf den ÖPNV und zwischen den Verkehrsmitteln erleichtern.

Das Schlüsselwort heißt in diesem Fall: Daten. Wir müssen sie viel intensiver nutzen, zum Beispiel um durchgängige, unkomplizierte Verkehrsangebote zu entwickeln. Wenn etwa ein ÖPNV-­Unternehmen Daten darüber anbietet, zu welcher Tageszeit die meisten Fahrgäste an einer Haltestelle ankommen oder abfahren, kann das für einen Carsharing-Anbieter sehr interessant sein – er könnte sein Fahrzeug-Angebot darauf abstimmen. Umgekehrt ist es für ein öffentliches Nahverkehrsunternehmen interessant zu erfahren, für welche Verbindungen die Menschen am häufigsten ein Taxi nehmen. Getreu unserem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ werden wir daher die Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter verpflichten, ihre Echtzeitdaten bereitzustellen. Dabei müssen die Bedingungen natürlich für alle fair sein. Wenn sich Einzelne verweigern, etwa weil sie ihre Daten pauschal für wettbewerbsrelevant und geschützt erklären, wird es nicht funktionieren. Um die Chancen der Digitalisierung wirklich nutzen zu können, müssen wir unsere Datenschätze heben. Intelligent verknüpft können wir so etwa den Umstieg vom Bus auf das Leihrad erleichtern oder von der Bahn auf das Carsharing-Auto. Es können innovative Mobilitätslösungen und neue digitale Angebote entwickelt werden, die Bus und Bahn ergänzen – und individuell zur Situation der Menschen passen. Das kann gerade für den ländlichen Raum sehr wichtig sein. Denn einen eng getakteten Linienbus-Verkehr wie in der Stadt wird es dort nie geben. Auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielen attraktive Mobilitätsangebote eine wesentliche Rolle. Im Rahmen der Förderrichtlinie „Modellprojekte im ÖPNV“ fördert mein Haus in den kommenden Jahren zwölf innovative Modellprojekte mit insgesamt 200 Millionen Euro. Dabei geht es zum Beispiel um On-demand-Dienste, vernetzte Auskunfts- und Vertriebssysteme bis hin zu 365-Euro-­Jahrestickets.

Wichtig bei allen neuen Angeboten ist: Sie sollen den ÖPNV ergänzen – nicht behindern, sonst werden wir die Klimaschutzziele nicht erreichen. Der Klimawandel aber lässt sich leider nicht um Geduld bitten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat uns sehr deutlich gemacht, dass wir zum Einhalten der Klimaschutzziele verpflichtet sind und deshalb schnell und wirkungsvoll handeln müssen.

Umstieg: eine Aufgabe für alle

Eines muss aber klar sein: Der Umstieg auf eine nachhaltige Mobilität ist nicht allein Aufgabe des Staates, sondern eine Herausforderung, die die Gesellschaft gemeinsam angehen muss. Wir alle sollten uns regelmäßig fragen, ob wir unsere Mobilitätsbedürfnisse wirklich schon auf die klimafreundlichste Art erfüllen, die uns möglich ist – oder ob da nicht noch ein bisschen mehr geht. Damit kämen wir schon einen großen Schritt voran.

Parallel dazu wird die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode alles daransetzen, dass möglichst viele attraktive Mobilitätsangebote entstehen – und dass immer mehr Menschen diese Attraktivität erkennen. Der ÖPNV hat dabei klare Vorteile. Bus und Bahn sind klimafreundlich, man muss sich während der Fahrt nicht konzentrieren, steht nicht im Stau und spart sich anschließend die Parkplatzsuche. Klug vernetzt, eng vertaktet und ergänzt um innovative Angebote, die die Menschen zum Bahnhof oder zur Haltestelle bringen und von dort wieder nach Hause – das ist die Zukunft des ÖPNV. Und genau das muss das Ziel sein: dass die Menschen den ÖPNV nicht nur nutzen, weil sie es müssen oder weil sie umweltbewusst sind, sondern weil es so bequem, günstig und praktisch ist. Eben einfach gut.

Klug vernetzt, eng vertaktet und ergänzt um innovative Angebote: So kann der ÖPNV die Menschen für sich gewinnen.
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