Finanzierung
02.11.2018
Hintergrund

„Wir haben gesagt, was passiert, wenn nicht in den ÖPNV investiert wird“

Erfurt bekommt 14 neue Straßenbahnen. Möglich machen das Fördermittel in Höhe von 26 Millionen Euro, die von der EU und vom Freistaat Thüringen zur Verfügung gestellt werden. Die neuen Fahrzeuge sollen helfen, das stark wachsende Fahrgastaufkommen in der Landeshauptstadt zu bewältigen. Für die Unterstützung beim Kauf der 40 Meter langen Trams hatten sich die VDV-Landesgruppe Sachsen/Thüringen und die Erfurter Verkehrsbetriebe AG (EVAG) intensiv eingesetzt – unter anderem Ende Juni bei der Länderkonferenz der Infrastrukturinitiative „Damit Deutschland vorne bleibt“. „VDV Das Magazin“ sprach darüber mit Myriam Berg (Foto unten), EVAG-Vorstand und stellvertretende Vorsitzende der VDV-Landesgruppe.


Frau Berg, warum benötigt Erfurt so dringend neue Straßenbahnen?
» Myriam Berg:
In Erfurt fahren an Werktagen 150.000 Menschen mit der Stadtbahn und dem Bus – und es werden immer mehr. Zwischen 2011 und 2017 lag das Fahrgastplus bei sieben Prozent, bis 2025 erwarten wir einen weiteren Anstieg von zehn Prozent. Zu den Stoßzeiten sind unsere Bahnen übervoll. Das können wir unseren Fahrgästen auf Dauer nicht zumuten. Außerdem kommen die Bahnen, die nach der Wiedervereinigung angeschafft wurden, allmählich in die Jahre.

Wie kam es zu dieser überraschenden Zuwendung der Fördermittel?
» So überraschend war es für uns nicht. Nachdem sich Ministerpräsident Bodo Ramelow erfolgreich dafür eingesetzt hatte, dass die Mitte-Deutschland-Verbindung der Deutschen Bahn im Bundesverkehrswegeplan höher priorisiert wurde, öffnete sich über die Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) eine weitere Tür. Hinzu kamen elf Millionen Euro des Freistaates Thüringen. Nun liegt die Förderung unserer neuen Straßenbahnen knapp unter 50 Prozent. Ohne dieses Geld wäre so eine Neuanschaffung für die EVAG nicht zu stemmen gewesen. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken.

Zuerst muss in Infrastruktur und Fahrzeuge investiert werden, bevor wir die Mobilitätsangebote ausbauen können.

Myriam Berg, EVAG-Vorstand und stellvertretende Vorsitzende der VDV-Landesgruppe Sachsen/Thüringen

Über einen warmen Geldsegen würden sich die Verkehrsbetriebe in Gera, Gotha, Jena und Nordhausen sicherlich ebenso freuen. Wie soll es dort weitergehen?
» Der Freistaat hat mit dem Förderbescheid ein eindeutiges Signal auch an die anderen thüringischen Straßenbahnstädte gesendet. Erfurt konnte zum Zug kommen, weil wir im Moment der einzige Verkehrsbetrieb sind, bei dem ein Beschaffungsprogramm läuft. Jetzt kommt es darauf an, dass die Branche zusammen mit der Politik auch für die anderen Städte ein gemeinsames Finanzierungskonzept erarbeitet.

Die VDV-Landesgruppe Sachsen/Thüringen und Sie persönlich haben intensiv für die Fördermittel geworben. Wie sind Sie vorgegangen?
» Wir haben immer klar gesagt, dass zuerst in die Infrastruktur und in Fahrzeuge investiert werden muss, bevor wir die Mobilitätsangebote ausbauen können. Und erst im dritten Schritt können wir über besondere Tarifangebote nachdenken. Der Dialog, den wir dazu mit der Politik in der Kommune und im Freistaat geführt haben, lief sehr faktenbasiert, sachlich und konstruktiv.

Welche Rolle spielte dabei die Länderkonferenz Ende Juni?
» Ich glaube, auch auf der Länderkonferenz ist es uns gut gelungen, die Lage darzustellen. Wir bekamen eine große öffentliche Aufmerksamkeit, und unsere Themen sind von der Politik verstanden worden. Wir sind nicht als Bittsteller aufgetreten, sondern haben die Brisanz verdeutlicht, was passiert, wenn nicht in den ÖPNV investiert wird. Am dritten Werktag nach der Länderkonferenz hatten wir einen bereits länger geplanten Termin beim Ausschuss für Infrastruktur des Thüringer Landtages. Dort überraschte uns der Staatssekretär des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft, Dr. Klaus Sühl, mit der Idee für ein Sonderprogramm Straßenbahnbeschaffung, das ab 2019 gelten soll. Damit soll für alle Thüringer Straßenbahnbetriebe eine verlässliche, solide Finanzierungsbasis und Planungssicherheit für unsere Investitionsprojekte geschaffen werden. Für die 14 neuen Straßenbahnen der EVAG, die bereits in 2018 bestellt werden sollten, musste eine andere Lösung her. Hier haben sich alle ordentlich ins Zeug gelegt: Unsere Mitarbeiter bei der EVAG, das Ministerium und die Thüringer Aufbaubank als Fördermittelgeber. Unser Engagement hat sich gelohnt: Voraussichtlich ab Ende 2020 werden die Erfurter mit den ersten der 14 neuen Bahnen fahren können. Und mit weiteren zehn neuen Fahrzeugen wollen wir bis 2024 unsere Flotte auf 84 Bahnen ausbauen und so unsere gesamte Beförderungskapazität um fast ein Drittel erhöhen.

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