Verkehrspolitik
30.03.2020

Verkehrswende einfach machen

Auf dem Weg zur künftigen Mobilität in den Städten sind der gute Wille ausgeprägt und viele interessante Ansätze vorhanden. In der Praxis stoßen sie jedoch auf bürokratische Hindernisse und bürgerliche Widerstände. Das wurde einmal mehr deutlich auf dem F.A.Z.-Mobilitätsgipfel. Dass in der politischen Sacharbeit zumindest Parteigrenzen leichter überwindbar erscheinen, zeigte sich dabei ebenfalls.

Politik kann so einfach sein. Das demonstrierten Andreas Scheuer (CSU) und Cem Özdemir (Grüne) vor den 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des F.A.Z.-Mobilitätsgipfels. Per Handschlag einigten sich der Bundesverkehrsminister und der Verkehrsausschussvorsitzende im Bundestag, wie sie die Planung von Verkehrswegen weiter beschleunigen. Dazu gehört, Engpässe im Schienennetz zu beseitigen, Weichen auszutauschen, Ausweichgleise für den Begegnungsverkehr zu bauen, weitere Strecken zu elektrifizieren und Radwege auszubauen. Wie die derzeitige Praxis aussieht, hatte zuvor Mecklenburg-Vorpommerns Infrastrukturminister Christian Pegel geschildert. Aufgrund des Planungsrechts dauere es drei bis sieben Jahre, einen Radweg entlang einer Straße zu bauen. Noch komplizierter werde es, einen Bahnübergang zu kreuzen. Denn dann sei ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren vonnöten. „Wir brauchen ein deutliches Abrüsten der Regeln“, so Pegel. Scheuer versprach, das Thema aus dem Nordosten mit „abzuräumen“.

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Die Menschen sollen
nicht umsteigen müssen,
sondern umsteigen
wollen.

Dr. Chloë Voisin-Bormuth,
Think Tank „La Fabrique de la Cité“

Sichere Radwege und die Lebensqualität in den Städten liegen auch Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe am Herzen. Der Vizepräsident des Deutschen Städtetags erinnerte daran, dass zehn Prozent der Autofahrten über weniger als 1,5 Kilometer liefen, und mahnte: „Die Lebensqualität einer Stadt ist viel mehr, als ein dauerhafter Parkplatz zu sein.“ Dass die Infrastruktur für die Menschen da ist, sagte auch Dr. Chloë Voisin-­Bormuth. Auf dem Weg zur Verkehrswende gehe es darum, die Menschen zu begleiten. „Die Menschen sollen nicht umsteigen müssen, sondern umsteigen wollen.“ Die Leiterin des Bereichs Studienentwicklung beim Pariser Think Tank „La Fabrique de la Cité“ eröffnete mit ihrem Vortrag den zweiten Teil der Veranstaltung. Wie sich in Zukunft mehr Mobilität mit weniger Verkehr gestalten lässt, war darin die Frage. Gilles Dostert, Generaldirektor des Luxemburger Verkehrsverbundes, erläuterte, wie das Großherzogtum mit massiven Investitionen seine Verkehrsinfrastruktur ausgebaut hat und weiter ausbaut – die Voraussetzung, um seit März kostenlosen ÖPNV zu ermöglichen (siehe auch „VDV Das Magazin“ 1/2020). „Gratis-­ÖPNV ist bei uns die Kirsche auf der Torte.“

Dr. Tom Kirschbaum (Door2door), Dr. Chloë Voisin-Bormuth, Gilles Dostert, Johannes Pennekamp, VDV-Präsident Ingo Wortmann, Karsten Schulze (ADAC) und Dr. Matthias Jacob (Hauptverband der Deutschen Bauindus­trie) (v. l. n. r.)

Dass Luxemburg angesichts der hohen Ausgaben „keine Blaupause für deutsche Verkehrsunternehmen“ sein könne, verdeutlichte VDV-­Präsident Ingo Wortmann. Allein in München würde der kostenlose Nahverkehr 500 Millionen Euro pro Jahr kosten. Vielmehr müsste der ÖPNV in den Ballungsräumen ausgebaut und bessere Angebote im ländlichen Raum geschaffen werden. Wie zuvor Andreas Scheuer erteilte Ingo Wortmann dem Ruf nach 365-Euro-­Jahrestickets eine Absage. „Erst verbilligen und dann das Angebot schaffen, ist die falsche Reihenfolge.“ Ganz ohne Auto wird es in Zukunft nicht gehen. „Wir brauchen leistungsfähige Straßen und Achsen“, betonte Karsten Schulze, Vizepräsident Technik beim ADAC. Er forderte, Sharing-Modelle so zu gestalten, dass sie Stadtgebiete vollständig abdecken und ins Umland reichen, damit sie von möglichst vielen Nutzern angenommen werden können. Die Bedeutung von On-Demand-Verkehren, die den ÖPNV mit Bussen und Bahnen ergänzen, hob Dr. Tom Kirschbaum, Chef von Door2door, hervor. „ÖPNV muss in den Köpfen nicht nur U-Bahn und der große Bus sein, sondern auch die kleinen flexibilisierten Minibus-Systeme.“

Die Veranstaltung, die in diesem Jahr den Titel „Mobilität in Deutschland – Städte erfinden sich neu“ trug, fand zum zweiten Mal statt. Zusammen mit der F.A.Z. hatten der ADAC, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und die Initiative „Deutschland mobil 2030“ eingeladen.

Einen Mitschnitt der Veranstaltung finden Sie unter: www.bit.ly/faz_mobilitaetsgipfel

Weitere Informationen zum Thema: www.deutschland-mobil-2030.de

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