Infrastruktur
24.02.2021

„Mehr Projekte über die Bewertungsgrenze bringen“

Die Fördermittel zum Ausbau kommunaler Verkehrsinfrastruktur wurden erhöht, Planungen können beschleunigt werden. Trotzdem droht die Mobilitätswende mancherorts ins Stocken zu geraten. Das liegt auch an der „Standardisierten Bewertung“ – einer Methode, um den Nutzen und die Kosten von Verkehrsprojekten abzuwägen. Der Bund will dieses Verfahren nun weiterentwickeln. VDV-Präsident Ingo Wortmann (Foto) nimmt dazu Stellung.


Die Grundlagen für die Verkehrswende sind gelegt. Aber Planungs- und Genehmigungsprozesse dauern nach wie vor zu lange, und Fördermittel können nicht abgerufen werden. Warum ist die Reform der Standardisierten Bewertung so dringend?

» Ingo Wortmann: Die Standardisierte Bewertung ist grundsätzlich ein bewährtes Verfahren, aber wir benötigen eine Fortschreibung verschiedener Aspekte, wie zum Beispiel eine höhere Bewertung von Klimaschäden, die Berücksichtigung von Maßnahmen zum Erreichen der Verkehrswende in den Städten und die Neutralisierung von Kosten für weitere gesellschaftliche Ziele – wie etwa die Herstellung der Barrierefreiheit. Darüber hinaus eröffnet das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) nun weitere Fördertatbestände, wie etwa die Reaktivierung von Eisenbahnstrecken. Dies gilt es, entsprechend im Verfahren aufzunehmen.

Wir würden es sehr begrüßen, wenn sich die Wachstumschancen, die nur durch den Ausbau des ÖPNV möglich werden, positiv in der Bewertung niederschlagen.

Ingo Wortmann, VDV-Präsident und Geschäftsführer der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG)

Wie könnte die Standardisierte Bewertung in einer reformierten Version fortgeschrieben werden?

» Als VDV haben wir verschiedene Vorschläge für die Fortschreibung eingebracht. Eine neue Idee ist ein optionaler Baustein zur Berücksichtigung von Maßnahmen zur Verkehrswende, wie Parkraumbewirtschaftung oder die Bevorrechtigung des Umweltverbundes zulasten des Autoverkehrs für die Städte, die sich zu solchen Maßnahmen entscheiden. Wir würden es auch sehr begrüßen, wenn sich die Wachstums­chancen, die nur durch den Ausbau des ÖPNV möglich werden, positiv in der Bewertung niederschlagen.

Wie können die Änderungen beim GVFG besser wirken und damit der ÖPNV sowie der Regionalverkehr gestärkt werden?

» Das GVFG wurde novelliert und endlich mit mehr Finanzmitteln ausgestattet, die Vorschriften zur Bauplanung wurden mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz angepasst. Jetzt ist die Fortschreibung der Standardisierten Bewertung dringend, um mehr offensichtlich erforderliche Projekte über die Bewertungsgrenze zu bringen. Diese war in der Vergangenheit immer schwieriger zu erreichen, zum Beispiel, weil die Baukosten durch den geforderten Brandschutz oder städtebaulich optimale Bauverfahren stetig gestiegen sind.

Standardisierte Bewertung

Die „Standardisierte Bewertung“ von geplanten Investitionsvorhaben in die kommunale Verkehrsinfrastruktur dient dazu zu prüfen, ob ein ÖPNV-Projekt nach den Vorgaben des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) gefördert werden kann. Die öffentlichen Mittel müssen möglichst sinnvoll verwendet werden. Um das zu gewährleisten, werden Kosten und Nutzen eines Vorhabens sorgfältig abgewogen – in gesamtwirtschaftlicher und in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Diesem trägt ein besonderer Indikator Rechnung. Demnach sind nur solche Projekte zuschussfähig, für die ein Nutzen-Kosten-Indikator über 1,0 ermittelt wird – deren Nutzen somit die Kosten übersteigt. Unberücksichtigt bleiben bislang Faktoren wie der weiterreichende Nutzen eines Ausbauvorhabens etwa für die Entlastung anderer Strecken, die Stabilität des Netzes und für den Klimaschutz.

Welche Gesichtspunkte sollten außerdem einfließen, um städtische Nahverkehrsprojekte wie den Ausbau von U-, S- und Straßenbahnen sowie von regionalen Eisenbahnstrecken voranzubringen?

» In den Städten sind die Aspekte Luftreinhaltung, Klima, Wachstum, Verkehrswende und Barrierefreiheit am wichtigsten. Bei der Reaktivierung von Eisenbahnstrecken können weitere Aspekte herangezogen werden, wie beispielsweise die Erschließung von Mittelzentren mit der Schiene, die längerfristigen Perspektiven für die Wirtschaft und Bevölkerung durch einen Schienenanschluss bis hin zu positiven Effekten für den Schienengüterverkehr.

Als Geschäftsführer der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) haben Sie unter anderem den künftigen Bau der U9 vor der Brust – eine neue Nord-Süd-Linie, die das Zentrum quert und entlastet ...

» Die U9 ist ein zentrales Projekt für die zukünftige Kapazität des gesamten Verkehrs in München, für das weitere Wachstum der Stadt und für den Umstieg von noch mehr Menschen auf die klimafreundliche U-Bahn. Aber das Bauen in der Tiefe in der Innenstadt ist immer teurer geworden und deshalb ist es gut, wenn auch die Nutzenaspekte in ihrer Bewertung angepasst werden.

Wann wird die neue Form der Standardisierten Bewertung vorliegen?

» Die Ausschreibungsunterlagen des Bundesverkehrsministeriums sehen eine baldige Vergabe des Projekts vor mit dem Ziel, am Ende dieses Jahres ein Ergebnis zu haben. Durch die Einbindung der Länder und der Verbände, allen voran des VDV als Branchenverband, kann schon während der Erarbeitung die fachliche Begleitung und – wo nötig – auch ein politischer Kompromiss erfolgen, so dass wir hoffentlich zu Beginn des nächsten Jahres mit der modernisierten Version werden arbeiten können.

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