Innovationen
13.11.2017
Aktuell

Bus auf App-Ruf

Kein Fahrplan, keine festen Strecken und Haltestellen: Die Duisburger
Verkehrsgesellschaft (DVG) testet ein nachfrageorientiertes Bus-Konzept.
Am Wochenende ergänzen nun Kleinbusse das bestehende ÖPNV-Angebot.


In Duisburg bringt der ÖPNV Nachtschwärmer jetzt von Tür zu Tür: Seit Ende September testet das städtische Verkehrsunternehmen den On-demand-Bus – den Bus auf Abruf. In den Nächten am Wochenende sowie tagsüber an Sonntagen gibt es nun „Mybus“ als zusätzliches Angebot im Nahverkehr. Fünf silber-rote Vans können jeweils bis zu fünf Fahrgäste individuell abholen und sie zum Wunschziel bringen. Neu ist, dass die DVG dafür eine digitale Plattform samt App einsetzt. Entwickelt wurde die technische Grundlage vom Berliner Start-up „Door2Door“. „Die Technik, die dahintersteckt, hätten wir nur mit sehr viel Aufwand selbst auf die Beine stellen können. Deshalb hat sich eine Kooperation mit einem Start-up angeboten, das genau auf diese Lösung spezialisiert ist“, sagt Ingo Blazejewski, Leiter der Konzernkommunikation der Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft.

Unter den deutschen Verkehrsunternehmen nimmt die DVG mit ihrem datenbasierten Mobilitätskonzept eine Vorreiterrolle ein. „Einerseits wollen wir neue Kunden für den ÖPNV gewinnen“, berichtet Birgit Adler, die das Projekt sowie den Bereich Betrieb und Markt verantwortet. „Andererseits bietet sich mit ,Mybus‘ künftig eine Option, die Verkehrsleistung in Randgebieten oder zu Schwachverkehrszeiten flexibler zu gestalten und auf die individuelle Nachfrage der Fahrgäste anzupassen.“

Personen-
beförderungsgesetz

Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) regelt, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen mit ihren Bussen, Straßen-, Stadt- und U-Bahnen sowie Taxen Fahrgäste befördern dürfen. Neue Marktteilnehmer wie Uber oder Mytaxi, die Ridesharing und Rideselling anbieten, kritisieren insbesondere die Regelungen zu Taxi- und Mietwagenverkehren als nicht mehr zeitgemäß und unflexibel. Nach Auffassung des Taxigewerbes schützt das PBefG dagegen Unternehmen und Kunden vor Dumping und unlauterem Wettbewerb. Innovationen im Personenverkehr wie der von der DVG angebotene „Mybus“ – er gilt im Sinne des PBefG als Mietwagen mit Fahrer – und bestehende gesetzliche Regelungen stehen nicht im Widerspruch. Das PBefG sei „nicht per se innovationsfeindlich“, betont Dr. Jan Schilling, VDV-Geschäftsführer ÖPNV (siehe Interview). Wenn sie öffentlichen Verkehrsinteressen nicht entgegenstehen, erlaubt das Gesetz auch „atypische“ Verkehrsformen (Paragraf 2, Abs. 6). Das sind Angebote, die vom klassischen Linienverkehr abweichen. Zudem gibt es zur praktischen Erprobung neuer Verkehrsarten eine „Experimentierklausel“ (Paragraf 2, Abs. 7).

www.gesetze-im-internet.de/pbefg/index.html

Angebot passt sich in Echtzeit der Nachfrage an

In der Testphase bedienen die Kleinbusse ein Gebiet von etwa sechs Quadratkilometern rund um den Hauptbahnhof. Das Prinzip ist einfach: Der Nutzer gibt in sein Smartphone den Start- und Endpunkt seiner Fahrt sowie die Anzahl der Personen ein. Das System ermittelt dann den kürzesten Weg zum Ziel. Wollen weitere Nutzer an anderer Stelle zusteigen, rechnet ein Algorithmus die Anfragen in die Route ein. Auf diese Weise passt sich das Angebot in Echtzeit der Nachfrage an. Größtmögliche Flexibilität gilt jedoch nur für den Kunden, nicht für den Fahrer. Er darf keinesfalls vermeintliche Abkürzungen nehmen, die den Algorithmus durcheinanderbringen würden, sondern muss sich genau an die Vorgaben seines Navis halten. Zeitgleich zeigt das Handy des wartenden Kunden an, wo sich sein Bus befindet und wann er bei ihm eintrifft. Die DVG verspricht: Nicht länger als 20 Minuten soll ein Fahrgast auf seinen Bus warten und keine Umwege von mehr als einer Viertelstunde in Kauf nehmen müssen.

Bis Ende Oktober war das Angebot für die 1.000 registrierten freiwilligen Testkunden kostenlos. Mittlerweile können es alle Duisburger zum Preis von 3,20 Euro für die einfache Fahrt im Stadtgebiet nutzen. Kunden mit Abo oder Zeitkarten sowie Kinder zahlen 2,50 Euro. Abgerechnet wird ebenfalls über die App. Die Testphase mit dem begrenzten Bediengebiet und den auf das Wochenende beschränkten Betriebszeiten läuft bis Ende 2020. „Unser Ziel ist es, ein bedarfsgerechtes Zusatzangebot dauerhaft zu etablieren und in unser bestehendes ÖPNV-System zu integrieren“, erläutert Projektleiterin Birgit Adler: „Da es sich um ein völlig neues System handelt, werden wir zunächst Erfahrungen sammeln müssen.“ Wie die aussehen, interessiert bereits andere Verkehrsunternehmen. An den ersten Wochenenden lief das System stabil. Ingo Blazejewski: „Viele waren überrascht, dass es so funktioniert, wie wir angekündigt haben.“

Mehr Informationen finden
Sie online unter:
www.dvg-mybus.de

Drei
Fragen an

Dr. Jan Schilling, VDV-Geschäftsführer für den Bereich ÖPNV


» Macht sich der ÖPNV mit Angeboten wie Bus-on-demand jetzt selbst Konkurrenz?
Dr. Jan Schilling: Keineswegs, neue Angebote haben das Potenzial, die Leistungen von Verkehrsunternehmen als Mobilitätsdienstleister zu erweitern und zu ergänzen. Viele Unternehmen sind hier aktiv und beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Darüber hinaus zeigt das aktuelle Beispiel aus Duisburg, dass solche Innovationen auch im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelungen möglich sind. Der bestehende Rechtsrahmen reicht derzeit völlig aus. Anders als von manchen Anbietern digitaler Plattformen gefordert, brauchen wir keine Liberalisierung des PBefG. Denn es ist nicht per se innovationsfeindlich.

» Dennoch dauert es, bis innovative Angebote in die Praxis umgesetzt werden. Woran liegt das?
Sehr viel Zeit geht beispielsweise durch intensive Diskussionen mit den Genehmigungsbehörden verloren. Wünschenswert wäre es, die Verfahren einheitlicher zu gestalten und administrative Hürden zu senken. Bislang sind meines Wissens jedoch alle innovativen Verkehrsformen, die beantragt wurden, auch genehmigt worden – wenngleich teilweise mit Einschränkungen. Wenn wir Innovationen wollen, wäre eine Debatte um das PBefG gegebenenfalls auch kontraproduktiv. Denn in der damit verbundenen langen Phase der Verunsicherung würden wir eher weniger als mehr Innovationen sehen.

» Welche Auswirkungen befürchten Sie, wenn die Änderung des bestehenden Ordnungsrahmens zur Debatte steht?
Wir sind gerade in einer Phase, in der viele Anbieter mit Lösungen experimentieren und Erfahrungen sammeln. Das ist gut so, denn wir brauchen am Ende passgenaue Lösungen. „One size fits all“ gibt es nicht. Aber auch neue Mobilitätsangebote müssen sich einfügen und die Spielregeln des Verkehrssektors anerkennen. Das PBefG gibt uns eine Marktordnung, die diese öffentlichen Verkehrsinteressen berücksichtigt und ein entsprechendes Abstandsgebot zwischen allen Marktteilnehmern im Interesse der Daseinsvorsorge und gleichwertiger Lebensverhältnisse vor Ort absichert.

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