» Auf deutschen Schienen werden 90 Prozent des Personen- und mehr als 95 Prozent des Güterverkehrs mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen erbracht. Reicht Ihnen das nicht aus?
Dr. Martin Henke: Wenn wir von diesen Zahlen reden, sprechen wir vom heutigen Stand, aber nicht über die 90 und 95 Prozent der Zukunft. Das Transportaufkommen im nationalen und im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr sowie im Personenverkehr wird in den kommenden Jahren deutlich anwachsen. Dafür müssen wir die Netzkapazitäten ausbauen.
» Warum ist es sinnvoll, das Eisenbahnnetz möglichst vollständig zu elektrifizieren?
Durch mehr Elektrotraktion hätte die Schiene erhebliche Kostenvorteile. Ein Güterzug, der von einer E-Lok gezogen wird, spart bei den Energiekosten etwa 50 Prozent gegenüber einer Diesellok. Zudem ist eine E-Lok bei den Betriebsstoffen und der Wartung kostengünstiger, und sie hat eine längere Lebensdauer als die Diesellok. Die Kostenvorteile könnten die Verkehrsunternehmen an Verlader und Fahrgäste weitergeben. Das würde helfen, den Marktanteil der Eisenbahn zu erhöhen. Und wo die Elektrifizierung zu aufwendig ist, können in Zukunft Fahrzeuge im vollelektrischen Hybridbetrieb verkehren, die ihre Speicher auf elektrifizierten Abschnitten oder in Stationen aufladen.
» Was bedeutet ein höherer Grad der Elektrifizierung für die Qualität des Netzes?
Die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Schienennetzes würden sich deutlich verbessern. Um bei Störungen, Großbaustellen und unvorhersehbaren Ereignissen die Verkehre flexibel umleiten zu können, ist es erforderlich, mögliche Umleitungsstrecken in der gleichen Traktionsart befahren zu können wie auf dem regulären Laufweg. Mit einer umfassenderen Elektrifizierung würden sich die Anschluss-Sicherheit und die Flexibilität des Schienenverkehrs erheblich verbessern lassen. Das bedeutet auch: weniger gerissene Logistikketten, weniger verärgerte Frachtkunden und Passagiere sowie weniger Kosten für die Volkswirtschaft und die Eisenbahnunternehmen.