Finanzierung
21.11.2022

Beschlüsse stehen Start des Deutschlandtickets im Wege

Es ist unternehmerisch momentan nicht zu verantworten, ohne flankierende politische Beschlüsse die Einführung des Deutschlandtickets voranzutreiben.

Ingo Wortmann,
VDV-Präsident

Digital, bundesweit gültig, monatlich kündbar und als Abo zum Einführungspreis von monatlich 49 Euro: Das Deutschlandticket im ÖPNV ist beschlossene Sache. So schien es jedenfalls. Die Verkehrsunternehmen und Verbünde sehen sich ­jedoch einem finanziellen Risiko in Milliardenhöhe ausgesetzt, falls die aktuellen politischen Beschlüsse nicht nachgebessert werden sollten.

Das Deutschlandticket für monatlich 49 Euro soll kommen – ein großer Schritt zu mehr klimafreundlicher Mobilität und aus Sicht der Fahrgäste eine Revolution im ÖPNV. Für die Verkehrsbranche steht und fällt die Einführung des Tickets jedoch damit, dass Bund und Länder alle Mindereinnahmen und Kosten, die mit dem Ticket verbunden sind, vollständig und dauerhaft ausgleichen. Den Verkehrsunternehmen und Verbünden droht ein finanzielles Risiko in Milliardenhöhe. „Es ist unternehmerisch daher momentan nicht zu verantworten, ohne flankierende politische Beschlüsse die Einführung des Deutschlandtickets voranzutreiben“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann und fordert Nachbesserungen. Grundsätzlich begrüße die Branche jedoch die Einigung von Bund und Ländern zum Deutschlandticket. „Wir werden das Angebot so schnell wie möglich umsetzen“, betont Ingo Wortmann. Dafür wird eine zentrale digitale Plattform bereitgestellt. Gleichzeitig bezweifelt die Branche jedoch, dass der von Bundesverkehrsminister Volker ­Wissing­ angestrebte Starttermin des Deutschlandtickets zum 1. Januar 2023 zu halten ist.




Keine Rede mehr von Nachschusspflicht

Mit der Einführung des Deutschlandtickets für monatlich 49 Euro sollte eine Nachschusspflicht für die entstehenden Einnahmeverluste einhergehen. Ab dem zweiten Jahr sollten der Ticketpreis und die Tarifausgleichsleistungen dynamisiert werden. Beide Punkte waren so jedenfalls Mitte Oktober von den Verkehrsministerinnen und -ministern der Länder einstimmig beschlossen worden. Anders dagegen der Beschluss der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten und des Bundeskanzlers Anfang November. Von Nachschusspflicht und Dynamisierungen ist hier nicht mehr die Rede. Die Folge: Der Finanzierungsbeitrag von Bund und Ländern für das Deutschlandticket wird auf insgesamt drei Milliarden Euro gedeckelt.

Durch diesen „Deckel“ sieht der VDV die Risiken nun in Richtung der Verkehrsunternehmen und der Aufgabenträger verschoben. Denn die müssten die Differenz ausgleichen, falls die tatsächlichen Verluste und Kosten der Branche die drei Milliarden Euro überschreiten sollten. Das Risiko, dass auf die Branche ein jährlicher Fehlbetrag in Milliardenhöhe zukommt, schätzt der VDV eigenen Prognosen zufolge als erheblich ein. „Das können weder die Verkehrsunternehmen noch ihre Aufgabenträger wie zum Beispiel Städte und Gemeinden aus eigenen Mitteln ausgleichen“, so Ingo Wortmann. Die Branche wolle mit allen Kräften zügig Klarheit für die Fahrgäste schaffen, könne aber keine Risikoübernahme zu eigenen Lasten akzeptieren.

Die Einigung zwischen Bund und Ländern war das Ergebnis eines zähen Ringens. Für das Deutschlandticket stellt der Bund ab 2023 jährlich 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung, um die Verluste bei den Fahrgeldeinnahmen auszugleichen. In gleicher Höhe beteiligen sich die Länder. Der Bund hat zudem die Regionalisierungsmittel erhöht. Der Preisdeckel von 49 Euro bedeutet für die Unternehmen auch: Eigenwirtschaftlicher Verkehr wird bei der aktuellen Kostenentwicklung nicht mehr möglich sein. „Folglich entwickelt sich die gesamte Verkehrsbranche in Richtung Gemeinwirtschaftlichkeit. Das ist ein echter Paradigmenwechsel“, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff: „Das hat auch Folgen für Flexibilität und Innovation: Verkehrsunternehmen können regionale Angebote wie zusätzliche Nachtbusse, Taktverdichtungen oder neue Linien in einer solchen Struktur nicht mehr aus eigener finanzieller Kraft stemmen.“

Die gesamte Verkehrsbranche entwickelt sich in Richtung Gemeinwirtschaftlichkeit. Das ist ein echter Paradigmenwechsel.

Oliver Wolff,
VDV-Hauptgeschäftsführer

Sparpotenzial eröffnet sich erst langfristig

Erwartungen, dass durch das neue Deutschlandticket Kosten bei den Verkehrsverbünden und in den Tarifstrukturen eingespart werden können, erteilt Oliver Wolff eine Absage: „Im Kern kommt ein weiteres Tarifangebot hinzu, da wird erst einmal nichts eingespart.“ Langfristig ergeben sich jedoch Potenziale, wenn das Smartphone und die Chipkarte den Papierfahrschein immer weiter verdrängen. Das habe jedoch nichts mit dem neuen Deutschlandticket zu tun.

Aber nicht nur dadurch drohen den Verkehrsunternehmen finanzielle Risiken. Unabhängig davon müssen bei der Finanzierung des ÖPNV wachsende Personalkosten durch Tarifabschlüsse, extrem gestiegene Preise für Strom und Diesel sowie weitere Verluste bei den Fahrgeldeinnahmen infolge der Pandemie berücksichtigt werden.

Es geht laut VDV beim Bus- und Bahn-Angebot derzeit „ausschließlich um den Erhalt des Status Quo. Niemand redet vom ÖPNV-Ausbau für das Erreichen der Klimaschutzziele“.

Das neue Logo "D-Ticket" 

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