Infrastruktur
21.12.2022
Bild oben: Interessierte Blicke auf Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing am Rednerpult (v. r. n. l.): Corinna Budras (F.A.Z.-Redaktion), Karsten Schulze (ADAC), Tim Lorenz (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie) und Oliver Wolff (VDV).

Nachholbedarf für Busse und Bahnen

In den Bundesländern und Kommunen herrscht große Übereinstimmung in dem Bestreben, für den Klimaschutz die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs voranzutreiben. So war es auch auf der F.A.Z.-Mobilitätskonferenz zu hören. Mit wachsender Sorge wird aber gesehen, dass der überfällige Ausbau der Infrastrukturen nach Jahrzehnten der Vernachlässigung immer noch nicht vorankommt.

Das Thema Mobilität ist zu wichtig, um es einer ,letzten Generation’ zu überlassen.

Gerald Braunberger,
Herausgeber Frankfurter Allgemeine Zeitung


Zum dritten Mal hatte die Frank­furter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) zur Mobilitätskonferenz in ihre Hauptstadt-Repräsentanz eingeladen. Die politische Bedeutung der Veranstaltung, an der sich der VDV wie in den Vorjahren beteiligte, lässt sich an der Teilnehmerliste ablesen: Gleich drei Verkehrsminister und eine Verkehrsministerin prägten maßgeblich die Diskussionsrunden – weitgehend einig waren sich Petra Berg aus dem Saarland, Guido Beermann aus Brandenburg und Oliver Krischer aus Nordrhein-Westfalen. Mitunter kontrovers wurde in den Podiumsrunden und auch im Auditorium dagegen das Statement von Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing empfunden.

So war der Politiker zu dem Zeitpunkt nicht mit dem Mandat ausgestattet, im Anfang Dezember noch schwelenden Streit zwischen Bund und Ländern Kompromissbereitschaft zu signalisieren, was die Finanzierung möglicher bislang nicht erfasster Kosten des Deutschland-Tickets anbelangt. Eine Woche später legten Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidentenkonferenz den Konflikt schließlich bei. Die Verkehrsunternehmen hatten zuvor, wie VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff betonte, erhebliche Einnahmeausfälle in der durch das Deutschland-Ticket radikal veränderten Tariflandschaft befürchtet. Wissing überraschte in der Konferenz noch mit der Feststellung, durch die Zusage des Bundes, das Ticket mit jährlich 1,5 Milliarden Euro zur Hälfte zu finanzieren, sei das Problem „abschließend“ geregelt. Demgegenüber forderte Petra Berg, dass Bund und Länder sich auch mögliche Mehrkosten teilen müssten. Oliver Krischer nannte die Haltung Wissings ein „Armutszeugnis“, wo doch alle Seiten das neue Angebot wollen. Auch den Wunsch der Verkehrsbranche, genügend Vorlauf für die Organisation der Ticket-Einführung zu haben, wischte Volker Wissing weg. Er hätte es gern schneller, als es sich die Unternehmen zutrauen, sagte er.

Gruppenbild mit Minister (v. l. n. r.): Tim Lorenz, Volker Wissing, Karsten Schulze, Oliver Wolff

Kopfschütteln löste zudem die Botschaft des Bundesverkehrsministers zu der Frage der Bauwirtschaft aus, wie er das durch die Inflation entstandene Loch bei Infrastrukturinvestitionen zu stopfen gedenke. Geld sei genug da, erklärte Wissing. Es gebe gar nicht genug Projekte mit Baurecht, um die Mittel vollständig abzurufen. Tim Lorenz, Vizepräsident Verkehr des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, widersprach deutlich: Es sei „eine Illusion zu glauben, wir haben genug Mittel im System“. Und der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Tim-Oliver Müller, wunderte sich: Ob es die Probleme bei der Bahn oder der Autobahn-Gesellschaft oder bei der Planungsbürokratie seien – nie fühle sich der Verkehrsminister zuständig.

Dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen

Wie dringend die Branche Infrastruktur-Investitionen benötige, betonte Oliver Wolff. Nach jahrzehntelanger „massivster“ Vernachlässigung sei der von der Politik geplante Ausbau des ÖPNV mit dem Ziel einer Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 derzeit eine Wunschvorstellung: „Wir müssen allergrößte Energie aufbringen, um allein den Bestand zu erhalten.“ Man müsse erst einmal „den Laden aufräumen“. Ob dann noch Geld übrig bleibe für eine Erweiterung der Netze und Kapazitäten, sei eher unwahrscheinlich. Unrealistisch sei angesichts des Instandhaltungsrückstandes im Netz der Deutschen Bahn die seit Langem geforderte Verlagerung von Gütern auf die Schiene in einem nennenswerten Umfang, hieß es in der Diskussion.

Günstige Zeiten für öffentlichen Verkehr

Dabei sei die Zeit für den öffentlichen Verkehr prinzipiell so günstig wie lange nicht, betonten Politik und Wirtschaft. Nicht zuletzt durch das 9-Euro-Ticket seien „auf einmal Leute mit Bus und Bahn gefahren, die das vorher nicht gemacht haben“, beobachtete Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Und in vielen Kommunen habe die Politik damit begonnen, in den Innenstädten den Individualverkehr zugunsten des ÖPNV zurückzudrängen. Jedoch: „Es fehlt an Geld, an Personal, an Material.“ Als weiteres Problem sieht Landsberg die vielfach mangelnde Zustimmung der Bürger für einen Infrastrukturausbau. Für den Klimaschutz seien alle, wenn es aber darum geht, beispielsweise eine Nebenbahnstrecke zu reaktivieren, gebe es in aller Regel Proteste und Ablehnung bei Anwohnern. Und dann werde über Jahre prozessiert.

Verkehrspolitische Diskussion (v. l. n. r.): Guido Beermann (Minister für Infrastruktur des Landes Brandenburg), NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer, Petra Berg ­(Ministerin für Umwelt, Klima und Mobilität des Saar­lands) und Moderator Johannes Pennekamp (F.A.Z.)

Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann verwies darauf, dass es trotz der schwierigen Ausgangslage durchaus heute schon Ansätze für Attraktivitätssteigerungen im ÖPNV gebe. So sei im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg ein „großer Fahrplanwechsel“ für den seit dem 11. Dezember 2022 geltenden neuen Jahresfahrplan vorbereitet worden. Im Bahn-Regionalverkehr starten neue Verkehrsverträge „Elbe-Spree“ und „Lausitz“ mit 30 Prozent mehr Angebot im Bahnverkehr in Berlin und Brandenburg – mit dichteren Takten, längeren Zügen und modernisierten oder neuen Fahrzeugen. Ausgebaut werde auch der Busverkehr mit günstigen Umsteigemöglichkeiten zwischen Bahn und Bus. Weiterhin sind zusätzliche PlusBus-Linien am Start.

Mobilität sei „Ausdruck von Freiheit, auch persönlicher Freiheit“ hatte F.A.Z.-Mitherausgeber Gerald Braunberger zur Eröffnung der Tagung formuliert. Das Thema sei „zu wichtig, um es einer ‚letzten Generation‘ zu überlassen“. Die Bundesrepublik habe aber für lange Zeit versäumt, ihre Zukunft zu planen. Das sei typisch für eine alternde Gesellschaft, doch nun werde es Zeit umzusteuern.

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