Tourismus
11.08.2020

Von Schnutenpullis
und besonderen
Geburtstagen

Seit 125 Jahren fährt die Eisenbahn zwischen Niebüll und Dagebüll: Was als Kleinbahn begann, ist noch immer ein wichtiger Zubringer für die Fähren nach Amrum und Föhr. Heute gehört die Strecke zum Netz der Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH (neg). Die hätte gerne groß gefeiert. Dann kam Corona. Nun begehen die Nordfriesen das Jubiläum Ende August im kleinen Rahmen.

Wir sind die erste nichtbundeseigene Eisenbahn, die ETCS auf Level 1 mit Vollüberwachung einführt.

Ingo Dewald,
Geschäftsführer der Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH (neg)


Es hätte alles so schön sein können. Ein großes Spektakel für Jung und Alt. Sonderfahrten mit einem dampfbespannten Zug und einem Akku-Triebwagen der neuesten Generation. Schließlich steht die Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH für die Verbindung von Tradition und Innovation. Ein Fest mit Einheimischen, Besuchern und vielen Ehrengästen. Coronabedingt musste das Programm schrumpfen. „Da wir dieses besondere Jubiläum trotzdem würdigen wollten, gibt es Ende August eine Feierstunde mit geladenen Gästen“, erläutert Anita Hallmann, bei der neg verantwortlich für das Marketing. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ist mit dabei und zahlreiche Abgeordnete aus Bund und Land sowie heimische Honoratioren.

Auch im Fahrplan und bei den Fahrgastzahlen hat die Coronakrise tiefe Spuren hinterlassen. Auf Wunsch der Dänen schränkte die neg im März ihren Verkehr auf der Strecke Niebüll – Tønder ein. Wer keinen wichtigen Grund hatte, nach Dänemark einzureisen, musste umkehren. Für Touristen waren die Grenzen bis Mitte Juni nahezu komplett geschlossen. Auch Schleswig-Holstein hat das Land für Touristen dichtgemacht und die Inseln für zwei Monate abgeriegelt. Nun sind Abstandhalten und Mund-Nasen-Bedeckung das Gebot der Stunde – die neue Normalität auch bei der neg. „Bei uns im Norden heißen die Masken übrigens Schnutenpulli“, berichtet Anita Hallmann mit einem Schmunzeln. Innerhalb kürzester Zeit hat es „Schnuten­pulli“ nicht nur zum ständigen Begleiter im ÖPNV, sondern auch zum plattdeutschen Wort des Jahres 2020 geschafft – wie vor ihm „Ackerschnacker“ für Handy und „Bankenmalür“ (Finanzkrise). Aber das nur nebenbei.

Ohne Umstieg zu den Fähren

Vor 125 Jahren wurde am 13. Juli die fast 14 Kilometer lange Strecke ­Niebüll – Dagebüll eröffnet und zunächst als Schmalspurbahn betrieben. Sie sollte „Kurgästen“, wie Touristen damals noch hießen, die Anreise zum Fähranleger erleichtern. Das wurde ab 1911 noch einfacher, nachdem die Strecke auf die Mole von ­Dagebüll verlängert wurde. Im Jahr 1926 kam der Wechsel von der Meter- auf die Normalspur. Damit begann das Zeitalter der Kurswagen aus und in Richtung der deutschen Großstädte.

Endstation Dagebüll-Mole: Von hier aus geht es per Schiff weiter Richtung Amrum und Föhr. Das Bild entstand vor der Corona-Pandemie.

Daran hat sich bis heute wenig geändert. Im Sommer sowie um Weihnachten und Neujahr bringt die neg Kurswagen der Deutschen Bahn an den Anleger und wieder zurück nach Niebüll. Auf diese Weise können Reisende aus Richtung Berlin und ­Dresden, Hannover und Frankfurt (Main) sowie Köln in jeweils zwei Wagen eines Intercity ohne Umstieg nach ­Dagebüll-Mole kommen und von dort die Heimreise fortsetzen. Am Knotenpunkt ­Niebüll werden die Kurswagen von den neg-Nahverkehrstriebwagen an den Haken genommen und in entgegengesetzter Richtung wieder an einen IC übergeben. Etwa 40 Prozent der IC-Fahrgäste, die aus Richtung Hamburg kommen und nach Nordfriesland wollen, nutzen diese Direktverbindung, um nach Föhr und Amrum überzusetzen.

Nach Dänemark mit ETCS

In Niebüll, das an der Strecke Westerland (Sylt) – Elmshorn liegt (Marschbahn), beginnt eine weitere Nahverkehrslinie der neg. Sie führt über die Grenze nach Tønder. Kooperationspartner ist die dänische Arriva Tog A/S. Beide Linien wurden vor Corona von mehr als 420.000 Fahrgästen pro Jahr genutzt.

Auf der Strecke Niebüll – Tønder gab es ebenfalls einen besonderen Geburtstag. Vor 20 Jahren startete das Vorgängerunternehmen der neg – die Nordfriesische Verkehrsbetriebe AG (NVAG) – den Probeverkehr über die dänische Grenze. Wurde die Verbindung zunächst lediglich in den Sommermonaten bedient, 10.000 Fahrgäste wurden im Jahr 2000 gezählt, hat sich die Strecke als zweite Eisenbahnverbindung in der deutsch-dänischen Region etabliert. Aufgrund der großen Nachfrage wurde 2003 auf einen Ganzjahresbetrieb und 2010 schrittweise auf einen durchgehenden Verkehr von Niebüll über Tønder nach Esbjerg umgestellt. Zuletzt nutzten fast 90.000 Reisende pro Jahr diese Verbindung. Jährlich wuchsen die Fahrgastzahlen um rund vier Prozent.

Herausforderungen sieht die neg in zukunftsgerichteten Investitionen in die Infrastruktur. Im Zusammenhang mit einem Signalprogramm auf dänischer Seite haben die neg und das Infrastrukturunternehmen Banedanmark vereinbart, die Strecke mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS auszurüsten. Zudem soll voraussichtlich ab 2022 die Geschwindigkeit der Züge zwischen Esbjerg und ­Niebüll durchgehend auf 120 Stundenkilometer erhöht werden. Derzeit verkehren die Triebwagen abschnittsweise mit 80 bis 100, aber auch mit 60 km/h. Bei durchgehend Tempo 120 dauert die Fahrt zwischen Niebüll und Esbjerg nur noch 85 Minuten. Fahrgäste sparen gegenüber heute 25 Minuten und ab Tønder 15 Minuten ein. „Wir gehen davon aus, dass wir mit der Fahrzeitverkürzung sowie zwei bis vier zusätzlichen Fahrten­paaren – vor allem in den Früh- und Spätlagen – die Fahrgastzahl auf über 120.000 steigern können“, erläutert neg-Marketingleiterin Anita Hallmann. Das entspräche einer Steigerung von 30 Prozent. Gegenwärtig ist die Strecke allerdings diejenige in Schleswig-Holstein mit der geringsten Verkehrsbestellung – trotz ihrer Erfolgsgeschichte.

Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH (neg)

Die Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH (neg) ist eine 100-prozentige Tochter der staatlichen Eisenbahngesellschaft in Luxemburg CFL. Im Kreis Nordfriesland zählt die mittelständisch geprägte neg 79 Mitarbeiter. Sie ist nicht nur ein Verkehrs-, sondern auch ein Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen: Neben der gesamten Infrastruktur zwischen Dagebüll, Niebüll und der dänischen Grenze/Tønder betreibt sie die Strecke Tornesch – Uetersen, am Unternehmenssitz Niebüll eine Werkstatt für Schienenfahrzeuge und Straßennutzfahrzeuge sowie den Güterbahnhof Neumünster.

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Drei Fragen an

Im Gespräch mit „VDV Das Magazin“ erläutert Geschäftsführer Ingo Dewald (Foto) die aktuelle Situation und die Pläne der neg.

Herr Dewald, wie hat sich die Coronakrise auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?

» Ingo Dewald: Während Amrum und Föhr abgeriegelt waren, fielen uns die Kunden, die mit dem Fernverkehr kommen, acht Wochen lang vollständig weg. Diese Fahrgäste sind mit einem Anteil von 70 bis 80 Prozent unsere größte Kundengruppe. Unterm Strich werden wir einige hunderttausend Euro Mindereinnahmen am Jahresende haben. Mittlerweile haben wir jedoch wieder eine erfreuliche Nachfrage – so gut, dass es an einigen Tagen Kapazitätsengpässe gibt.

Wie versuchen Sie, diese Engpässe zu beseitigen?

» Mit Sonderzügen, Kunden-Informationen und aktiver Fahrgastlenkung. Letzteres haben wir aber nur bis zu einem gewissen Grad in der Hand. Vor allem mit Blick auf die Abstandsregeln wünschen wir uns von der Tourismuswirtschaft und von den Urlaubern, dass Reisespitzen entzerrt werden. Für viele ist am Samstag Bettenwechsel. Uns würde es sehr helfen, wenn nicht alle Urlauber am gleichen Tag an- und abreisen.

Die neg steht für Innovationen. Welche Vorhaben planen Sie als Nächstes?

» Wir sind die erste nichtbundeseigene Bahn, die das europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS auf Level 1 mit Vollüberwachung einführt. Dafür haben wir – auch im VDV-Ausschuss für Leit- und Sicherungstechnik – Aufbauarbeit geleistet und erarbeiten derzeit das Lastenheft. Außerdem wollen wir bis Ende 2024/Anfang 2025 die Strecke nach Dagebüll elektrifizieren. Des Weiteren werden wir den Güterverkehr auf der Schiene stärken – vor allem durch das neue KV-Terminal in unserem Güterbahnhof Neumünster. Dort sollen Transporte für den Nachtsprung gebündelt werden. Nachdem wir ohne Klage durch die Planfeststellung gekommen sind und der Bund das Vorhaben gefördert hat, hoffe ich, dass der Betrieb bald losgeht und das Angebot gut angenommen wird.

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