Innovationen
14.10.2020

Tramausbau

Potsdam beteiligt
Anwohner digital

Der Ausbau von Verkehrsinfrastruktur stößt auf breitere Akzeptanz, wenn die Verantwortlichen gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern an einem Strang ziehen. In Potsdam konnte die Öffentlichkeit beim Projekt Tram 96 jedoch zunächst nicht wie geplant beteiligt werden – wegen Corona. Deswegen setzten die brandenburgische Landeshauptstadt und die ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH auf ein Onlineverfahren.

Uns war wichtig, alle Interessengruppen zu erreichen und einen Weg zu finden, sie zu beteiligen.

Sarah Böhm, Marketingleiterin
ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH


Potsdam wächst rasant: Im nördlich der Innenstadt gelegenen Krampnitz entsteht auf einem ehemaligen Kasernengelände ein neues Wohnviertel. Bis zu 10.000 Menschen werden hier ein neues Zuhause finden. Angebunden werden soll das neue Quartier über eine leistungsfähige Straßenbahn. Das Nahverkehrskonzept sieht als wesentliche Maßnahme die Verlängerung der Tram 96 vom derzeitigen Endpunkt Campus Jungfernsee über Krampnitz nach Fahrland vor – unter anderem, um die schon jetzt stark befahrenen Straßen der Landeshauptstadt zu entlasten. Voraussichtlich ab 2029 können die Potsdamerinnen und Potsdamer per Tram in gut 25 Minuten zum Hauptbahnhof kommen – schnell, ohne Stau und umweltfreundlich. Dafür wird eine rund sieben Kilometer lange zweigleisige Strecke mit elf Haltestellen gebaut (siehe Grafik).

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Um die Menschen entlang der Neubaustrecke über den Stand der Planungen zu informieren und Fragen zu beantworten, waren Bürgerinformationen in den Ortsteilen Fahrland und Neu Fahrland anberaumt. Ein Onlinedialog auf der Projektwebseite tram96.de sollte diese Veranstaltungen ergänzen. Dann kam Corona, aufgrund der Kontaktbeschränkungen mussten die Termine verschoben werden. „Uns war jedoch wichtig, alle Interessengruppen zu erreichen und einen Weg zu finden, sie zu beteiligen“, erläutert Sarah Böhm, Marketingleiterin bei der ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH. Schließlich wollten die Landeshauptstadt und das Unternehmen sicherstellen, dass die Öffentlichkeit nach den rechtlichen Vorgaben auch während der Pandemie frühzeitig eingebunden werden kann. Somit erhielt die digitale Bürgerbeteiligung einen höheren Stellenwert. „Nun kam es darauf an, die aktuellen Planungsüberlegungen auch ohne Präsenzveranstaltungen möglichst konkret und verständlich aufzubereiten“, sagt Sarah Böhm. Dazu wurden für die Projektwebseite ein Erklärfilm und zwei ausführliche Videos produziert, in denen die Planer der Stadt Potsdam und der ViP den aktuellen Stand und die weiteren Schritte erläutern.

In Zeiten von Kontaktbeschränkungen gehen wir davon aus, dass Beteiligungsprozesse verstärkt in den digitalen Raum überführt werden müssen.

Jörg Müller,
Geschäftsführer Lots* Gesellschaft für verändernde Kommunikation mbH

Insgesamt neun Wochen lang brachten die Bürgerinnen und Bürger ihre Vorschläge und Ansichten ein, traten miteinander in den Meinungsaustausch, kommentierten ihre Anregungen und ergänzten sie. Verteilt auf fünf Themengebiete – Streckenverlauf; Natur und Umwelt; Verkehr, Querungen und Sicherheit; Haltestellen und Angebot; Hinweise zum Bauverlauf. Dabei konnten die Teilnehmenden ihre Beiträge direkt auf einer Karte des geplanten Streckenverlaufs verorten. Um sich über die Plattform digital auszutauschen, mussten sich die Nutzer lediglich registrieren beziehungsweise anmelden und das in zwei Schritten bestätigen. Dadurch wurde erreicht, dass Nutzerinnen und Nutzer ihre eigene Mailadresse verwenden und elektronische Postfächer nicht durch unbefugte Dritte oder sogenannte Bots – Computerprogramme, die automatisch Texte schreiben und posten – missbraucht werden konnten. „Wir haben dieses Verfahren gewählt, um allen Beteiligten eine möglichst hohe Sicherheit zu gewährleisten und vor allem auch um authentische Beiträge sicherzustellen, was für die Auswertung und den gesamten Beteiligungsprozess von großer Bedeutung ist“, erläutert Sarah Böhm. Wer sich nicht registrieren wollte oder nicht über die technischen Voraussetzungen verfügte, konnte per Telefon, Brief und E-Mail Kontakt aufnehmen. „So haben wir sichergestellt, dass sich möglichst viele Menschen beteiligen konnten – unabhängig von Zeit und Ort“, erklärt Sarah Böhm die Vorteile des Onlineverfahrens. „Das Beispiel zeigt, wie die Verantwortlichen vor Ort aus der Not eine Tugend gemacht und das rechtlich und gesellschaftlich wichtige Beteiligungsverfahren im digitalen Raum abgebildet haben – mit höchsten Maßstäben an Sicherheit, Transparenz und Information“, sagt Dr. Jan Schilling, VDV-Geschäftsführer ÖPNV: „Ich bin überzeugt, dass diese Form der Beteiligung auch nach Corona bundesweit einen festen Platz einnehmen wird, denn die Vorteile liegen auf der Hand.“

Auf einer Karte des geplanten Streckenverlaufs konnten die Teilnehmenden ihre Beiträge direkt verorten.

„In Zeiten von Kontaktbeschränkungen gehen wir davon aus, dass Beteiligungsprozesse verstärkt in den digitalen Raum überführt werden müssen“, sagt auch Jörg Müller. Er ist Geschäftsführer der Agentur Lots* mit Sitz in Leipzig. Bei dem auf Veränderungskommunikation spezialisierten Unternehmen haben sich die Potsdamer Verantwortlichen Unterstützung von außen geholt – etwa als es darum ging, die digitale Bürgerbeteiligung vorzubereiten, zu begleiten und zu moderieren. Damit die Diskussionen fair und sachlich verlaufen, wurden Verhaltensregeln aufgestellt und deren Einhaltung überprüft. „Das Verfahren ist kein Live-Format“, erläutert Jörg Müller: „Auf eine Frage gibt es nicht direkt eine Antwort.“ Deshalb konnte es vorkommen, dass Beiträge mit einer Verzögerung von bis zu einem Tag erschienen.

Nach etwa zweieinhalb Monaten ging das Beteiligungsverfahren am 20. September 2020 zu Ende. Nun werten die Planer die Vorschläge und Hinweise aus. „Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer denken in ihren Beiträgen über die Tramerweiterung hinaus und haben teils visionäre Lösungsansätze eingebracht“, berichtet Sarah Böhm. „Die angesprochenen Konfliktpunkte hatten wir auch erwartet.“ Am Ende gab es 89 Vorschläge und Hinweise sowie 128 Kommentare. „Wir freuen uns darüber, dass das Onlineverfahren so gut angenommen wurde“, sagt die ViP-Marketingleiterin: „Es fand eine rege Beteiligung statt, und der Dialog verlief insgesamt sehr sachlich.“ Die Transparenz bleibt gewahrt: Nun wird eine Dokumentation zur Auswertung der Hinweise und Vorschläge erstellt, welche im weiteren Planungsverfahren berücksichtigt und welche nicht weiterverfolgt werden können. Ab Herbst soll diese Doku ebenfalls auf der Projektwebseite veröffentlicht werden. Außerdem soll es analog weitergehen. „Wir hoffen, dass wir im Spätherbst die Bürgerinformationen als Präsenzveranstaltungen nachholen können“, erklärt Sarah Böhm: „Vorausgesetzt, der Verlauf der Pandemie lässt es zu.“

Mehr Infos über das Ausbauvorhaben und

die Onlinebeteiligung finden Sie unter:
www.tram96.de

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