Personal
16.12.2019
Aus dem Verband

„Mobilität muss weiblicher werden“

Doppel-Premiere hoch über den Dächern von Frankfurt/Main: Auf dem ersten Women in Mobility Summit standen – zum ersten Mal bei einer Mobilitätskonferenz – ausschließlich Expertinnen auf der Bühne. 173 Teilnehmerinnen und zwölf Teilnehmer aus der Region D-A-CH diskutierten zwei Tage lang über nachhaltige Mobilität. Das 2015 gegründete WiM-Netzwerk will Frauen aus verschiedenen Sparten der Branche zusammenbringen und stärken. Die VDV-Akademie hat die Veranstalterinnen maßgeblich bei der Organisation des Treffens unterstützt.

Die vielen Expertinnen sichtbar machen, die sonst eher im Verborgenen agieren: Auch darum ging es an diesen beiden Tagen im „Silberturm“. Denn, so WiM-Gründerin Coco Heger-Mehnert: „Wir sind viele, und dennoch werden wir besonders auf Podien mit einem anderen Bild konfrontiert. Dort sehen wir überwiegend Männer.“ Der Frauenanteil im Mobilitätsbereich liegt derzeit bei rund 22 Prozent. Dagegen sind 56 Prozent der ÖPNV-Nutzer weiblich.

Die drei Gründerinnen der Women in Mobility (v. l.): Anke Erpenbeck, Coco Heger-Mehnert und Sophia von Berg

Wegeketten stärker berücksichtigen

Der WiM-Summit von Frauen für Frauen war gespickt mit Elementen eines interaktiven Barcamps. Es gab acht Workshops, eine Paneldiskussion, viel Zeit zum Netzwerken und sechs #WiMStories von Expertinnen.
Über „weibliche Mobilität“ referierte Lieke Ypma, Produktingenieurin und UX-Strategin. Frauen reisen nach ihren Worten im Alltag selten von A nach B. Vielmehr verbinden sie über Wegeketten mehrere Ziele miteinander. Dies werde von Planern zu wenig berücksichtigt. Das Verständnis von Sicherheit und Zuverlässigkeit sei bei Frauen ebenfalls ein anderes als bei Männern. So reiche es nicht aus, am Bahnhof zwei zusätzliche Kameras zu installieren, damit sich alle wohler fühlen. Hier müsse breiter gedacht werden.

„Wenn eine Stadt gut ist für Kinder, ist sie für alle gut.“ Davon zeigte sich Maria Vassilakou überzeugt, einst stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Wien. Diese gilt als lebenswerteste Stadt der Welt. Allerdings gab es teils heftige Widerstände gegen Projekte, die heute auf breite Zustimmung stoßen, darunter die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße. Maria Vassilakou erzählte nicht nur von den Erfolgen, die Folgeprojekte einfacher machten, sondern auch davon, was sie selbst heute anders machen würde.

Den „Homo mobilis“ beobachtet Verhaltensbiologin Dr. Elisabeth Oberzaucher seit vielen Jahren. Sie berichtete unter anderem, dass „Informationsbarrieren“ bei Reisenden ein Gefühl von „Kontrollverlust“ auslösen können. Viele Menschen führen deshalb lieber mit dem Auto, nur um am Steuer vermeintlich alles im Griff zu haben. Umso wichtiger sei für den ÖPNV die Gestaltung einer „klugen Mobilität“. „Wir sind bei Weitem noch nicht bei der klugen Mobilität angelangt“, sagte sie. „Smartness ist noch viel zu sehr technologie- und nicht menschengetrieben.“

Analog-Astronautin Dr. Carmen Köhler wirkte ansteckend mit ihrer Begeisterung für die Weltraum-
forschung.

Raus aus den Silos: Führung neu denken

Über „Führung heute“ im Spannungsfeld zwischen Lenken und Loslassen sprach Christa Koenen. Die Vorsitzende der Geschäftsführung der DB Systel GmbH und CIO des DB-Konzerns hatte den WiM die Räume im 31. Stock des Silberturms für deren Veranstaltung zur Verfügung gestellt. Christa Koenen riet zu einer neuen Führungskultur und dazu, das Denken und Handeln in hierarchischen Silos abzubauen. Aus eigener Erfahrung empfahl sie, sich an agile Arbeitsmethoden heranzuwagen, denn: „In der alten Geschwindigkeit werden wir es nicht schaffen, das, was am Markt kommt, für die Kunden umzusetzen.“ DB Systel befindet sich seit Längerem in der digitalen Transformation. Von 4.400 Mitarbeitern organisieren sich schon rund 3.900 in kleinen Teams von circa sieben Personen. Dahinter steht ein - im Zusammenhang mit der Digitalisierung - klar definiertes Menschenbild: „Wir glauben, dass jeder kann und will“, so Christa Koenen. Natürlich laufe noch nicht alles rund, aber insgesamt sei es „ein unglaublich spannender Prozess mit allen Ups und Downs.“ Viel Energie werde frei für Innovationen und „eine starke Schiene“. Zudem liege die Fluktuationsrate bei DB Systel unter drei Prozent.

Analog-Astronautin – ganz geerdet

Eines zusätzlichen Motivationsschubs hätte es nicht bedurft. Analog-Astronautin Dr. Carmen Köhler gelang dennoch eine Steigerung. Gestenreich beschrieb sie ihren Lebenslauf von der Friseurin zur Mathematikerin und schließlich zur Analog-Astronautin: Auf der Erde betreibt sie Forschung für Weltraum-Missionen. Ihre Begeisterung für Wissenschaft und neue Ideen – etwa die Nutzung von Kondensstreifen zur Abkühlung des Klimas – wirkte ansteckend.

Nach einem Pitch kristallisierten sich acht Workshop-Themen heraus. In „Sessions“ bestand Gelegenheit, die eigenen Projekte und Ideen vorzustellen und praktische Erfahrungen auszutauschen. Das Spektrum reichte vom „Straßenkanten-Management“ oder der Frage, wie sich der knappe Parkraum in eine flexible Mobilitätsfläche umfunktionieren lässt, bis hin zum Umgang mit Zugverspätungen. Moderatorin Tanja Föhr illustrierte anhand der Graphic-Recording-Methode alle wichtigen Ideen, Gedankengänge und Ergebnisse. So entstanden farbenfrohe Notizen, die als Erinnerung dienen und zum Querdenken anregen.

Moderatorin Tanja Föhr hielt in „Sketchnotes“ die wichtigsten Informationen fest.

2.000 Frauen im WiM-Netzwerk organisiert

Im WiM-Netzwerk sind rund 2.000 Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz organisiert. Mittels sozialer Medien stehen sie im Dauerkontakt. Da wird vernetzt, was das Zeug hält. Die einen teilen Links zu Stellenangeboten und Ausbildungsgängen. Andere suchen Rednerinnen, etwa für einen Vortrag zum Klimawandel. Zum persönlichen Austausch treffen sich die Frauen aktuell in sechs WiM-Hubs in Bern, Berlin, Hamburg, Köln, München und Nürnberg. Während des Summit kamen Ideen für weitere Hub-Gründungen in Frankfurt und Wien auf.

Ist nach dem Summit vor dem Summit?

„Was uns besonders beeindruckt hat, waren die Teilnehmenden: Durchweg starke Persönlichkeiten, die die Branche anpacken wollen, begegnen sich in wertschätzender Atmosphäre und mit einem respektvollen Umgangston“, lautete die Bilanz von Britta Robels von der VDV-Akademie: „Zum anderen haben wir kaum eine Veranstaltung erlebt, bei der die Vielseitigkeit der Branche so deutlich wird. Ob Auto, Fahrrad, Bus oder Bahn, Konzern oder selbstständig – es gab alles.“ Ist nach dem Summit also vor dem Summit? Coco Heger-Mehnert: „Das entscheiden wir im Januar.“

Lieke Ypma referierte zum Thema „weibliche Mobilität“ – ein Beispiel für das „Graphic Recording“ von Tanja Föhr.

Mehr Informationen finden Sie unter:
www.womeninmobility.de

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