Europa
21.12.2022

Bei den Zukunftsplänen Europas sitzt der VDV mit im Boot

Die Europäische Kommission legt Jahr für Jahr ein Arbeitsprogramm vor. Es kündigt Richtlinien oder Verordnungen an, die das Leben in Europa verbessern sollen. Klimaschutz und Digitalisierung zählen aktuell zu den Schwerpunkten. Die Chefin des Brüsseler VDV-Europabüros, Annika Degen, und die europäische Bahn-Expertin Lucie Petersen berichten im Interview, wie sie für den VDV die Belange und Zielsetzungen des ÖPNV und des Schienenverkehrs in die Diskussionen einbringen. Denn immer mehr Entscheidungen für Bus und Bahn werden in Brüssel getroffen. Der VDV vertritt deshalb die Interessen der Branche vor Ort – ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.


Für den VDV in Brüssel: Europabüro-Leiterin Annika Degen (r.) und Eisenbahnexpertin Lucie Petersen.


EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit großen Worten beschrieben, was die EU mit ihrem Arbeitsprogramm 2023 vorantreiben will. Sie beide sitzen in Brüssel nahe an der Kommission. Ist das Programm mehr als eine politische Wunschvorstellung?

» Annika Degen: Auf jeden Fall. Frau von der Leyen hat ja schon mit dem „Green Deal” ihre politische Agenda vorgelegt. Die Ziele werden jedes Jahr auf konkrete Vorhaben heruntergebrochen. Das Arbeitsprogramm ist eine Art Kalender, der auch die Jahresplanung des VDV bestimmt.

Gibt es aus den Arbeitsprogrammen der Vorjahre signifikante Beispiele dafür, was bei diesen Aktivitäten herausgekommen ist?

» Lucie Petersen: Im Arbeitsprogramm 2021 stand die Verwirklichung des Klimaziels 55 Prozent Treibhausgaseinsparung bis 2030 im Fokus. Dafür wurde im Juli 2021 ein großes Klimapaket vorgestellt. Die Verhandlungen zu den einzelnen Initiativen darin sind mittlerweile weit fortgeschritten. Die geplante Ausweitung des CO2-Emissionshandels auf den Verkehr zum Beispiel ist für unsere Branche wichtig, denn dies wird die Spritpreise verändern, aber womöglich auch neue Finanzierungsquellen für den öffentlichen Verkehr bieten.

Wie muss man sich die Arbeit vorstellen: Kommen da große Gremien zusammen oder eher kleine Expertengruppen?

» Degen: Sowohl als auch. Jede Initiative, die im Arbeitsprogramm angekündigt ist, wird vorab kurz beschrieben und dazu wird Feedback aus der Bevölkerung und aus betroffenen Branchen eingeholt. Die Ergebnisse werden oft in größeren Konferenzen vorgestellt. Parallel dazu gibt es aber auch kleine Expertengruppen, die die Kommission in Detailfragen beraten.

News aus Brüssel

Mit einer „ehrgeizigen Agenda für die Bürgerinnen und Bürger” will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in über 40 Projekten des jährlichen Arbeitsprogramms unter anderem Energiepreise senken, den „grünen Wandel” vorantreiben sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen. An den Initiativen, welche die Verkehrsunternehmen oder Verbünde betreffen, arbeitet die VDV-Repräsentanz in Brüssel mit. Drei bis vier Mal im Jahr gibt es für die Mitgliedsunternehmen einen Newsletter mit Zwischenbilanzen.

Erwarten Sie im nächsten Jahr konkrete Vorhaben, die Veränderungen für die Branche bringen könnten?

» Petersen: Für das zweite Quartal 2023 ist ein Paket zur Ökologisierung des Güterverkehrs angekündigt. Die Vorbereitungen laufen, und es sieht so aus, dass die Schiene eine große Rolle spielen wird. Da geht es auch um eine Harmonisierung des Kombinierten Verkehrs und neue Regeln für das Kapazitätsmanagement.

Hat das Brüsseler Büro ausreichend Gelegenheit, seinen Sachverstand beizusteuern, also die Vorstellungen des VDV zumindest zu präsentieren?

» Degen: Aber sicher. Wir sind an allen Themen dran. Wir machen das mit unseren Positionspapieren, mit Infoveranstaltungen und mit persönlichen Kontakten zur Kommission und zu den Parlamentariern im Verkehrsausschuss. Man holt uns häufig ins Boot in den Expertengruppen, zum Beispiel zu Fragen des Eisenbahnverkehrs oder des Datenaustauschs und Vertriebs im Personenverkehr. Nicht zu vergessen ist die Zusammenarbeit mit unseren Dachverbänden CER und UITP.

Die Kommission will die Stärkung des internationalen Güterverkehrs auf der Schiene forcieren. Wie sieht es mit finanzieller Förderung des Milliardenprojekts der europaweit einzuführenden digitalen automatischen Kupplung für Güterwagen aus?

» Petersen: Der politische Wille ist da, doch offen gesagt ist die Finanzierung noch nicht geklärt. Der Sektor zieht da in Brüssel an einem Strang und hat die Kommission dazu aufgefordert, die notwendigen Finanzmittel zu sichern.

Die EU möchte einen Europäischen Mobilitätsdatenraum schaffen. Welche Überlegungen stehen dahinter?

» Degen: Die Digitalisierung hat eine enorme Bedeutung für die gesamte europäische Wirtschaft. In mehreren Wirtschaftssektoren möchte die Kommission die europaweite Verfügbarkeit und Vernetzung von Daten ermöglichen. Im Personenverkehr geht es vor allem um Reiseinformationen und Ticketing, aber auch um Fahrzeugdaten, um daraus neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu entwickeln.

Das Arbeitsprogramm soll sich auch mit einer Überarbeitung des Rechtsrahmens für Fahrgastrechte beschäftigen. Kommen da auf den ÖPNV neue Herausforderungen zu?

» Petersen: Ja, und zwar geht es um die Rechte der Fahrgäste bei multimodalen Reisen. Wer ist dann zu welchem Anteil für den Fahrgast verantwortlich? Unsere Aufgabe wird es sein, darauf hinzuweisen, dass der ÖPNV mit seinen kürzeren Fahrten und günstigen Preisen anders zu bewerten ist als Flüge oder der Bahn-Fernverkehr.

Wie konkret ist die Umsetzung des Arbeitsprogramms? Gibt es schon Einladungen an Sie zu ersten Meetings?

» Degen: Die meisten Programmpunkte haben ungefähr ein Jahr Vorbereitungszeit. Deshalb: Wir sind jetzt schon mittendrin.

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