Europa
11.08.2020

„Eine Art Europa-Takt als großen Schritt wagen“

Am 1. Juli 2020 hat Deutschland für sechs Monate die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union (EU) übernommen. In einem Gastbeitrag für „VDV Das Magazin“ stellt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (Foto) das Programm im Mobilitätssektor vor.


Die vergangenen Monate haben uns sehr deutlich gezeigt, wie wichtig Mobilität und zuverlässige Transportketten sind. Selbst in den Zeiten des härtesten Lockdowns fuhren Busse und Bahnen ein solides Grundangebot, sodass jeder, der nicht im Home-Office bleiben konnte, verlässlich zur Arbeit kam. Auch dem Güterverkehr ist es gelungen, die Menschen zuverlässig mit Lebensmitteln, Medikamenten und den Waren des täglichen Bedarfs zu versorgen – und das trotz mancher Schwierigkeiten sogar über Ländergrenzen hinweg. Möglich war dies vor allem auch durch das große Engagement der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verkehrssektor, die jeden Tag dafür gesorgt haben, dass der Verkehr weiter rollt. Daran sehen wir: Verkehr und Logistik sind für unser Gemeinwesen systemrelevant. Und weil Mobilität nicht an der Grenze haltmacht, muss sie natürlich europäisch gedacht werden.

Deshalb sehe ich für unsere EU-Ratspräsidentschaft im Verkehrsbereich eine sehr wichtige Aufgabe darin, den europäischen Mobilitätssektor noch besser für künftige Pandemien zu rüsten. Parallel dazu müssen wir jedoch die Menschen dazu bringen, unsere öffentlichen Verkehrsmittel überhaupt wieder zu nutzen. Gemeinsam mit meinen Verkehrsministerkollegen möchte ich deshalb schnellstmöglich eine Grundlage dafür schaffen, dass die Bürger wieder mehr Vertrauen gewinnen in Bahnen, Busse, Flugzeuge oder Schiffe. Wir müssen die Ansteckungsgefahr minimieren, damit sich alle darauf verlassen können, sicher an ihr jeweiliges Ziel zu kommen. Gerade im grenzüberschreitenden Verkehr muss jeder Reisende vor Antritt seiner Fahrt Gewissheit haben, dass beim Buchungsprozess, beim Warten auf das Verkehrsmittel, beim Ein- und Aussteigen sowie während der Fahrt bestimmte Grundregeln für den Gesundheitsschutz gelten, zum Beispiel: Abstandhalten, Mund-Nasen-Schutz, intensive Reinigung und Frischluftzirkulation. Im Idealfall gelingt es uns, möglichst einheitliche Regeln zu vereinbaren – damit Reisen und Pendeln in Europa wieder einfacher werden.

Die zweite große Aufgabe meiner Präsidentschaft wird sein, einen Modernisierungs- und Innovationsschub für die Mobilität in Europa zu starten. Ich nenne es einen „New Mobility Approach“. Gerade im Verkehrsbereich brauchen wir eine Antwort auf den Klimawandel und die heißt: Innovation.

Dabei denke ich an alternative Antriebe, E-Fuels, saubere Schiffe und Flugzeuge, Oberleitungsbusse, aber auch an innovative Luftfahrtkonzepte. Doch genauso brauchen wir Apps, die uns im Alltag helfen, unsere Mobilität mithilfe von Echtzeitdaten zu planen. Denn wer Angst hat, die S-Bahn zu verpassen, weil er nicht genau weiß, ob der Bus pünktlich ist, der entscheidet sich eben doch lieber für das Auto. Wenn er aber dank Echtzeitdaten weiß, dass er genug Zeit hat, vom Bus in die Bahn zu steigen, stellt er womöglich fest: Es ist ja viel bequemer, entspannter und schneller, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren – zumal damit die zeitraubende Suche nach einem Parkplatz wegfällt.

Ich bin überzeugt: Wenn der öffentliche Nahverkehr die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzt, werden sich sehr viel mehr Menschen dafür begeistern. Eben deshalb müssen wir in die dazugehörige Infrastruktur investieren und den Kauf von modernen, klimafreundlichen Fahrzeugen fördern. Deutschland macht das bereits auf Rekordniveau.
Ein wichtiger Baustein unseres „New Mobility Approach“ wird natürlich die Schiene werden. Sie ist der Verkehrsträger, dem es am schnellsten gelingen kann, tatsächlich klimaneutral zu werden. In Deutschland haben wir Ende Juni gemeinsam mit 27 Verbänden und Unternehmen einen Schienenpakt geschlossen – und damit den Weg frei gemacht für den Deutschlandtakt. Damit wollen wir unser großes Ziel erreichen, bis 2030 die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene zu verdoppeln und deutlich mehr Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern.

Einen solchen Schub für die Bahn brauchen wir auch in Europa – beim Güterverkehr, aber auch beim Personenverkehr. Im September werde ich deshalb zu einer digitalen Ministerkonferenz zum Schienenverkehr einladen. Da werden wir Themen vorantreiben wie das digitale Zugsteuerungssystem ERTMS oder die Modernisierung der Güterwagenflotte, zum Beispiel durch das Einführen der Digitalen Automatischen Kupplung.

Im Personenverkehr wollen wir sogar den ganz großen Schritt wagen: eine Art Europa-Takt. Wir synchronisieren quasi die Taktfahrpläne der europäischen Bahnen und schaffen durchgehende Zugverbindungen. Damit würde Bahnfahren zu einer überzeugenden Alternative für innereuropäische Flüge und lange Autobahnfahrten – mit grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeits- und Nachtzügen. Denkbar wären zum Beispiel Verbindungen von Paris über Köln und Berlin bis nach Warschau oder von Berlin über Frankfurt und Montpellier bis nach Barcelona. Ein Trans-Europ-Express 2.0 – ohne Umsteigen, dafür mit einer einheitlichen digitalen Buchungsplattform für alle Zugverbindungen.

All diese Themen und Vorstöße sind Teil des New Mobility Approach. Er ist unsere Antwort auf den Green Deal und bedeutet, dass wir die Themen Klimaschutz, Mobilität und Digitalisierung nicht länger getrennt betrachten. Vielmehr sollten wir sie zu einem Dreiklang verbinden, den wir immer zusammen denken – in EINEM Ansatz. Denn nur so werden wir Lösungen finden, die auf breite Akzeptanz stoßen. Und genau das ist wichtig: Nur wenn die große Mehrheit der Menschen mitmacht, haben wir eine Chance, den Klimawandel aufzuhalten.

Das könnte Sie ebenfalls interessieren