„Krise allein im Querverbund nicht zu stemmen“

Stark gestiegene Energiekosten bringen Stadtwerke und Verkehrsunternehmen bundesweit in Bedrängnis. Da die Strom- und Gaspreise an den Börsen innerhalb weniger Tage in die Höhe geschossen waren, mussten beispielsweise die Stadtwerke Leipzig Ende August kurzfristig 230 Millionen Euro aufbringen. Auch die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) steuern auf finanziell schwierige Zeiten zu. Dazu beantwortet LVB-Chef Ulf Middelberg (kl. Foto) Fragen von „VDV Das Magazin“.

Die Verkehrsunternehmen haben mit großen Kalkulationsrisiken zu kämpfen. Expansionspläne würden vielerorts für Bestandssicherung oder einen Schrumpfkurs aufgegeben, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann: „Genau dies ist aber für die Verkehrswende kontraproduktiv.“ Ulf Middelberg, Chef der Leipziger Verkehrsbetriebe, erläutert die Situation in seiner Stadt.

Herr Middelberg, vor welchen Herausforderungen stehen die Leipziger Gruppe und mit ihr die Leipziger Verkehrsbetriebe angesichts der extrem gestiegenen und weiter steigenden Energiekosten?
» Ulf Middelberg: Elektromobilität buchstabieren wir in Leipzig ganz einfach: LVB. Und das seit über 125 Jahren. Denn die meisten Menschen in Leipzig sind mit uns elektromobil unterwegs. Der Fahrstrom für Straßenbahnen und zunehmend auch für E-Busse jedoch verteuerte sich in den letzten Wochen dramatisch, und dies setzt sich weiter fort. Allein in Leipzig sind wir mit Krisenkosten von rund 25 Millionen Euro für das Jahr 2023 konfrontiert. Zugleich stehen die Stadtwerke, auch in Leipzig, massiv unter Druck. Bundesweit drohen Forderungsausfälle, und es braucht enorme Liquidität, um überhaupt weiter Strom handeln zu können. Die Leipziger Stadtwerke-Kollegen sind nach wie vor profitabel und zeigen sehr gute Ergebnisse. Der kommunale Querverbund allein kann so aber weder kurzfristig die Krise, noch langfristig die Verkehrswende stemmen.

Welche Konsequenzen sehen Sie als Chef eines kommunalen Verkehrsunternehmens auf das Angebot von Bussen und Bahnen in den nächsten Monaten und im Jahr 2023 zukommen?
» Die Klimaziele des Bundes und die aktuellen Kriegsfolgen können nicht kommunal getragen werden. Bund und Land stehen in der Pflicht für eine Kofinanzierung. Sonst müssten wir die Preise extrem erhöhen und womöglich gleichzeitig Fahrten streichen. Mit Blick auf den Klimaschutz grundfalsch und auch wirtschaftlich riskant. Denn weniger Angebot heißt auch weniger Einnahmen.

Was bedeutet die angespannte Situation bei den Energiepreisen für das Ziel der klimaneutralen Mobilitätswende und der dafür erforderlichen Weiterentwicklung des ÖPNV in Leipzig und andernorts?
» Wir wollen ja nicht nur fordern, sondern auch eigene Beiträge leisten, zum Beispiel mit energiesparendem Fahren. Ein gemeinsames Projekt, das Dresden, Chemnitz und Leipzig gerade angehen. Gleichzeitig ist die Straßenbahn mit Oberleitung und Ökostrom schon heute hoch energieeffizient und definitiv Teil der Lösung für klima- und stadtverträgliche Mobilität. Für eine verkehrspolitische Wende brauchen wir zudem ein Ende der Pkw-Bevorrechtigung. Stattdessen attraktive Angebote mit leistungsfähigen Netzen.

Drohen nun kräftige Tariferhöhungen, um die hohen Kosten wenigstens teilweise aufzufangen?
» Bei diesem Kostenanstieg kann niemand die Preise außen vorlassen. Unternehmerisch müssten wir alle Spielräume nutzen. Preissenkungen, ob sozialpolitisch motiviert oder als Signal für die Mobilitätswende, sind nur einnahmeneutral denkbar. Also mit dynamisierten Ausgleichszahlungen durch Bund und Land.

Passt das Deutschlandticket für 49 Euro als Nachfolge für das 9-Euro-Ticket mit dann drohenden Einnahmeverlusten bei den Verkehrsunternehmen überhaupt in die gegenwärtige Krisensituation?
» Die politische Diskussion zeigt, dass der ÖPNV ein Lösungsbaustein ist und bleibt. Dazu ist aber ein tragbarer Beschluss der Finanzierung für das Basisangebot und den Ausgleich der Krisenkosten sowie des Bundesabos notwendig, um weiterhin attraktive Alternativen zu individuellen Lösungen zu bieten. Jetzt braucht es schnell verbindliche Regelungen. Das Geld muss bei den ÖPNV-Unternehmen direkt ankommen – egal ob in Stadt oder Land, auf Schiene oder Straße.

Welche Unterstützung erwarten Sie von der Politik – Bund, Länder, Kommunen –, damit der Betrieb in den kommenden Monaten und im nächsten Jahr gesichert ist?
» Die Folgen der Klimakrise reichen weit über die Folgen des russischen Angriffskrieges hinaus, so furchtbar dieser vor allem für die Menschen in der Ukraine ist. Insofern sollten wir die jetzt zur Verfügung stehenden Finanzmittel verstetigen und die ÖPNV-Finanzierung ganz neu aufstellen. Kommunen wie Leipzig haben ihren Beitrag verdoppelt. Bund und Länder können folgen und so eine nachhaltige Perspektive planbar verankern.

Was muss passieren, damit die Anstrengungen für den Klimaschutz fortgeführt werden können und die Verkehrswende jetzt nicht an Schwung verliert?
» Hier nur zwei Ideen, die im Hier und Jetzt genau so wirken wie für die Zukunft: Tempolimits beim Pkw bringen weniger Energieverbrauch und CO2. Beschleunigung bei Bus und Bahn bedeuten niedrigere Kosten und höhere Attraktivität. Dafür braucht es ein gutes Fahrtenangebot und Investitionen. Beides übrigens Maßnahmen, die einer Inflation sowie Rezession entgegenwirken und den Wirtschaftsstandort stärken.

Sie sind auch Vorsitzender des VDV-Ausschusses für Marketing und Kommunikation: Wie können die Verkehrsunternehmen ihre Rolle als Teil der Lösung bei den Themen Energiesparen und Klimaschutz jetzt noch stärker betonen?
» Modernes Marketing denkt vom Produkt über Preis und Vertrieb bis hin zu Kommunikation und Service. Deshalb sollten wir uns verändern und die Chance eines bundesweiten Abo-Standards nutzen. Für bessere Prozesse, höhere Produktivität, zufriedene Kunden. Zugleich bleibt Mobilität physisches, lokales Geschäft von und für Menschen. Diese Menschen können stolz sein, mit Bus und Bahn zu einem besseren Klima beizutragen – für lebendige Kommunen und attraktive Wirtschaftsregionen. Auf diesem Fundament können wir begeisternde Kampagnen bauen und Menschen für uns gewinnen: als Mitarbeitende und als Fahrgäste. Das ist unser eigener, unternehmerischer Beitrag für die Mobilitätswende und Voraussetzung für eine Neugestaltung unserer Lebensräume. Ansätze und Ideen dafür liefert zum Beispiel unser VDV-Marketingkongress am 21./22. November in Berlin.

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