Innovationen
12.09.2022

Mit App und Klick
in die Werkstatt

Vom Klemmbrett zum Computer. Mit der App arbeiten, statt Papier zu produzieren: Bei der Ruhrbahn, dem Nahverkehrsunternehmen der Städte Essen und Mülheim an der Ruhr, kommt die Digitalisierung in der Instandhaltung einen großen Schritt weiter. Bürokratisch anmutende Prozesse werden mithilfe hoch spezialisierter Rechnerunterstützung abgeschafft. Die Arbeit wird einfacher und effizienter.


Diktieren statt tippen, schreiben schon gar nicht mehr: Bei der Ruhrbahn hat sich der Arbeitsalltag der Technikerinnen und Techniker in der Instandhaltung grundlegend verändert. Ganz gleich, ob sie im Tunnel die Weiche einer U-Bahnstrecke auf ihre sichere Funktion prüfen oder ob sie dem Ärgernis eines defekten Fahrkartenautomaten auf der Spur sind: Sie haben einen ständigen, ziemlich kompetenten Begleiter, der ihnen per Spracheingabe willig zu Diensten ist. Denn auf ihre Touren gehen sie mit ihrem Tablet. Dessen Kameraoptik mit Scanner ermöglicht es, mit einem Klick eindeutig zu identifizieren, welches technische Gerät aus dem Betriebsalltag gerade zu überprüfen ist. Und über das eingebaute Mikrofon wird die Fehleranalyse Wort für Wort registriert. Bei Bedarf wird sie an die Arbeitsvorbereitung der Werkstätten weitergeleitet. Nicht nur als Nachricht, sondern als fertige Schadensmeldung, die gleich in die unternehmensinterne Software eingeht. So können dann am Schreibtisch über den PC die weiteren Schritte, insbesondere der Reparaturauftrag, schon eingeleitet werden, während das technische Personal noch unterwegs auf seiner Prüfrunde ist.

Im ÖPNV bedarf es für einen reibungslosen Betrieb einer größtmöglichen Verfügbarkeit von Fahrzeugen im technisch einwandfreien Zustand sowie einer intakten Infrastruktur. Die Ruhrbahn setzt bei der Instandhaltung auf die Digitalisierung.

„Wir haben drei Bereiche ausgewählt, in denen wir in Pilotprojekten die neuen Verfahren testen“, erläutert Projektleiter Bernd Duchatz. So sind die Mitarbeitenden der Zugsicherungstechnik und der Werkstatt für die Vertriebstechnik - wie etwa für die Ticket-Verkaufs­­automaten – mit 16 iPads ausgestattet worden. Mit von der Partie ist darüber hinaus die Materialwirtschaft, noch im erweiterten Testbetrieb mit fünf Smartphones. Die eine oder andere Anwendung fehle noch, und man weiß auch schon, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Gleichwohl: Der Wareneingangsprozess beginne jetzt mit dem Fotografieren des Lieferscheins, und die Daten gehen dann gleich ins hausinterne SAP-System.

Kontakt zwischen „draußen“ und „drinnen“

Aus den bisherigen Erfahrungen wissen wir jetzt, dass es wichtig ist, die Kolleginnen und Kollegen an die neuen Aufgaben heranzuführen. Wir wollen und müssen Begeisterung wecken.

Bernd Duchatz,
IT-Projektleiter bei der Ruhrbahn

Besonderer Clou: die Scanner-Erweiterung. Mit einem Smartphone-Zusatz können im Lager auch Bestände erfasst werden, die nicht unmittelbar vor der Linse des Handys liegen. Die Verknüpfung der bestehenden EDV-Organisation auf klassischer Windows-Basis mit den intelligenten mobilen Möglichkeiten von Apple-Endgeräten ist das Werk des Münchner Softwareentwicklers „Membrain“, der unter anderem auf Prozesse der mobilen Instandhaltung spezialisiert ist. Entwickelt wurde eine App, die die Verbindung zwischen den Endgeräten draußen im Betrieb und der komplexen Bürokommunikation herstellt. Und zwar über Technik und Materialwirtschaft hinaus bis hin zu zukünftig denkbaren Anwendungsfällen im Controlling, Personalwesen oder in der Finanzbuchhaltung. Eine erhebliche Arbeitserleichterung: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort im Netz der Ruhrbahn können mit wenigen Klicks und weithin intuitiv ihre Informationen im Unternehmen an die richtigen Stellen weitergeben.

Im Verkehrsunternehmen ist man mit den Digitalisierungsschritten schon jetzt zufrieden. Lukas Stuchlik, Abteilungsleiter „Strategische IT“: „Bereits die erste Version der App ist gut geworden, alle Funktionen wurden wunschgemäß umgesetzt. Der mobile Datenaustausch mit dem Hintergrundsystem im Unternehmen war für uns absolutes Neuland.“ Jörg ­Lamers, Bereichsleiter „Telematik und Prozesstechnik“, ergänzt: „In unserer Digitalisierungsstrategie ist es ökonomisch sinnvoll und wichtig, dass Gleiches – also alle bei der Ruhrbahn integrierten SAP-Prozesse von der Auftrageröffnung in der Instandhaltung bis zur Kostenabrechnung im Controlling – auch durch eine integrierte mobile Plattform miteinander verbunden werden kann. Standardisierung und Kollaboration ist hierbei in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte der Schlüssel zu einer leistungsfähigen und wirtschaftlichen IT.“

Im täglichen Prüfeinsatz sei es hilfreich, dass die App den Dialog mit dem Rechner vereinfachend auf das Maß herunterbricht, das das Personal vor Ort für seine Arbeit braucht. Viele Arbeitsschritte starten mit einem Klick auf Schaltflächen, die auf dem PC genauso aussehen wie auf den mobilen Endgeräten – also kein Umdenken zwischen den zwei Rechnerwelten erfordern. Was insbesondere für Kontrollgänge in den U-Bahntunnels nicht unwesentlich ist: Die App funktioniert auch offline ohne Internetzugang. „Diese Offline-Funktion war uns naturgemäß sehr wichtig“, erklärt Stefan Eichholz, Informatik-Experte der Ruhrbahn-Softwaresysteme, „damit die Mitarbeiter auch in entlegenen Winkeln des Netzes stets Kontakt behalten.“ Und den Informationsfluss für ihre Kon­trolltätigkeit: Vielfach sind in der App bereits Daten enthalten, die auf einen Blick zeigen, ob eine technische Komponente korrekt funktioniert: „Da sind die zulässigen Standardwerte schon im System hinterlegbar. Wenn die Abweichungen zu groß sind, kann vom System automatisch ein Reparaturauftrag aufgegeben werden.“

Bei der Ruhrbahn wurde die bestehende EDV auf Windows-Basis mit mobilen Apple-­Rechnern verknüpft. Hier sieht man die Bestandsaufnahme per Smartphone. Der Bereich Materialwirtschaft befindet sich im erweiterten Testbetrieb.


Auch für die Branche eine Menge erreicht

Die Umstellung auf die App hat bei den Mitarbeitenden allerdings nicht nur Zustimmung ausgelöst. Bernd Duchatz beschreibt die Skepsis: „Einige befürchteten, dass sie nun über den direkten Draht ins Unternehmen einer permanenten Überwachung ausgesetzt sind.“ Mit einer Rahmenbetriebsvereinbarung zum Einsatz der IT-Systeme der Ruhrbahn wurde die Leistungs- und Verhaltenskontrolle kategorisch ausgeschlossen. „Sie wäre damit auch arbeitsrechtlich in keiner Weise verwendbar“, erklärt der Projektleiter. Das Unternehmen vertraue seinen Beschäftigten und wolle dieses auch umgekehrt beim Personal erreichen. Vielleicht sei bei der Vorbereitung des Change­managements zu wenig Zeit für Aufklärung und Argumente investiert worden – ein Erfahrungs- und Lernprozess. Darüber hinaus sei über die Zusammenarbeit mit anderen Verkehrsbetrieben in Sachen Digitalisierung in den Gremien und Gruppen des VDV „eine Menge für die Hintergrundsysteme in den Unternehmen erreicht“ worden – etwa über die Entwicklungsanforderungen. Die Unternehmen seien nicht nur gut vernetzt, sondern hätten als gemeinsame Stimme der Branche im Dialog mit den Software-­Anbietern die Programme in vielen Einzelpunkten auf die spezifischen Bedürfnisse der ÖPNV-Unternehmen ausrichten können. So wurden vereinfachte Eingabemöglichkeiten, Verarbeitungslogiken oder Berichtsauswertungen implementiert.

In Mülheim und Essen steht nun der nächste Digitalisierungsschritt an. Die Straßenbahn- und Stadtbahnwerkstätten sollen ebenfalls für die mobile Instandhaltung per App ausgestattet werden. „Da gibt es hohe Anforderungen“, berichtet Bernd Duchatz: „Aus den bisherigen Erfahrungen wissen wir jetzt, dass es wichtig ist, die Kolleginnen und Kollegen an die neuen Aufgaben heranzuführen. Wir wollen und müssen Begeisterung wecken.“ Das benötige viel Fingerspitzengefühl: „Wir wollen es gemeinsam hinbekommen. Computerleute gegen Tram-Techniker – das geht gar nicht.“

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