„Ausbildungskosten gegenseitig erstatten“

Untereinander stehen sie in Konkurrenz, unter dem Dach des VDV setzen sie sich jedoch für gemeinsame Ziele ein. Die Wettbewerbsbahnen wollen nach außen sichtbarer werden. Jost Knebel (Foto), Vorsitzender des Ausschusses der Wettbewerbsbahnen, beantwortete die Fragen von „VDV Das Magazin“.

Herr Knebel, ist der Ausschuss der Wettbewerbsbahnen ein neuer Ausschuss im VDV?
» Jost Knebel: Wir haben uns im vormaligen „Ausschuss für Wettbewerbsfragen des Eisenbahnpersonenverkehrs“ neu orientiert und positioniert. Bei dieser Gelegenheit haben wir den Namen angepasst und uns ein neues Logo gegeben. Wir wollen damit auch sichtbarer werden.

Was hat sich im Markt verändert?
» Für uns ist wesentlich: Das geschäftliche Umfeld hat sich teilweise zum Nachteil der Unternehmen verändert. Wir müssen unser Kerngeschäft unter immer schlechteren Rahmenbedingungen betreiben. Das Schienennetz ist zum Teil komplett überlastet, und viele Signalanlagen fallen zu oft aus. Das frustriert unsere Fahrgäste, die überfüllte und unpünktliche Züge eher als kleineres Übel statt als überzeugende, im Wortsinne geldwerte Leistung wahrnehmen. Es frustriert uns selbst, da wir unseren eigenen Anforderungen nicht gerecht werden können. Und das gerade in einer Zeit, in der der Öffentliche Verkehr – endlich – als Problemlöser wahrgenommen wird. Zudem werden wir Eisenbahnunternehmen dann noch mit Pönalen in Millionenhöhe seitens der Aufgabenträger belegt, obwohl über 90 Prozent aller Verspätungen nicht von uns verursacht werden.
Ein zusätzlicher Engpass, den vor einigen Jahren noch niemand auf dem Zettel hatte, ist der Personalmangel. Um Lösungen zu finden und konsequent umzusetzen, müssen alle Beteiligten die Bereitschaft mitbringen, miteinander zu reden und vor allem selbst Personal auszubilden.

Der Ausschuss Wettbewerbsbahnen will mit seinem neuen Logo nach außen sichtbarer werden.

Es klingt eigenartig: Bahnen, die im Wettbewerb stehen, in einem Ausschuss.
» Man muss das Gemeinsame sehen. Uns eint, dass wir einen fairen Wettbewerb anstreben, dass die Ausschreibungsbedingungen weniger bürokratisch und unternehmerische Innovationen möglich sind, dass die „Produktionskette“ nicht immer weiter ausdifferenziert wird. Also ein gemeinsames Verständnis dafür, wie attraktiver, leistungsfähiger Nahverkehr aussehen muss. Im Wettbewerb stehen die SPNV-Unternehmen ohnehin nur so lange, bis der Auftrag vergeben wurde. Ab dann sind wir idealerweise Kooperationspartner, die gemeinsam ihren Beitrag zum Gelingen der Verkehrswende leisten. Dafür kämpft der gesamte VDV.

Was sind aktuelle Themen, wofür streiten Sie? Was wird 2020 wichtig?
» Der Personalmangel im Fahrdienst ist aktuell ein großes Thema. Wir suchen Lokführer, Zugbegleiter und Personal für unsere Werkstätten. Wir sind uns einig: Es bringt nichts, beim Mitbewerber Ausschau zu halten, wir brauchen insgesamt viel mehr Männer und Frauen an und auf den Zügen. Unsere Branche braucht neue Mitarbeiter. Und wir brauchen Verlässlichkeit in der Ausbildung. Wie beispielsweise im Handwerk erfüllen wir mit der Ausbildung der nächsten Generation Eisenbahner eine gesellschaftliche Aufgabe. Auch daher täte es der Branche gut, wenn wir uns bundesweit auf die gegenseitige Erstattung von Ausbildungskosten verständigten. Hierfür gibt es erfreulicherweise erste Ansätze.

Welche?
» Wir haben in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen schon mit allen Nahverkehrsunternehmen und einigen Unternehmen des Güterverkehrs eine Vereinbarung, die regelt, wie die Ausbildungskosten bei einem Wechsel von Mitarbeitern vergütet werden. Das ist schon ein guter erster Schritt. Baden-Württemberg wird folgen, und ich kämpfe dafür, dass uns dies bundesweit gelingt.

Welche Maßnahmen haben die Unternehmer ergriffen, um attraktiver zu werden?
» Zunächst muss sich jeder selbst als attraktiver Arbeitgeber in Szene setzen. Gleiches muss die Branche insgesamt zeigen, dass sich Eisenbahnen und ÖPNV-Unternehmen keineswegs hinter der Industrie verstecken müssen, wenn es um interessante, vielfältige und entwicklungsfähige Berufsbilder geht. Ein wichtiger Schritt ist mit der VDV-Arbeitgeberinitiative in-dir-steckt-zukunft.de getan. Hier dürfen wir nicht nachlassen.

Was wünschen Sie sich von der Politik?
» Verlässliche Rahmenbedingungen und Gespür für Machbares. Ein aktuelles Beispiel: Es ist gut und richtig, die DB Netz finanziell in die Lage zu versetzen, endlich ihre notwendigen Baumaßnahmen umzusetzen. Allerdings sind die guten Ansätze eines „kundenfreundlichen Bauens“ bislang weder in einer adäquaten Mittelausstattung durch den Bund konsequent umgesetzt, wie auch einige Aufgabenträger noch immer Pönalen aussprechen, obwohl Verspätungen durch Baumaßnahmen verursacht werden. Dass DB Netz nicht weiter aus haushalterischem Zwang zu Lasten der fahrenden Gesellschaften bauen muss, war ein mühsamer Prozess. Allerdings werden wir die Folgen in Form von steigenden Engpässen noch die nächsten zehn Jahre spüren. Ob die LuFV III in der Praxis reicht, wird sich noch beweisen müssen.

86,2 Milliarden für die Schiene

Mit der dritten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV III) zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG sollen von 2020 bis 2029 insgesamt 86,2 Milliarden Euro für die Instandhaltung der Eisenbahninfrastruktur zur Verfügung stehen. Davon entfallen 62 Milliarden auf den Bund – eine Steigerung gegenüber der 2019 ausgelaufenen LuFV II um 59 Prozent. Die DB soll Eigenmittel von 24,2 Milliarden Euro beisteuern, 41 Prozent mehr als bislang.

Von der Automobilindustrie und in der Luftfahrt kennen wir Plattformlösungen, die Einheitlichkeit an der Fahrzeugbasis bieten, aber Spielraum an anderen Stellen. Ein Vorbild?
» Auf jeden Fall. In jedem Bundesland fahren andere Züge, jeder Aufgabenträger gibt ganz spezielle Vorgaben. Das verhindert Synergien, macht Skaleneffekte unmöglich. Wenn dann noch die unterschiedlichen Bahnsteighöhen und die berechtigte Forderung nach ebenerdigem Einstieg dazukommen, zeigt sich, wie weit unsere Branche noch von einer Standardisierung entfernt ist. Wir brauchen mehr Standardisierung bei Fahrzeugen und Bahnsteighöhen.

Wie ist das Verhältnis zu den anderen Verbänden, die sich den Wettbewerb im Bahnverkehr auf die Fahnen geschrieben haben?
» Wer die gleichen Ziele verfolgt, ist sich in der Sache wohlgesonnen. So arbeiten wir in vielen Themen gemeinsam. Als Fach- und Branchenverband wären allerdings weitere Vergleiche unfair, da der VDV seinen Mitgliedern ein sehr viel weiteres Spektrum bieten kann, als kleinere Verbände das können.

Wie bewerten Sie die Arbeit der Aufgabenträger und der Verkehrsverbünde für den Wettbewerb?
» Das ist grundsätzlich eine Erfolgsgeschichte. Wenn wir sehen, wo wir einmal herkamen, mit einem dominanten Unternehmen, und wo wir jetzt stehen, mit vielen Wettbewerbern auf dem Markt, das kann sich sehen lassen. Allerdings begrüßen wir bei Weitem nicht alles uneingeschränkt, so zum Beispiel die unterschiedlichen Trennlinien zwischen unternehmerischer und staatlicher Verantwortung. Auch die bedingungslose Überwälzung von Risiken in Form von Pönalen sehen wir sehr kritisch.

Es geht nur um Personenverkehr – was ist mit dem Güterverkehr?
» Das Marktumfeld im Güterverkehr ist ein anderes, da die Kolleginnen und Kollegen dort unmittelbar im Wettbewerb stehen, also ohne öffentliche Hand in Form eines Aufgabenträgers. Darum kümmern sich im VDV die Gremien des Güterverkehrs. Was uns eint, ist die Abhängigkeit von der Infrastruktur, daher arbeiten wir in Fragen der Infrastruktur auch branchenübergreifend zusammen.

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