Finanzierung
04.09.2017
Hintergrund

Finanzspritzen:
Gutes Geld für Bus und Bahn

Immer mehr Menschen fahren mit Bus und Bahn. Immer anspruchsvoller werden die Anforderungen an ein attraktives Mobilitätsangebot mit dem ÖPNV. Aber überall fehlen Mittel für den Ausbau der Systeme und Kapazitäten. Auf der Suche nach zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten entdecken die Verkehrsunternehmen die Fördertöpfe bei Bund, Ländern und der Europäischen Union. Doch das Geld liegt nicht einfach auf der Straße, und der Wettbewerb um den warmen Segen ist groß.


Berlins BVG gehört zu den Pionieren. „Sofi“ ist das Stichwort. Eine Abkürzung für „Sonderfinanzierungsmittel“ des Landes Berlin. „Davon haben wir schon seit 1994 für unsere Projekte zur Verbesserung des ÖPNV in der Bundeshauptstadt profitieren können“, sagt Mike Wohlbold. Er ist beim Berliner Nahverkehrskonzern „Leiter Bereichsstab Alternative Finanzierung“. Was sich dahinter verbirgt, ist ganz einfach: „Alternative Finanzierungen“, so Wohlbold, „sind alle Geldbeschaffungen, die nicht auf klassischen Krediten basieren.“ Solches Geld, im Allgemeinen vornehm „Drittmittel“ genannt, gibt es reichlich. Nicht nur aus den Kassen der Bundesländer, sondern auch vom Bund und – vielfältig – von der EU. Von der Gleisanschlussförderung bis zum Geldsegen für Elektrobusse, von kommunaler und regionaler Strukturförderung für die Wirtschaft bis zur Unterstützung der Forschung, von der „Fazilität für umweltfreundlichen Verkehr“ bis zur Finanzhilfe für Umschlagbahnhöfe des Kombinierten Verkehrs gibt es eine große, für den Laien kaum durchschaubare Bandbreite an Möglichkeiten „alternativer Finanzierung“.

Geld zu bekommen, ist gar nicht so schwer.
Das Geld dann auch zu behalten – das ist
die eigentliche Kunst.“

Mike Wohlbold, Leiter Bereichsstab Alternative Finanzierung bei der BVG

Die BVG hat aus der Vielfalt der Programme und Ansprechpartner die Konsequenz gezogen, die Beschaffung von Drittmitteln professionell anzugehen. Seit vier Jahren ist ein Experten-Quartett zentral für die Einwerbung von Finanzierungshilfen zuständig. Neben dem Management-Experten Mike Wohlbold sind das ein Betriebswirtschaftler, ein Wirtschaftsingenieur und ein IT-Profi. Alle vier sind erfahrene Netzwerker, die stets in zwei Richtungen blicken und intensiv die Kontakte pflegen. Zunächst einmal im Konzern: Welche Aufgaben stehen an? Welche davon haben eine Aussicht auf Förderung? Und die andere Richtung: Wo sind Programme, sprich: Fördertöpfe, die sich gegebenenfalls anzapfen lassen? „Da sind riesige Summen drin“, weiß Mike Wohlbold. Gleichwohl müssen sie in mühseliger Argumentationsarbeit erkämpft werden – nicht selten gegen knallharte Konkurrenz nicht nur aus der ÖPNV-Branche. Die Aussicht auf Drittmittel löst in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vielschichtig Begehrlichkeiten aus, vom Straßenbau über die Gesundheitsvorsorge bis zur Kultur. Die Geldgeber hingegen müssen behutsam behandelt werden, nicht zuletzt auch wegen der Eitelkeiten: Wehe, wenn die Pressemitteilung über ein mit Finanzhilfen gefördertes Projekt nicht den Förderer nennt und nicht das Logo der hilfreichen Institution gleich neben dem Unternehmensschriftzug zeigt …

VDV-Broschüre gibt Hilfestellung

Finanzierung von ÖPNV-Projekten aus staatlichen Fördertöpfen – dafür gibt der VDV seinen Mitgliedern jetzt Hilfestellungen in einer Broschüre und im Mitgliederbereich www.vdv.de/foerdermittel. „Wir wollen unseren Unternehmen aufzeigen, welche zusätzlichen Mittel für den ÖPNV und den Schienengüterverkehr zur Verfügung stehen. Zugleich wollen wir auch aufzeigen, wie man am besten Fördermittel einwirbt“, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. „Das Geflecht der Richtlinien und Fonds mag auf den ersten Blick undurchlässig wirken, doch wer sich da reinkniet, wird schnell fündig.“

www.vdv.de/zeitschriften---broschueren.aspx

Links: Moderne U-Bahn in Berlin: Die Europäische Investitionsbank unterstützt das Vorhaben der BVG, mehr als die Hälfte aller Bahnen bis 2033 zu erneuern.

Rechts:
Wo Polen, Tschechien und Deutschland aneinandergrenzen, entsteht mit europäischer Förderung ein länderübergreifendes ÖPNV-Angebot.

Wer das Rennen macht und für seine Projekte zusätzliche Millionen einwirbt, ist nur dann fein raus, wenn er seinen Geldgebern nach Abschluss des Vorhabens lückenlos nach allen Regeln der Bürokratie die vorgesehene und sinnvolle Verwendung der Mittel nachweisen kann. Sonst drohen Rückzahlungen. Mike Wohlbold bringt es auf den Punkt: „Geld zu bekommen, ist gar nicht so schwer. Das Geld dann auch zu behalten – das ist die eigentliche Kunst.“

Während es in der Hauptstadt darum geht, sich stürmisch wachsenden Verkehrsaufgaben zu stellen, steht in einem stillen Winkel der Republik die Aufgabe im Vordergrund, das Trennende von Grenzen zu überwinden. Im Dreiländereck im südöstlichen Sachsen, wo bei Zittau die polnische und die tschechische Grenze quasi vor der Haustür liegen, entsteht mithilfe europäischer Fördermittel ein grenzüberschreitendes ÖPNV-Angebot. „Ahoj son sede. Hallo Nachbar“ – das ist zweisprachig das Motto des „Euro-Neiße-Ticket“. Es gilt mittlerweile weit über die Grenzregionen hinaus in allen drei Ländern in Bussen und Bahnen auf vielen Linien. Dabei erfreut es sich wachsender Beliebtheit. Die Idee hatte der deutsche Aufgabenträger, der Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON), als Tschechien und Polen am 1. Mai 2004 EU-Mitglieder wurden. 18 Verkehrsunternehmen in den drei Staaten machten von Anfang an mit; inzwischen sind es 26. Das Ticket funktioniert auf denkbar einfache Weise: Es gibt zwar vertragliche Verabredungen, aber keine Einnahme-Aufteilungen, sondern wechselseitige Anerkennung jenseits der jeweiligen Landesgrenzen.

So können Projekte gestemmt werden, die ohne die Mittel für uns nicht finanzierbar wären.

Hans-Jürgen Pfeiffer, Geschäftsführer Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON)

FACHTAGUNG ZUR ÖPNV-FINANZIERUNG

Kurz vor Beginn der neuen Legislaturperiode rückt die VDV-Akademie die ÖPNV-Finanzierung in den Fokus. Zu diesem Thema veranstaltet sie am 19. und 20. September eine Fachtagung in Stuttgart. Dabei geht es nicht nur darum, wie es mit dem ÖPNV weitergeht – nach der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, dem Wegfall der Entflechtungsmittel ab 2020 und einem bis 2025 „versteinerten“ GFVG. Zahlreiche weitere Fragen werden diskutiert – etwa, mit welchen Argumenten Länder zur Förderung des ÖPNV gewonnen werden können.

www.vdv-akademie.de/tagungen/fachtagungzuroepnv-finanzierung2017

Möglich wurde das, weil die Partner sich frühzeitig um Fördermittel der EU bemüht hatten, speziell aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). „So können Projekte gestemmt werden, die ohne die Mittel für uns nicht finanzierbar wären. Es wird eine Basis für eine stabile Zusammenarbeit der Partner im Dreiländereck gelegt“, erklärt ZVON-Geschäftsführer Hans-Jürgen Pfeiffer. Das Euro-Neiße-Ticket leiste einen Beitrag zur besseren Mobilität der Menschen auch ohne Auto als Voraussetzung für die Zusammenarbeit und das Zusammenwachsen in der Grenzregion beziehungsweise im Dreiländereck – in einer Region, die zudem auf wachsende touristische Potenziale setzt.

Bares für Berlin –
Beispiele aus der Förderpraxis

Mit BENE zur IGA: Zur derzeit laufenden Internationalen Gartenausstellung hat die BVG den U-Bahnhof Kienberg am Ausstellungsgelände modernisiert und barrierefrei ausgebaut. 50 Prozent der Mittel stammen aus dem „Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung“, kurz BENE, mit dem das Land Berlin aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) von 2014 bis 2020 rund 635 Millionen Euro abrufen kann.

Bessere Bahnen: Mit dem Projekt „Rehabilitierung der Berliner U-Bahn“ läuft ein umfangreiches Programm zur Sanierung, Erweiterung und Verbesserung der U-Bahn-Infrastruktur sowie zur Beschaffung von Spezialausrüstungen und Fahrzeugen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) fördert die Vorhaben mit einem Kreditrahmen von 150 Millionen Euro. Eine Hilfestellung für das große BVG-Projekt, bis 2033 60 Prozent der U-Bahnen und der Trams zu erneuern.

SIWA macht U-Bahn fit: Berlin verfügt über ein Sondervermögen „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“, abgekürzt SIWA. Aus den Mitteln fließen Zuschüsse an die BVG für neue U-Bahn-Fahrzeuge sowie für den barrierefreien Ausbau von U-Bahnhöfen.

Das könnte Sie ebenfalls interessieren