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Thüringen:
Neue Qualität für den ÖPNV im ganzen Land

Landauf, landab planen Verkehrsunternehmen und Politik die Verkehrswende – und stehen vor schwierigen Weichenstellungen. Schlaglichtartig zeigte das die Länderkonferenz für den öffentlichen Personenverkehr in Thüringen, die Ende Juni in Erfurt stattfand.


Steigende ÖPNV-Nachfrage in den thüringischen Städten und neue Angebote in den ländlichen Regionen sind die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite: Unsichere Finanzierungen und das Gebot der Wirtschaftlichkeit bremsen Ideen wieder aus. „Ein guter ÖPNV ist eines der wichtigsten verkehrspolitischen Ziele der Landesregierung”, sagte die Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft Birgit Keller (Die Linke) auf der Länderkonferenz der Infrastrukturinitiative „Damit Deutschland vorne bleibt“. Dass die Politik in der Pflicht ist, im Interesse der weltweiten Vereinbarung zum Klimaschutz die Verkehrswende herbeizuführen, hatte Urs Maier, Projektleiter des Berliner Think Tanks „Agora Verkehrswende”, in seinen einleitenden Worten unterstrichen und zugleich Mut gemacht: „Die Verdopplung des ÖPNV bis 2030 ist mit rein nationaler Politik zu machen.” Es sei völlig klar, dass ein zunehmend attraktiver ÖPNV das Rückgrat der Verkehrswende sein werde. Autofahren müsse teuer werden, auch wenn das schmerzlich sei. Durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung könne der Umweltverbund von Bus und Bahn sinnvoll durch multimodale, autonome Fahrzeugflotten ergänzt werden.

Myriam Berg (stellvertretende Vorsitzende der VDV-Landesgruppe Sachsen/Thüringen, 2. v. l.)
begrüßte Ministerin Birgit Keller (2. v. r.) und die Landtagsabgeordneten Marcus Malsch (CDU, l.) sowie
Gudrun Lukin (Die Linke, r.).

Neben der Einbindung des neuen ICE-Knotens Erfurt Hauptbahnhof in die regionalen Liniennetze gehört zu den Thüringer Leuchtturm-Projekten der 2016 begonnene Aufbau eines „landesbedeutsamen Busnetzes”. „2017 waren es schon 13 Linien, 2018 werden es 18 Linien”, berichtete Myriam Berg, Vorstand der Erfurter Verkehrsbetriebe AG (EVAG) und stellvertretende Vorsitzende der VDV-Landesgruppe Sachsen/Thüringen. Mit Fördergeldern des Landes wird ein Linienverkehr für die dünner besiedelte „Fläche” abseits des Schienenverkehrs und über Landkreis-Grenzen hinweg eingerichtet, mit guten Anschlüssen zum vertakteten regionalen Zugangebot.

Mehr ÖPNV auf dem Land

Wie bedeutsam das ist, erläuterten die Landtagsabgeordneten Gudrun Lukin (Die Linke) und Marcus Malsch (CDU). Die beiden Verkehrsausschuss-Mitglieder unterstrichen, dass gerade in ländlichen Räumen ein besseres ÖPNV-Angebot dringend notwendig sei: 90 Prozent der Einwohner Thüringens lebten auf dem Land oder in den kleinen Städten. Das bisherige ÖPNV-Angebot aber diene überwiegend dem Schülerverkehr. Lukin: „Wir reden lange darüber, wir müssen endlich etwas tun.” Das forderte auch Ralf Pieterwas, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Südthüringen. Im Thüringer Wald gehe nichts ohne das Auto, weil das Bus-Angebot zu dünn sei – und das in einer Region, die 40.000 Industriearbeitsplätze aufweise. Immer deutlicher zeige sich auch, dass junge Erwachsene gern auf das Auto verzichten, wenn es Mobilität per Bus und Bahn gebe, betonte der IHK-Manager. Das sieht auch die Landesregierung so. Klaus Sühl, Staatssekretär im Ministerium für Infrastruktur, berichtete, dass ab dem 1. Oktober ein „Azubi-Ticket” für den SPNV landesweit und für alle ÖPNV-Leistungen im Verkehrsverbund Mittelthüringen zum Preis von 50 Euro – zunächst als Pilotprojekt – angeboten werde. Es gelte noch nicht im ganzen Land, weil es noch keinen landesweiten Verkehrsverbund gibt. „Diese Kleinteiligkeit ist ein Unding”, ärgerte sich Matthias ­Jendricke, Landrat des Kreises Nordhausen.

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Finanznot stellt Verkehrswende infrage

Wie attraktiv guter ÖPNV ist, erlebt die Tourismus-Branche. Das „Rennsteig-Ticket” für die Wochenend-Wandertour, so Alexander Mayrhofer von Thüringen Tourismus, sei ein guter Beitrag für die Energie- und die Verkehrswende. Michael Hecht, Geschäftsführer der Erfurter Bahn, sah das ähnlich. Er verwies darauf, dass sich der Erfolg erst nach acht bis zehn Jahren eingestellt habe. Das „Durchhaltevermögen” stehe aber viel zu oft im Konflikt mit der Wirtschaftlichkeit solcher Angebote. Mangels ausreichender Nachfrage seien davon auch immer wieder Nebenbahnen bedroht wie derzeit die „Pfefferminzbahn” im Weimarer Land. Durch die Finanznöte sei letztlich auch die Verkehrswende immer wieder infrage gestellt. Ganz anders die Lage in den fünf Straßenbahn-Städten des Landes. EVAG-Chefin Myriam Berg: „Wir haben heftig Probleme, alle Fahrgäste zu befördern, denn wir haben keine Fahrzeugreserve.” Für knapp 100 Millionen Euro will das Unternehmen 24 neue Straßenbahnen beschaffen, doch die Fördertöpfe des Landes seien leer. Nicht nur in Erfurt stünden die Verkehrsbetriebe vor dem Problem, Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge bis zu 80 Prozent durch Eigenmittel zu finanzieren. Das treffe dann über die Stadtwerke-Verbünde die Kommunen. Alexander Hilge, Beigeordneter der Stadt Erfurt, sieht das Land in der Pflicht: „Ohne das Zutun des Freistaates werden wir an dieser Aufgabe scheitern.”

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