Verkehrspolitik
03.05.2022

Mehr Konsequenz für
die Mobilitätswende

In vielen Städten und auf dem Land steigt die Zahl der Zulassungen von privaten Pkw. Das ist kontraproduktiv für den Klimaschutz und läuft dem Bemühen entgegen, Energie - zumal meist häufig importiert - in Deutschland effizienter zu nutzen. In der Politik und in der ÖPNV-Branche wird immer deutlicher, dass die positiven Ansätze für eine CO2-freie Mobilität zwar weithin Konsens sind, die Mobilitätswende und damit alternative Angebote bei automobilen Menschen aber bisher kaum ankommen. Fachleute fordern in Regierungen und Rathäusern mehr Ideen, mehr Tempo – und mehr politischen Druck.

Wir müssen einerseits für Alter­nativen zum Auto Akzeptanz schaffen und andererseits das ­Zukunftsbild für unsere Städte ­besser erklären.

Dr. Volker Deutsch,
VDV-Fachbereichsleiter Integrierte Verkehrs­planung und Verkehrssystemmanagement


„Kampfarena Mobilität“, „automobile Hackordnung“, „My car is my castle“: Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag spart nicht mit drastischen Formulierungen, wenn es um ein typisch deutsches Problem geht – die Liebe zum eigenen Auto. Martin Röhrleef, Innovations­manager beim Hannoverschen Nahverkehrs­unternehmen Üstra, analysiert schonungslos, woran es bei der Mobilitätswende hapert: „Es gibt nur ungenügende Alternativen zum eigenen Auto. Die Latte ist sehr, sehr hoch.“ Carsharing oder Ride Pooling böten vermutlich erst mit fahrerlosen, autonomen – und damit erst bezahl­baren – Diensten ein nennenswertes Angebot zum Autoverzicht. „Noch ist die Hemmschwelle groß, den Autoverkehr einzuschränken. Aber eine Antriebswende – und dann weiter wie bisher – führt weder zu besseren Stadtqualitäten noch wird sie der Energieknappheit gerecht“, sagt Dr. Volker Deutsch, beim VDV zuständig für Integrierte Verkehrsplanung und Verkehrssystemmanagement: „Hier müssen wir uns ehrlich machen und einerseits für Alternativen zum Auto Akzeptanz schaffen und andererseits das Zukunftsbild für unsere Städte besser erklären.“

Der ÖPNV hat zwar den Vorteil der Klimafreundlichkeit, betont Volker Wente, Geschäftsführer der Landesgruppe NRW des VDV. Aber: „Wir müssen schneller und effizienter werden, denn selbst wenn in zehn Jahren nur noch E-Autos verkauft werden – es wird nicht genügend regenerative Energie geben.“ Trotz umfassender Finanzierungsmöglichkeiten komme der Ausbau von Bus und Bahn nicht schnell genug voran: „Es sind zu wenig Projekte in der Pipeline, die öffentlichen Mittel sind nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft.“ Und wenn die Förderung nicht abgerufen wird, „dann fragt sich die Politik bald, ob sie wirklich so viel Geld in den öffentlichen Nahverkehr stecken muss.“ Doch er sieht mehr und mehr positive Tendenzen.




Köln: Jedem Verkehr sein eigenes Netz

Am guten Willen fehlt es in vielen Rathäusern nicht. Das machte die Verkehrstagung der VDV-Akademie in Köln ebenfalls deutlich. „Fit machen für die Mobilitätswende“ war das Thema. „Einerseits sehen wir eine Aufbruchsstimmung und die Bereitschaft, auf allen Ebenen überkommene Verwaltungsverfahren anzupassen“, sagte Dr. Maike Schäfer, Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz und Bremer Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin: „Wir sind gleichzeitig Zeugen und Akteure eines großen Transformationsprozesses – sowohl in der Verwaltung, als auch in der Bus- und Bahn-Branche selbst.“ Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker formulierte ihr Unbehagen darüber, dass ihre Stadt in den Nachkriegsjahrzehnten „autogerecht“ umgebaut wurde. Mit einem „Mobilitätszukunftskonzept“ soll sich das wieder ändern. Henriette Reker baut dafür sogar die Stadtverwaltung um und gewann den in ÖPNV-Kreisen alles andere als unbekannten Ascan Egerer als Beigeordneten für Mobilität. Auch er weiß, dass sein „Amt für ­nachhaltige Mobilitätsentwicklung“ das private Auto, den motorisierten Invidualverkehr (MIV) zum Maßstab nehmen muss. Der Umweltverbund von Fußgängern, Radfahrern und ­klimaneutralen Bussen und Bahnen müsse sich „an der Leistungsfähigkeit des MIV orientieren. Da müssen wir mutiger werden und Dinge ausprobieren, auch wenn wir sie wieder verwerfen müssen“. Die Kölner wollen die Trendwende zum Klimaschutz möglichst schnell sichtbar machen und beispielsweise regelrechte Verkehrsnetze entwickeln: für Fußgänger, Radfahrer und Vorrangstraßen für den MIV. Prozesse würden „ämterübergreifend“ angestoßen, doch gebremst wird die Aufbruchsstimmung durch die häufig Jahre und Jahrzehnte dauernde Realisierung von Schienennahverkehrsprojekten.

Projekt autofreie Friedrichstraße in Berlin: Hier entsteht vielleicht eine Fußgängerzone.

Ob sich das ändern kann, wird in der Branche eher skeptisch beurteilt. Infrastrukturplanung in Deutschland gehe „im Schneckentempo, und meist sind alle dagegen“, beklagt Dr. Volker Christiani vom Stabsbereich Planung der Stuttgarter Straßenbahnen. Nachdem die Planungsbeschleunigung als Thema im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung angesprochen ist, gebe das aktuelle VDV-Positionspapier „Fünf Punkte zur Planungsbeschleunigung für die Schieneninfrastruktur“ nun konkrete Ideen für weniger Bürokratie, Lärmschutz und einen besser geregelten Artenschutz. Volker Christianis Pläydoyer: Die Bürger frühzeitig einbeziehen, auch wenn dafür einige Planer „über den eigenen Schatten springen“ müssten – „früh überzeugen statt lang prozessieren“.

Wir sind gleichzeitig ­Zeugen und Akteure eines großen Trans­formations­prozesses – sowohl in der Verwaltung, als auch in der Bus- und Bahn-Branche selbst.

Dr. Maike Schäfer,
Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz und Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin der Freien Hansestadt Bremen

„Wir wollen, dass die Leute ihr Auto verkaufen“: Dr. Martin Schreiner, Strategiechef im Mobilitäts­referat der Landeshauptstadt München, gibt die Zielsetzung vor. Zwar haben schon 44 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger keinen eigenen fahrbaren Untersatz mehr, die Mehrheit allerdings auch nicht selten zwei oder drei Fahrzeuge. Un­geachtet dessen: Bis 2025 soll die innerstädtische Mobilität zu 80 Prozent von abgasfreien Autos und dem Umweltverbund bestritten werden – mit wachsendem ÖPNV-Anteil. Seine Behörde argumentiere stets erfolgreich mit der „Flächeneffizienz“ für die Verlagerung weg vom MIV. Die politische Unterstützung in der rot-­grünen Stadtregierung sei „überraschend da“, die Akzeptanz in der Bevölkerung sei hoch. Ein Beispiel: Derzeit werden laut Martin Schreiner Machbarkeitsstudien für acht neue Tramlinien erarbeitet: „Da geht jedes Mal eine Fahrspur für Autos weg, und es gibt keinen Aufschrei in der Stadt.“

Luft nach oben bei der Stellplatzmiete

Proteste gibt es nicht nur in München, wenn es um zukünftige Preise für Anwohner-Parkplätze geht. Immer mehr Kommunen erkennen, dass derzeitige Stellplatzmieten von beispielsweise 30 Euro im Jahr mindestens verzehnfacht werden könnten, um auch nur ansatzweise mit der Immobilienpreis-Entwicklung Schritt zu halten. Das sorgt auch in Freiburg im Breisgau für Aufregung. Dort hat Baden-Württemberg als erstes Bundesland den nötigen Rechtsrahmen für eine derartige Erhöhung geschaffen, berichtet Unternehmensberater Burkhard Horn. Und macht deutlich, dass die als „Ökohauptstadt“ gepriesene Stadt so grün gar nicht ist: 50 Prozent der Verkehrsleistung erbringe das private Auto – der Umlandverkehr verdirbt die Bilanz. Anderenorts ist das mit dem Anheben der Preise für Anwohner-Parkplätze noch schwieriger. In München etwa gibt es den Dissens zwischen CSU-Landesregierung und dem rot-grünen Stadtparlament. Martin Schreiner hält Mieten von 500 bis 600 Euro wie im Ausland auch in München für gerechtfertigt. Damit würde man sicher manchen Autobesitzer zum Verkauf bewegen. Doch er weiß: „Das will der Freistaat eher nicht.“ Unbenommen sei Bayerns Landeshauptstadt aber, Parkplätze aus eigener Entscheidung zurückzubauen.

Mehr und mehr setzt sich in der Politik die Überlegung durch, dass man der Einsicht zur Mobilitätswende nicht nur beim Anwohnerparken mit „Push“-Maßnahmen nachhelfen kann. Städtetagsdezernent Hilmar von Lojewski spricht sich klar für eine intensivere Verfolgung und „höhere Sanktionierung“ der Verkehrssünden aus – nach Schweizer und skandinavischem Vorbild – damit das zu schnelle Fahren in der Stadt und das Parken in der zweiten Reihe mit all seinen negativen Folgen für die Verkehrs­sicherheit nicht mehr als Kavaliersdelikt abgetan werden.

Zugeparkter Radweg und nicht voneinander getrennte Verkehre: So sieht vielerorts der aktuelle Stand der Mobilitätswende aus.

Die Unlust vieler Menschen zur Mobilitätswende ist wohl auch ein Kommunikationsproblem. Die Tagung der VDV-Akademie machte deutlich, dass die von Experten erarbeiteten Konzepte zwar in den politischen Gremien auf den Tagesordnungen stehen. Die Perspektive der ÖPNV-Kunden komme aber zu kurz. Ganz anders bei den Wiener Linien, dem Verkehrs­unternehmen der österreichischen Hauptstadt, das mit seinem über Jahrzehnte perfektionierten Bus- und Bahn-Angebot zu den Vorbildern der Verkehrsbranche zählt. Die „Öffis“, wie der ÖPNV in der Alpenrepublik freundlich heißt, sprechen permanent ihre Kunden an, mal frech und provokativ, mal überraschend und immer mit reichlich Informationen. Unter dem Motto: „Wiener Linien. Die Stadt gehört dir.“ Da machte auch schon mal Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen mit: In einer Video­botschaft, die in den Wiener U-Bahnhöfen übertragen wurde, bedankte er sich auf dem Höhepunkt der Pandemie für Disziplin und Maskentragen der Fahrgäste in den „Öffis“.

Weitere Infos zum Thema Mobilitätswende:
www.vdv.de/mobilitaetswende

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