Innovationen
08.06.2020

Krasser Stoff für saubere Busse

Auf der Suche nach klimaneutraler Mobilität diskutieren Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die Potenziale von Wasserstoff-Antrieben. Etliche Verkehrsunternehmen sind schon weiter – und probieren neue Technologien aus. Zum Beispiel in Wuppertal: Zehn Brennstoffzellenbusse stehen vor dem fahrplanmäßigen Einsatz. Der für sie benötigte Wasserstoff kommt kostengünstig aus dem Verbund der Wuppertaler Stadtwerke (WSW).


Seine Teststrecke hat Werkstattchef Adolf Bergmann gewissermaßen vor der Haustür. Kaum einen Kilometer vom Betriebshof Nächstebreck der Nahverkehrstochter WSW mobil im Wuppertaler Osten entfernt, beginnt die Wittener Straße. Zügig, geradlinig und immer bergauf überwindet sie auf gut zwei Kilometern stramme hundert Höhenmeter. Bergmanns „A 330“ macht dem gleichnamigen Airbus alle Ehre und stürmt die Steigung fast so kraftvoll wie der Flieger die Startbahn – der blaue Bus hebt aber, natürlich, nicht ab. Außerdem hinterlässt er keine klimaschädlichen Abgaswolken. Und die Bergprüfung geht ohne brüllende Triebwerke. An Bord ist nicht viel mehr als das Singen der Reifen auf dem Asphalt zu hören. Denn der Renner im WSW-Blau mit der Typenbezeichnung A 330 aus der belgischen Omnibusschmiede Van Hool ist ein E-Bus mit Brennstoffzellen-Antrieb.

Es ist ein rollendes Kraftwerk, das da saubere Mobilität für den ÖPNV liefert. In der Brennstoffzelle von der Größe eines Reisekoffers im Heck des Fahrzeugs entsteht in einer chemischen Reaktion aus hochverdichtetem, flüssigen Wasserstoff und dem Sauerstoff der Umgebungsluft der Strom für den Elektromotor des Busses. Vom bisher üblichen, zweiachsigen und zwölf Meter langen Dieselbus ist der A 330 rein äußerlich nur durch eine kaum auffällige Lage von Dachaufbauten zu unterscheiden. Dort sind wesentliche Komponenten untergebracht: die Wasserstoff-Drucktanks, die Fahrzeugbatterie, ein komplexes Klimasystem: Damit der High-Tech-Busantrieb klaglos funktioniert, muss das System an heißen wie an kalten Tagen eine konstante Betriebstemperatur haben. „Da gehört ganz viel Digitalisierung dazu“, sagt Adolf Bergmann fast schon feierlich. Zum Beispiel für den permanenten Datenfluss von der Brennstoffzelle via Internet zum Hersteller in Kanada. Oder für die Rückgewinnung von Strom, die so genannte „Rekuperation“, in der Lithium-Batterie bei den Fahrten zu Tal. Der Werkstattchef hat sich in den letzten Jahren intensiv in den Strukturwandel vom Dieselbus zum E-Bus eingearbeitet – mit solch wachsender Begeisterung, dass er selbst seinen Ruhestand verschoben hat, um weiterzusehen, „wohin die Reise geht“.

Steil hinauf müssen die WSW-Busse in Wuppertal. Auf den Steigungsstrecken erweist sich der Brennstoffzellen- gegenüber dem Batterieantrieb momentan als leistungsfähigere Alternative.
Blick unter die Haube: Mit ihrer Antriebstechnik sind die Wasserstoffbusse nicht nur besonders klima-
freundlich, sondern auch leiser als herkömmliche Busse.

Das Projekt „H2-W—Wasserstoffmobilität für Wuppertal“ hat viel mit der Wittener Straße und ähnlichen Strecken zu tun. Die spezielle Topografie der Schwebebahn-Stadt bringt es mit sich, dass von den Zentren an den Ufern der Wupper aus die dicht besiedelten Höhen meist nur über steile Straßen zu erreichen sind. Projektleiter Andreas Meyer: „Wie viele andere Verkehrsbetriebe haben wir uns zunächst mit Batteriebussen beschäftigt. Doch zeigte sich schnell, dass diese Antriebstechnologie für unsere Infrastruktur mit ausgeprägten Steigungsstrecken noch keine überzeugenden Lösungen bieten kann.“ Nach Berechnungen von WSW mobil würden Batterie-Ladungen wegen der vielen Bergfahrten im anspruchsvollen Liniennetz gerade mal für rund 150 Tageskilometer reichen. Die täglichen Bus-Umläufe erreichen aber im Schnitt über 300 Kilometer. Meyer: „Da Wasserstoff-Antriebe bis zu 350 Kilometer Tagesleistung mit einer Tankfüllung versprechen, fiel schnell die Entscheidung für unser Projekt H2-W.“

Wasserstoff aus eigener Produktion

Während mancherorts die fehlende oder teure Versorgung mit Wasserstoff das Aus für H2-Projekte im ÖPNV bedeutet, haben die Wuppertaler dafür eine maßgeschneiderte Lösung. WSW mobil setzt auf Wasserstoff aus eigener Produktion. In einem Müllheizkraftwerk des zum Stadtwerkeverbund gehörenden Schwesterbetriebs AWG Abfallwirtschaftsgesellschaft wird durch die Verbrennung „biogener“ Abfälle – Abfälle tierischer oder pflanzlicher Herkunft – kostengünstig und umweltfreundlich elektrischer Strom gewonnen. In Zeiten schwacher Nachfrage im Versorgungsnetz wird mit dieser Energie im Elektrolyse-Verfahren aus Wasser der Wasserstoff für die Brennstoffzellen im Bus gewonnen. Am Kraftwerk entsteht auch noch die Tankstelle, bei der der Kraftstoff nicht in Litern, sondern in Kilogramm gemessen wird. Die Tagesration für einen Bus-Umlauf liegt bei 30 Kilogramm, geladen ist sie innerhalb einer Viertelstunde per Zapfpistole, nicht viel anders als an der Dieseltankstelle.

Die Methode, mit Strom Wasserstoff zu erzeugen, wird häufig als unwirtschaftlich beschrieben. Nicht so in Wuppertal, denn dort wird das „Eigenstromprivileg“ ausgenutzt. Das ist eine Regelung des „Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ (EEG): Wer grünen Strom für den Eigenbedarf produziert, muss keine EEG-Umlage bezahlen. Projektleiter Meyer: „Die Möglichkeit der Sektorenkopplung zwischen Abfallwirtschaft und Verkehrsbetrieb unter dem Stadtwerke-Dach hat für uns den Einstieg in den Betrieb von Wasserstoffbussen entscheidend erleichtert.“ Das Modell fand Anerkennung in der Branche und wurde mit dem Stadtwerke-Award des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) ausgezeichnet.

Für Wuppertal und die WSW mobil ist die Technologie ideal, um einen emissionsfreien Personennahverkehr zu realisieren.

Ulrich Jaeger,
Geschäftsführer WSW mobil

Ein finanzieller Kraftakt bleibt das Projekt gleichwohl. Rund zwölf Millionen Euro veranschlagen die Stadtwerke für den Bau der Wasserstoffproduktionsanlage am Heizkraftwerk und für den Kauf von zehn Bussen, von denen jeder rund 650.000 Euro kostet. Aber es gibt Fördertöpfe bei Bund, Land NRW und der EU im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Ulrich Jaeger, Geschäftsführer der WSW mobil: „Für Wuppertal und die WSW mobil ist die Brennstoffzellen-Technologie ideal, um einen emissionsfreien Personennahverkehr zu realisieren. Ohne die öffentliche Förderung sind solche Projekte aktuell noch nicht wirtschaftlich. Aber Politik und Verkehrsbetriebe in NRW können auf diese Weise Vorreiter für einen grünen ÖPNV sein.“

Regionalverkehr Köln (RVK) als Partner

Bei der Beschaffung der ersten zehn Busse hat sich WSW mobil mit dem Busbetreiber Regionalverkehr Köln (RVK) zusammen getan, der 35 Busse desselben Typs beim Hersteller in Belgien orderte. Mit der Sammelbestellung konnten Preisvorteile erzielt werden. Das nutzen beide Unternehmen auch bei einem weiteren Einkauf: Der polnische Buslieferant Solaris soll für Wuppertal noch einmal zehn und für Köln 15 Fahrzeuge vom Typ „Urbino“ bauen. Der RVK hat für sein ausgedehntes Netz mit lang laufenden Linien frühzeitig auf Brennstoffzellen-Technologie gesetzt und ist dabei, größter Wasserstoffbus-Betreiber in Europa zu werden. Bei der Treibstoffbeschaffung geht man andere Wege als an der Wupper und kauft Wasserstoff bei der chemischen Industrie am Rhein – wo er vielfach in Produktionsprozessen ein Neben- oder Abfallprodukt ist. Auch die Rhein-Neckar-Verkehr (rnv) will für die Städte Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen mit der Bestellung von 40 Brennstoffzellenbussen in ein 100 Millionen Euro schweres „Modellprojekt Wasserstoff“ einsteigen.

Die ersten fünf Brennstoffzellenbusse kamen Anfang des Jahres zu WSW mobil. Durch den Einsatz der insgesamt zehn Fahrzeuge dieses Typs können fast 700 Tonnen CO2 pro Jahr im Vergleich zu Dieselbussen eingespart werden.

Batteriebus oder Brennstoffzelle: Die deutschen Verkehrsbetriebe warten auf die noch nicht verabschiedete Wasserstoff-Strategie des Bundes. Derweil gehen sie die Frage zunehmend technologieoffen an. „Während für die Städte der batterieelektrische E-Bus derzeit in aller Munde ist, könnte für längere Umläufe der Wasserstoffbus eine Alternative sein“, erläutert Werner Overkamp, VDV-Vizepräsident und Chef der Stadtwerke Oberhausen. Allerdings fehlten bislang die flächendeckende Tankinfrastruktur und die Wasserstoffversorgung bis zur Tankstelle. Hinzu komme: „Die Brennstoffzellenbusse sind gegenwärtig teurer in der Anschaffung als batterieelektrische Busse, können aber als Gesamtsystem bei entsprechender Förderung ihren Kostennachteil kompensieren.“ Klimaschutz bedeuten sie allemal. In Wuppertal wird die Botschaft auf jedem Heck der blauen Busse in weißen Lettern verkündet, dass er kein Gramm Kohlendioxid ausstößt: „Krasser Stoff. 285 PS/0 g CO2“.

Das könnte Sie ebenfalls interessieren