Bild oben: Im Logistikzentrum in Hagen geht DB Cargo flexibel auf die Kundenwünsche ein, wie hier etwa mit Spezialwagen für den Transport von Coils.

Güterbahn nimmt Fahrt auf

Seit Jahrzehnten heißt es: Güter gehören auf die Schiene. Nun endlich verzeichnet die Branche bescheidene Transportzuwächse und hofft auf einen anhaltenden Trend. Doch den Unternehmen ist klar: Für das anvisierte Ziel von 25 Prozent Anteil in einem insgesamt wachsenden Markt bis 2030 muss der Schienengüterverkehr bessere Angebote entwickeln, digitaler werden und wettbewerbsfähige Verlässlichkeit erreichen. Dazu wird auch anhaltende politische Unterstützung eingefordert.

Das abschätzige Urteil ist immer wieder schnell gefällt: Die Güterbahn sei langsam, umständlich, unflexibel. Joachim Berends, VDV-Vizepräsident und Chef der Bentheimer Eisenbahn, ist gleichwohl vorsichtig optimistisch: Es sei Bewegung in den Markt gekommen, und das Wachstum werde es erleichtern, die im Prinzip unumstrittenen Potenziale für klimaneutralen Bahntransport zu realisieren: „Der Schienenverkehr muss und wird liefern.“

Die Umstiege zwischen erster und letzter Meile auf der Straße und der Bahnstrecke dazwischen müssen einfacher werden.

Joachim Berends,
VDV- Vizepräsident und Vorstand der Bentheimer Eisenbahn

Allenthalben werden von der Branche neues Denken, dichtere Netzwerke und Kooperationen, technische Innovationen und – nicht zuletzt – eine umfassende Digitalisierung gefordert. Das diesjährige „Forum Schienengüterverkehr“ des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik und des VDV Anfang Februar in Berlin bot dazu eine breit gefächerte Bestandsaufnahme. Es war auch ein Zusammentreffen von eher verhaltenen Skeptikern und zupackenden Machern mit dem Klimaschutz im Blick. Zu tun gibt es reichlich, weiß Joachim Berends. Und er mahnte: „Wir müssen noch stärker in eine aktive Rolle kommen, um das Ziel von 25 Prozent Marktanteil in diesem Jahrzehnt zu erreichen.“

Wo es keinen eigenen Gleisanschluss gibt, kann der Lkw die Lücke zur Schiene schließen und die Module der „m²“-Güterwagen (r.) zur Be- und Entladung anliefern.

Zu den ausbaufähigen Erfolgsgeschichten der Güterbahn zählt allen voran der Kombinierte Verkehr. Ein Wachstumsmarkt mit großen Potenzialen in der Verbindung von Schienen- und Straßenlogistik. Doch verbesserungsfähig ist auch dieses Geschäft. „Die Umstiege zwischen erster und letzter Meile auf der Straße und der Bahnstrecke dazwischen müssen einfacher werden“, fordert Joachim Berends. Ein konkretes Beispiel: Sattelauflieger fahren selten Bahn, weil 90 Prozent der Fahrzeuge nicht kranbar sind. Das bedeutet: Anders als Container und Wechselbrücken können sie in den Terminals nicht zügig am Krangeschirr vom Zug auf den Lkw und umgekehrt wechseln. Die Branche verfügt bereits über alternative Umschlaglösungen für die Auflieger, die aber nicht großflächig umgesetzt wurden. Beispielsweise hat die Güterbahn TX Logistik eine stählerne Plattform entwickeln lassen, mit der das nicht kranbare Straßenfahrzeug einfach und sicher auf den Bahn-Taschenwagen gehoben wird. Eine kostengünstige Innovation, die dem Schienenverkehr und Spediteuren eine verbindende Lösung bietet.

Hohen Schienenanteil beim Stahl ausbauen

Maßgeschneiderte Kooperation bestimmt auch die Partnerschaft zwischen dem Stahlkonzern Salzgitter und DB Cargo. Fabian Gerdes, Logistikchef bei der Konzerntochter Salzgitter Flachstahl: „Wir sind heute mit einem Bahnanteil von circa 80 Prozent am Modal Split schon sehr gut unterwegs, wollen aber noch mehr. Unser Ziel ist es, den Lkw-Anteil in der Outbound-Logistik auf unter 15 Prozent zu senken.“ Fabian Gerdes befindet sich mitten in der „Transformation zum grünen Stahl“. Die Industrie ist auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Produktion von der Rohstoffanlieferung bis zur Transportlogistik für die fertigen Produkte. Der neue „Stahlkreislauf“ mit CO2-armen, ressourcenschonenden Energie- und Materialkreisläufen: „Wir etablieren in Kooperation mit Kunden, Lieferanten und weiteren Partnern geschlossene Wertströme und Wertschöpfungsketten.“ Es gehe darum, einmal der Natur entnommene Ressourcen möglichst lange in der wirtschaftlichen Verwendung zu halten und dadurch die zusätzliche Zufuhr endlicher Ressourcen in den Wirtschaftskreislauf zu minimieren. Schrott als wertvolles Abfallprodukt für die Stahlkochtöpfe ist so ein klassisches Beispiel.

Kooperation nach Maß: Carolina Lasse (DB Cargo) und Fabian Gerdes (Salzgitter Flachstahl) arbeiten mit daran, den 80-prozentigen Bahnanteil des Unternehmens beim Stahltransport weiter auszubauen.

An dem neuen Stahlkreislauf ist DB Cargo vielfach beteiligt. Angefangen beim „Rocktainer Ore“, dem klassischen Großcontainer für Eisenerz, der in Doppelwagen mit jeweils 138 Tonnen Ladevolumen zum Einsatz kommt. Das seit drei Jahrzehnten bewährte Transportmittel wurde in den letzten Jahren für das spezifische Ladegut und zudem lauftechnisch angepasst; so rollen die Ganzzüge nunmehr mit 120 statt 100 Stundenkilometern von den Seehäfen zu den Stahlstandorten. Neu ist ein Güterwagensystem mit dem Produktnamen „m2“ für die spezifischen Anforderungen des Kunden Salzgitter. Das Fahrzeugkonzept greift den Gedanken der „Containerisierung“ auf: Es trennt Ladegefäß und Tragwagen und ist damit wie im klassischen Kombinierten Verkehr einsetzbar – auf der Bahn wie auf dem Lkw. Für Salzgitter Stahl sind völlig verschiedene Behälter unterwegs: von offenen Kleincontainern für die Einsammlung von Schrott auf Lagerplätzen weitab von Schienenstrecken bis hin zu Spezialisten für Coils, den tonnenschweren Bandstahlrollen.

80

Prozent

beträgt der Bahnanteil bei der Salzgitter Flachstahl – das Unternehmen will noch mehr.

„Wie ein Lego-Bausatz“, beschreibt Carolina Lasse vom Produktmanagement bei DB Cargo: Die standardisierten Aufbauten können modular zusammengesetzt werden. „Wir können dann den Güterwagen gemäß den jeweiligen Kunden- und Branchenbedürfnissen individuell nach Maß anfertigen – passgenau und mit kurzem zeitlichen Vorlauf.“ Nach der aktuellen Vorserie will die DB mit ihrem modularen Konstruktionskonzept in großem Stil in das Wagenladungsgeschäft mit Einzelwagen und Wagengruppen einsteigen. In jenen Geschäftszweig also, den viele Bahnen bereits aufgegeben haben, weil sie im Wettbewerb mit dem Lkw wenig erfolgreich sind. „DB Cargo verfügt als erster Wagenhalter über eine europäische Typzulassung für ein gesamtes Wagensystem für den Einzelwagenverkehr“, stellt Carolina Lasse nicht ohne Stolz fest.

Einzelwagen erschließen sich Potenziale

Auch in der Schweiz werden die Potenziale des Einzelwagenverkehrs gesehen. ChemOil Logistics ist eine Speditionsfirma unter dem Dach der SBB Cargo International – eine in der Schienenbranche ungewöhnliche Kombination, wie Pascal Jenni von der Güterbahn und Claus Rütten von ChemOil berichten. Die seit gut einem Jahrzehnt funktionierende Arbeitsteilung für die europäische Chemieindustrie ist anders aufgebaut als der übliche Wagenladungsverkehr mit bedarfsorientierten Zugleistungen: ChemOil fährt stattdessen Linienzüge nach festem Fahrplan zwischen Nordsee und Mittelmeer, unterstützt durch lokale Partner. Der Kapitaleinsatz wird dabei flach gehalten: SBB Cargo ist „nur“ Traktionär mit 130 Lokomotiven ohne eigene Güterwagen, und ChemOil vermarktet ebenfalls seine Kapazitäten ohne eigenen Wagenpark.

Dr. Christoph Hempsch von der Deutschen Post DHL berichtet, dass sein Unternehmen mit mehr als 50 Zügen pro Woche sechs Prozent der Pakete auf der Schiene befördere, „vor allem auf langen Transportrelationen“. Gerade am Wochenende sei die Bahn eine sehr gute Alternative zum Lkw, um die Wochenruhezeiten der Fahrer zu ermöglichen. Hupac-Chef Michail Stahlhut sieht allerdings „tägliche Mängel bei der Infrastruktur“, die „disruptive Effekte in der Qualität und Kapazität“ erzeugen. Er fordert einen „Performanceruck“ bei allen Beteiligten. Zudem benötigen Kunden „eine einfache Tür in den Kombinierten Verkehr“.

Wo immer Partnerschaften zwischen Bahnen und Wirtschaft neu entstehen, spielt die Digitalisierung vielfältig eine Rolle. Vertriebs- und Zugsteuerungsprozesse kommen nicht ohne Rechnereinsatz aus. Und die digitale Vernetzung über Schnittstellen und Plattformen mit Kunden und Dienstleistern soll die Güterbahnen effizient und erfolgreich machen – oder, wie es DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta immer wieder gerne auf den Punkt bringt: „Wir machen Schienentransporte so einfach wie Online-Shopping.“ Zudem schreitet die Automatisierung von Rangierbahnhöfen voran, und nun hoffen die Unternehmen auf die europaweite Einführung der digitalen automatischen Kupplung (DAK) für die Güterwagen – eine nicht einfach zu stemmende Milliardeninvestition.

Nikrasa: So heißt die Lösung von TX Logistik. Nicht kranbare Sattelauflieger – und das sind in Europa 90 Prozent – können mithilfe einer Stahlplattform zwischen Straße und Schiene einfach und sicher umgeschlagen werden.

VDV-Vizepräsident Joachim Berends wünscht sich, dass die Bundesregierung „Druck auf Brüssel“ macht, um für die Umrüstung der Wagenflotten auf die DAK die Fördertöpfe der EU anzuzapfen. Für das Ziel, den Marktanteil der Schiene auf 25 Prozent zu bringen, müsse der Bund aber auch eigene Finanzierungsentscheidungen auf den Weg bringen: „Vor allem die Fortführung der Trassenpreisförderung und die Richtlinie zur Förderung des Einzelwagenverkehrs sind aus Branchensicht dabei von zentraler Bedeutung.“ Und nicht nur das: Der Schienengüterverkehr brauche vor allem bessere Rahmenbedingungen, von der Planungsbeschleunigung über die schnelle Beseitigung von Engpässen im Netz und die Sicherung der Streckenkapazitäten für Güterzüge bis hin zum Ausbau von Gleisanschlüssen. Joachim Berends: „Wir brauchen das politische Engagement für die klimafreundliche Schiene. Die Zeit wird immer knapper.“

Das könnte Sie ebenfalls interessieren