Tourismus
01.08.2019
Unterwegs im Netz

Am Meer entlang

Sie gilt als die längste Straßenbahnlinie der Welt, fährt fast die gesamte belgische Küste entlang und verbindet 15 Seebäder miteinander: Die „Kusttram“ ist ein Erlebnis für Touristen, zentrales Verkehrsmittel in Westflandern, eine „Zeitmaschine“ durch belgische Geschichte und wichtiger Teil der Mobilitätsvision ihrer Betreibergesellschaft De Lijn.


Von „Plopsaland“ über „Casino“, „Renbaan“, „Zwarte Kiesel“ und „Konijenpad“ bis „Duinbergen -Watertoren“: Schon die Namen der insgesamt 67 Straßenbahn-Haltestellen an Belgiens Nordseeküste verheißen Abwechslung und Abenteuer. Mit der durchgehend zweigleisig ausgebauten, meterspurigen „Kusttram“ zu fahren, ist für Touristen und selbst für Einheimische wie ein kleiner Urlaub. „Die Kusttram verbindet alle Urlaubsorte an der See und verbessert so die Lebensqualität entlang der flämischen Küste“, sagt Inge Debruyne, Pressesprecherin von De Lijn. Mehr als 16 Millionen Reisende nutzen die Kusttram pro Jahr. Die Bahnen legen dabei jährlich rund drei Millionen Kilometer zurück. Ihre ständigen Begleiter sind die salzige Seeluft und der feine Sand, den der Wind beharrlich auf die Strecke pustet. Für leichtere Verwehungen kommt eine Art Kehrmaschine als „Sandstaubsauger“ zum Einsatz. Nach einem Sturm müssen die Technik-Mitarbeiter von De Lijn aber auch schon mal mit einem Bagger anrücken, um die Gleise wieder freizulegen. Eine Tour mit der vermutlich längsten Straßenbahn der Welt bietet viele Annehmlichkeiten: Staus können den Fahrgästen egal sein, und auch die lästige Parkplatzsuche im Hauptort Oostende und anderen gut besuchten Seebädern entfällt. Einmal 67 Kilometer die belgische Küste entlang, das dauert ziemlich genau zwei gemütliche Stunden und 23 Minuten.

67

Kilometer

So lang ist die Strecke, die die Kusttram an der belgischen Nordseeküste zurücklegt - von der französischen fast bis zur niederländischen Grenze. Unterwegs hält die Bahn an 67 Stationen.

Foto oben: Westlich von Oostende fährt die Küstenbahn direkt auf dem Deich; im Sommer mit Blick auf Badegäste und - ganz in der Ferne - auf Containerschiffe unterwegs zum Ärmelkanal oder dem Atlantik.

Foto unten: Zwar sind die Übergänge der Kusttram gut gesichert. Dennoch kommt es immer wieder zu
Unfällen. Urlauber sollten wissen: Die Tram hat immer Vorfahrt.

Im Sommer gilt Zehn-Minuten-Takt

Die Kusttram verbindet alle Urlaubsorte an der See und verbessert so die Lebensqualität entlang der flämischen Küste.

Inge Debruyne,
Pressesprecherin De Lijn

Richtig voll wird es in der Kusttram in den Ferien-Monaten Juli und August und besonders bei wechselhaftem Wetter. Mehr als vier Millionen Touristen und Küstenbewohner stiegen 2017 in diesem Zeitraum zu. Am Tag mit dem höchsten Aufkommen waren es 82.000 Fahrgäste. In der Hochsaison verkehren die Bahnen alle zehn Minuten zwischen De Panne im Südwesten und Knokke im Nordosten, verstärkt um zusätzliche Trams zwischen Westende und Oostende. Bei größeren Veranstaltungen baut De Lijn zudem die Transportkapazitäten aus. Dies gilt etwa für das Sandskulpturenfestival 2019 am Kleinen Strand von Oostende, wenige Schritte von den Tram-Gleisen entfernt. Die Skulpturen sind noch bis zum 8. September 2019 zu sehen.
Reizvoll ist in diesem Zusammenhang die „Küsten­tram-Pluskarte“. Sie kombiniert eine Hin-und Rückfahrt für eine Person mit dem Eintritt für das Festival oder eine andere Attraktion entlang der Nordsee – zu vergünstigten Preisen und egal, von wo aus man mit der Kusttram startet. Wer Interesse am „Tagespass +“ hat, sollte jedoch rechtzeitig planen. Erhältlich ist er nämlich nur in bestimmten Verkaufsstellen, den „Lijnwinkels“. Außerdem muss er spätestens zwei Tage im Voraus erworben werden. Die Auswahl an Tickets für die Kusttram ist groß. Sie reicht von Einzelfahrten über ein- und mehrtägige Tagespässe bis hin zu einem Fahrrad-Pass.

Spektakulärer Anblick: die Krabbenfischer von Oostduinkerke mit ihren Kaltblutpferden. Mit etwas Glück erspähen Reisende sie aus den Fenstern der Kusttram.

Historisch bedingte Kontraste

Von Anfang an trug die Kusttram wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung der flämischen Küstenregion bei. Am 5. Juli 1885 ging der erste Streckenabschnitt zwischen Oostende und Middelkerke in Betrieb. Die Züge fuhren zunächst mit Dampf. 1890 kam das Teilstück bis Knokke hinzu. Die Elektrifizierung begann 1912. Die jüngste Verlängerung folgte 1998 von De Panne-­Esplanade bis zum Bahnhof der belgischen Staatsbahn in Adinkerke. Sehr schön: In Zeebrügge fährt die Kusttram über eine Klappbrücke. Ist sie für die Durchfahrt von Schiffen geöffnet, nimmt die Tram einen etwa 200 Meter langen Umweg. Um 1900 war die Kusttram der Zubringer für einige der mondänsten Seebäder, die es damals in Europa gab: De Panne, De Haan und auch Oostende hatten einen hervorragenden Ruf. In den 1930er-Jahren entwickelte sich diese Stadt mit ihrer Zugverbindung nach Europa und dem Fährhafen nach Dover zum Ziel und teils für Jahre zum Lebensmittelpunkt von Menschen, die aus Hitler-Deutschland flohen. Darunter fanden sich Albert Einstein und Exil-Schriftsteller wie Stefan Zweig und Joseph Roth, Egon Erwin Kisch und Irmgard Keun. 1944 wurde die Stadt bei Angriffen alliierter Flieger teilweise zerstört. Heute reihen sich nahe dem Thermae Palace, einem 1933 eröffneten Grand Hotel im Art-Déco-­Stil, vielstöckige Appartement-Häuser die Küstenstraße und die Tramgleise entlang. Vom einstigen Charme des Kur- und Seebads ging einiges verloren. Doch gerade solche historisch begründeten Kontraste sind es, die der Fahrt mit der Kusttram ihren besonderen Reiz verleihen. Mittlerweile ist Knokke das eleganteste Seebad. Besonders sehenswert sind beispielsweise aber auch die Strandvillen in De Haan, der Naturpark Zwin, das Freiluftmuseum Atlantikwall in Raversijde oder das nationale Fischereimuseum.

De Lijn: Mobilitätsanbieter für ganz Flandern

Betreiber der mit 600 Volt Gleichstrom fahrenden Kusttram ist das Verkehrsunternehmen „De Lijn“ mit Hauptsitz in Mechelen. De Lijn - zu Deutsch „Die Linie“ - zählt etwa 8.000 Mitarbeiter. Zusätzlich arbeiten rund 2.400 Beschäftigte in privaten Unternehmen für den flämischen Verkehrsbetrieb, der unter anderem Straßenbahnen in Antwerpen und Gent betreibt. 2016 fuhren insgesamt 519 Millionen Menschen mit den Bussen und Bahnen von De Lijn. Allein in West- und Ostflandern legten die Reisenden 2016 fast sechs Millionen Kilometer mit den Trams und fast 65 Millionen Kilometer mit den Bussen zurück.

Ein kleiner Leuchtturm zur Sicherheit

„Die Küstentram hat immer Vorfahrt, auch vor Radfahrern und Fußgängern und auch auf Zebra­streifen.“ Darauf weist De Lijn jedes Jahr aufs Neue im Rahmen einer Sicherheitskampagne hin. Dennoch kommt es immer wieder zu Unfällen, denn die Ablenkung auf dem Weg zum Strand ist groß, und nicht jeder Gast kennt die Regeln. Trams kommen manchmal zeitgleich aus zwei unterschiedlichen Richtungen und fahren sehr leise. Außerdem führt die Route teilweise dicht an den Dünen vorbei. Trams sind dann nicht gut zu sehen. Aktuell ist ein Leuchtturm-Männchen das Aushängeschild der Sicherheitskampagne von De Lijn, das seinen Kopf hin- und herbewegt.

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Von Oldtimern und Zukunftsplänen

Historisches Material bewahrt De Lijn im „Vlaams Tram- en Autobusmuseum“ (VlaTam) in Berchem auf. Dort lassen sich unter anderem alte Bahnen und Busse besichtigen. Wunderschön restaurierte Straßenbahnen stehen außerdem im Depot von De Panne. Dort sorgt der Verein T.T.O.-Nordzee VoG seit Jahrzehnten für die Instandhaltung und bringt ab und zu traditionsreiche Gefährte auf die Strecke.
De Lijn blickt auch in die Zukunft: Das Unternehmen hat 48 moderne, aerodynamische Küstentrams bestellt, die ab 2020 geliefert werden sollen. „Das bedeutet eine Investition in Höhe von 100 Millionen Euro“, berichtet Pressesprecherin Inge Debruyne. „Die Fahrzeuge bestehen aus einem Material, das widerstandsfähiger gegen Korrosion ist, und sie sind barrierefrei. Es wird LED-Lampen geben und vieles mehr. Insgesamt wird alles noch sicherer, komfortabler und umweltfreundlicher sein.“

Mehr Informationen zur Kusttram finden Sie online unter:
www.delijn.be/de

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