Innovationen
06.07.2018
Aktuell

Für reinere Luft

Während Politik und Wirtschaft noch über Luftreinhaltung und Fahrverbote diskutieren, verfolgen viele ÖPNV-Unternehmen in Deutschland bereits seit Jahren eine nachhaltige Mobilitätsstrategie. „VDV Das Magazin“ hat sich umgehört und stellt die Maßnahmen von fünf Verkehrsunternehmen vor – stellvertretend für viele andere. Ausführlichere Informationen zu den Projekten finden Leser zudem in der Online-Ausgabe.


Padersprinter: Pionier bei der Umrüstung

Luftreinhaltung und Fahrverbote: Während das anderen derzeit die Schweißperlen auf die Stirn treibt, kann sich Peter Bronnenberg fast schon gelassen zurücklehnen. Der Geschäftsführer des Paderborner Verkehrsunternehmens Padersprinter zählt in Sachen Schadstoffreduzierung zu den Pionieren der Branche. „1991 haben wir begonnen, schwefelarme und schwefelfreie Kraftstoffe sowie Rapsmethylester zu erproben, 1994 setzten wir als erstes Verkehrsunternehmen in Deutschland dann schwefelfreien Dieseltreibstoff ein“, zählt er auf. 1995 folgte demnach bereits der erste Rußpartikelfilter, drei Jahre später ein Vorläufer des heutigen SRT/Ad-Blue-Systems. Für ihr Engagement waren die Paderborner zwei Mal für den Deutschen Umweltpreis vorgeschlagen. Im vergangenen Jahr machte das Unternehmen erneut Schlagzeilen, als es einen neuen Abgasfilter aus Finnland einsetzte. Linienmessungen hätten einen Stickoxid-(NOx-)Ausstoß von 0,1g/km ergeben, so Bronnenberg. Der NOx-Wert bei den Euro-VI-Neufahrzeugen der Hersteller liege hingegen bei 0,3g/km.
Derzeit treibt das Verkehrsunternehmen die Umrüstung der kompletten Flotte weiter voran. „Ende dieses Jahres soll unser Fuhrpark bei den NOx der Norm Euro VI oder besser entsprechen“, sagt Bronnenberg. Die Umrüstung für die noch fehlenden 14 Fahrzeuge sei ausgeschrieben worden, zudem würden 13 neue Busse angeschafft. Und 15 Busse seien bereits im vergangenen Jahr nachgerüstet worden. Vor der Richtlinie. Auch abseits des Fuhrparks arbeiten die Paderborner an einer Stärkung des ÖPNV: Geplant sind Taktverdichtungen sowie neue Linien.

Mobiel kauft groß ein

Auf diese Quote ist Kai-Uwe Steinbrecher, technischer Leiter des Bielefelder Verkehrsunternehmens Mobiel, stolz: 69 Fahrzeuge des aktuell 100 Busse umfassenden Fuhrparks entsprechen der Euro-VI-Norm – und das nicht durch Umrüstung, sondern aufgrund umfassender Neuanschaffungen. Die restlichen 31 Fahrzeuge genügen dem Standard EEV, der zwischen Euro V und VI liegt – doch auch sie sollen bis Ende 2019 vorzeitig neueren Modellen weichen. Diese Investitionsfreude zeigen die Bielefelder nicht erst seit gestern: „Schon 2000 haben wir uns entschieden, nur noch Busse der saubersten verfügbaren Abgasnorm zu kaufen“, erklärt Steinbrecher. Noch im Herbst 2018 werden im Zuge der Übernahme eines neuen Linienbündels 22 weitere Busse angeschafft – sogenannte Mild-Hybride. Diese entsprechen nicht nur der Euro-VI-Norm, sondern verfügen auch über einen kleinen E-Antrieb. Dieser unterstützt den Dieselmotor etwa beim Beschleunigen. Das senkt Verbrauch und Schadstoffausstoß. Parallel will Mobiel auch alternative Antriebe erproben. Derzeit wartet das Unternehmen auf den Förderbescheid über die Anschaffung von vier Solo-Brennstoffzellenbussen. Denn bei Batterie-Bussen reiche derzeit die Reichweite für die bis 400 Kilometer langen Linien der Bielefelder noch nicht aus, so Steinbrecher. Läuft alles wie geplant, könne Ende 2020/Anfang 2021 der Testbetrieb starten.

Hochbahn: Null Emissionen für Hamburg

Das Ziel ist ehrgeizig: Schon 2020 will die Hamburger Hochbahn nur noch emissionsfreie Busse anschaffen. Dafür hat sie im Dezember 2014 einen groß angelegten Feldversuch zur Erprobung neuer Antriebstechnologien gestartet: ihre Innovationslinie 109. Auf der knapp zehn Kilometer langen Strecke zwischen Innenstadt und Alsterdorf hat das Verkehrsunternehmen im Linienbetrieb unter anderem reine Batteriebusse, Brennstoffzellenbusse, Batteriebusse mit einer Brennstoffzelle zur Reichweitenverlängerung und Plug-in-Hybridbusse getestet. Im Mai 2018 konnte die Hochbahn eigenen Angaben zufolge einen weiteren „Meilenstein auf dem Weg zur grünen Busflotte“ nehmen: Aufbauend auf den Erkenntnissen aus der Innovationslinie und als Ergebnis eines europaweiten Ausschreibungsprozesses bestellte das Unternehmen 20 E-Citaro-Busse von Daimler sowie zehn Solaris-Fahrzeuge (Urbino nE12). „Erstmals in Deutschland können wir serienreife Elektrobusse in Betrieb nehmen“, so Hochbahn-Vorstandschef Henrik Falk. Weitere 30 E-Busse sollen voraussichtlich 2019 beauftragt werden.

Bogestra: Fünf-Minuten-Takt soll Pendler in die Strassenbahn holen

Gelsenkirchen entwickelt derzeit ein Mobilitätskonzept, um die Luftqualität zu verbessern. Dabei hilft die Bogestra. Für sechs Monate hat sie testweise den Takt zwischen dem Hauptbahnhof und dem Ortsteil Buer verdichtet. Entlang einer stark befahrenen Ein- und Ausfallstraße fährt die Linie 302 bis August 2018 alle fünf Minuten – unter der Woche von sechs bis 19 Uhr. Autofahrer sollen motiviert werden, an zwei P+R-Parkplätzen auf die Straßenbahn umzusteigen. Für zwei Euro bieten Stadt und Bogestra ein Aktionsticket an. Es ist nur an den beiden Parkplätzen und über die Bogestra-App „Mutti“ erhältlich.

Bonner SWB Bus und Bahn setzt auf E-Mobilität

Bei der Weltklimakonferenz 2017 in Bonn gehörte SWB Bus und Bahn zu den Ausrichtern des „Clean Shuttle“, und auch sonst macht das Verkehrsunternehmen regelmäßig in Sachen saubere Mobilität auf sich aufmerksam. Das Unternehmen war seit April 2016 mit sechs E-Bussen unterwegs, die im Rahmen des ZeEUS-Projekts (Zero Emission Urban Bus System) im SWB-Linienbusnetz gefahren sind. Die Förderanträge für weitere vier Solo- sowie drei Gelenkbusse wurden jüngst gestellt, erklärt Geschäftsführerin Anja Wenmakers: „Unser Ziel ist die Komplettumrüstung bis 2030.“ Bislang seien die Bonner „sehr zufrieden“ mit der Antriebstechnik. „Natürlich kann der E-Bus heute noch nicht das Gleiche abbilden wie ein Diesel. Aber das ist ganz normal für eine Technologie, die sich noch selbst findet“, so Wenmakers. Bis es soweit ist, investiert SWB Bus und Bahn deswegen in die Umrüstung der Dieselbusse. Die Hälfte der 200 Fahrzeuge erfülle ohnehin schon die Euro-VI-Norm – die restlichen 100 Fahrzeuge werden nun innerhalb eines Jahres nachgerüstet. Außerdem wolle man die neue Kunden für den ÖPNV gewinnen und arbeite dafür an Angebotserleichterungen. Anfang 2018 wurde Bonn überdies zu einer von fünf „Lead Cities“ ernannt. In ihnen soll nach dem Willen der Bundesregierung die Wirksamkeit von Maßnahmen für eine bessere Luft getestet werden. Der Bonner Vorschlagskatalog umfasst eine Reihe von Ideen zur Stärkung des ÖPNV. Welche am Ende realisiert werden, hängt von der noch ausstehenden Förderung ab.


Interview

„Die Menschen für die Verkehrswende gewinnen“

Über das Thema Luftreinhaltung sprach „VDV Das Magazin“ mit der nordrheinwestfälischen Landtagsabgeordneten Susana dos Santos Herrmann (SPD, Foto).

Erst kam das Dieselurteil des Bundes­verwaltungsgerichts, und nun verklagt die EU-Kommission Deutschland vor dem EuGH wegen zu schlechter Luft in den Städten. Wie sind generelle Fahrverbote für Diesel-­Pkw noch zu verhindern?

Mit Verboten werden wir
keinen Bewusstseinswandel herbeiführen.

Susana dos Santos Herrmann

» Susana dos Santos Herrmann: Ohne ÖPNV geht es nicht! Daher muss das Ziel sein, den ÖPNV spürbar besser zu machen – mit einem erweiterten Angebot zu attraktiven Fahrpreisen. So können wir die Menschen für die Verkehrswende gewinnen und den Autoverkehr reduzieren. Zusätzlich müssen die Busflotten schnellstmöglich auf Euro-VI-Standard gebracht werden. Den Anteil von E-Bussen in den Flotten zu erhöhen, wird allein nicht ausreichen. Wenn wir kurzfristig Erfolge bei der Luftreinhaltung erzielen wollen, führt außerdem kein Weg daran vorbei, dass die Bundesregierung die Autoindus­trie stärker in die Pflicht nimmt – etwa bei Hardware-Umrüstungen von Diesel-Pkw. Allein schon aus Sicht des Verbraucherschutzes ist es für mich unverständlich, dass die Hersteller keinen Schadensersatz leisten müssen.

Halten Sie das „Sofortprogramm saubere Luft“ der Bundesregierung mit einem Volumen von einer Milliarde Euro für ausreichend?

» Ich habe noch keine Ergebnisse gesehen, wohin das bereitgestellte Geld fließen soll. Bei dieser Summe sehe ich angesichts der notwendigen Investitionen ohnehin noch Luft nach oben, wenn wir in Schienenwege, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur sowie in moderne Diesel- und E-Busse und elektrisch angetriebene kommunale Fahrzeuge wie Müllwagen investieren wollen. Jetzt kommt es darauf an, die Emissionen insgesamt zu reduzieren. Es wäre jedoch zu wenig, wenn wir nur die Antriebswende hinbekämen. Wir müssen die Mobilitätswende schaffen. Das lässt sich auch über digitale Möglichkeiten besser steuern.

Worauf kommt es neben der ausreichenden Finanzierung außerdem an?

» Wir benötigen Technologieoffenheit. Die Frage sollte auch lauten: Wo gibt es Potenzial für was? So könnte beispielsweise in einer Chemieregion der Wasserstoffantrieb eine gute Lösung sein. Bei der Förderung brauchen wir ein sinnvolles Clustering und kein Gießkannenprinzip. Dabei dürfen wir den Euro-VI-Diesel nicht vernachlässigen. E-Mobilität sollte nur da gefördert werden, wo sie auch funktioniert.

Die Bundesregierung hält nichts von der Einführung einer blauen Plakette. Wie stehen Sie dazu?

» Das sehe ich genauso. Die blaue Plakette bedeutet in der Konsequenz Fahrverbote. Aber mit Verboten werden wir keinen Bewusstseinswandel herbeiführen. Neben dem Ausbau des Angebots von Bussen und Bahnen ist es wichtig, die Städte mittel- bis langfristig so zu planen, dass nicht nur der ÖPNV gut läuft, sondern auch Fußgänger und Fahrradfahrer besser und sicherer unterwegs sein können. Da der motorisierte Individualverkehr dafür Flächen abgeben müsste, würde das Autofahren unbequemer. Weniger Autoverkehr wäre letztlich jedoch ein Gewinn für alle.

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