Finanzierung
08.05.2018
Grenzenlos

Wo ÖPNV zum guten Ton gehört

Ein Anteil des Öffentlichen Verkehrs von 41 Prozent am Modal Split: Zürich gilt international als Vorzeigestadt in Sachen ÖPNV. Nach Nordjütland, Kopenhagen und Wien blickt „VDV Das Magazin“ in der aktuellen Ausgabe deswegen in Richtung Schweiz. Was ist das Geheimnis für den Erfolg?

Besuch aus dem Ausland ist für Hans Konrad Bareiss keine Seltenheit. Regelmäßig empfängt der Bereichsleiter Markt der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) internationale Fachleute. Sie wollen von ihm wissen, was die Schweizer Großstadt anders macht in Sachen ÖPNV. Ein Anteil von 41 Prozent am Modal Split ist schließlich nicht ohne Weiteres zu erreichen. Oder?

„Zu einem großen Teil liegt das am gesellschaftlichen Umfeld. Der Öffentliche Verkehr ist in der Schweiz einfach sehr gut positioniert“, erklärt Hans Konrad Bareiss. „Es gehört fast schon zum guten Ton, mit dem ÖPNV unterwegs zu sein.“ Diese hohe Akzeptanz zeigt sich in den Zahlen. Während der Anteil des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) am Modal Split in Zürich 41 Prozent beträgt, kommt der motorisierte Individualverkehr nur auf 25 Prozent. Zum Vergleich: 2000 erreichte dieser noch 40 Prozent, der ÖV 30 Prozent. Spätestens in sieben Jahren soll das Auto sogar nur noch ein Fünftel des Modal Split ausmachen. Dieses Ziel gibt das 2012 in Kraft getretene Aktionsprogramm „Stadtverkehr 2025“ vor – das zu einem guten Teil auf dem Ergebnis eines Volksentscheids fußt. Und das sei mehr oder weniger ein zweiter wichtiger Grund für den Erfolg des ÖPNV, so Bareiss: der Bürgerwille, der die Gestaltung des öffentlichen Verkehrsnetzes schon vor Jahrzehnten geprägt hat.

41

Prozent

beträgt der Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split in Zürich. Das Auto erreicht nur 25 Prozent.

Bürgerwille bringt Tram auf den Weg

1973 etwa lehnten die Zürcher in einer Volksabstimmung den Bau einer U-Bahn ab. „Zu teuer“, befürchteten sie unter anderem. Eine Lösung für die Probleme des zunehmenden Autoverkehrs musste trotzdem her. Verwaltung und Politik suchten einen Kompromiss, schlugen am Ende die Aufwertung und Beschleunigung der Straßenbahn mit eigener Trasse und Vorrangschaltung an Ampeln vor. Der Kraftfahrzeug-Verkehr sollte zugunsten des Öffentlichen Verkehrs eingeschränkt werden. Dieses Mal votierten die Bürger deutlich mit „Ja“.

ÖPNV-Finanzierung
in Zürich

Die Verkehrsunternehmen im Kanton – die VBZ sind eines von 50 – führen ihre Erträge dem Zürcher Verkehrsverbund ab. Im Gegenzug ersetzt der ZVV den Betriebsaufwand. Knapp zwei Drittel der Kosten werden über die Ticketeinnahmen gedeckt. Die restlichen Mittel stammen aus Bundesmitteln sowie vom Kanton und den 171 Gemeinden im Großraum Zürich.

Dieser Kompromiss bilde noch heute die Grundlage für die Arbeit der Verkehrspolitik sowie der VBZ, so Bareiss. „Der Konsens hält seit 40 Jahren, und wir arbeiten zusammen mit der Verwaltung am gemeinsamen Ziel.“ Mit- und nicht gegeneinander – das sei wichtig, findet der Bereichsleiter. Egal, ob ÖV-Verantwortlicher oder Fachmann für den Straßenbau: „Wir verfolgen alle dasselbe Ziel – und zwar nicht gegen die Autofahrer, sondern für eine Optimierung der gesamten Mobilität in der Stadt.“

Diese Einstellung hat dem Öffentlichen Verkehr in Zürich seit den 1970er-Jahren den Rücken gestärkt. Die VBZ bauten Angebot und Netz konsequent aus. Die Zahl der zurückgelegten Kurskilometer im Stadtgebiet stieg auf zuletzt 24,7 Millionen pro Jahr – 1,35 Millionen mehr als noch 2007. Und die Entwicklung geht weiter – im Rahmen der Netzentwicklungsstrategie „Züri-Linie 2030“, die ihrerseits einen Teil von „Stadtverkehr 2025“ bildet. Der Ausbau ist dabei nicht nur nötig, um das Auto im Modal Split weiter zurückzudrängen. Auch das Einwohnerwachstum macht ein „Mehr“ an ÖPNV nötig. Aktuell leben etwa 415.000 Menschen in Zürich, 2030 könnten es der Stadtverwaltung zufolge 500.000 sein. Die Zahl der VBZ-Fahrgäste soll bis dahin von aktuell 324 Millionen auf 424 Millionen steigen.

Das „Bellevue“ (Foto o. und u.) ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt am Südende der Altstadt. Hier wurden 2015 Gleise, Weichen und Straßenbelag erneuert.

Um dennoch eine umweltfreundliche und vor allem stadtverträgliche Mobilität sicherzustellen, wurden in „Stadtverkehr 2025“ sechs Ziele festgezurrt: Neben der Verschiebung im Modal Split sollen unter anderem die Attraktivität von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr verbessert sowie die Qualität des öffentlichen Raums gesteigert werden. Treibhausgas­emissionen und Energieverbrauch sollen sinken.

Bei den VBZ mündet all dies in einer langen Projektliste. Eine zentrale Maßnahme wurde gerade erst abgeschlossen: Im Dezember 2017 ging die neue Tramstrecke über die Hardbrücke (siehe Foto im Seitenkopf dieses Beitrags) in Betrieb, auf der bislang nur Busse und Autos fahren konnten. Der Ausbau ermöglichte wiederum die Verlängerung der Tramlinie 8. Damit gibt es erstmals eine direkte Straßenbahnverbindung zwischen dem aufstrebenden Quartier Zürich-West und dem wichtigen, altstadtnahen Verkehrsknotenpunkt Stauffacher. Ein weiteres Leuchtturmprojekt, so Bareiss, sei die geplante Rosengartentram. „Dabei handelt es sich um zwei neue Linien, die Zürich-Nord und -West direkt und umsteigefrei miteinander verbinden“, erklärt der Bereichsleiter Markt. „Das entlastet die Innenstadt.“ Und auch die Elektrifizierung wollen die VBZ weiter vorantreiben. Dank des O-Bus-Systems werden bereits heute 80 Prozent aller Leistungen elektrisch erbracht – spätestens 2030 sollen es 100 Prozent sein. Aktuell erprobt das Verkehrsunternehmen deswegen einen neu entwickelten Batterie-O-Bus, der den Strom je nach vorhandener Infrastruktur aus der Fahrleitung oder einer Batterie bezieht („In Motion Charging“). Und auch ein reiner Batteriebus soll nach einjährigem Testbetrieb noch in diesem Mai in Betrieb gehen; weitere acht sollen folgen.

Für Hans Konrad Bareiss steht fest, dass der ÖPNV mit solchen Maßnahmen gegenüber dem Auto weiter an Boden gut machen wird – und an der Vision einer zukunftsfähigen Mobilität maßgeblich mitwirkt. „Wo wir fahren, lebt Zürich“, zitiert er das Motto der VBZ. „Man könnte auch sagen: Wir verkaufen Lebensqualität.“

Mehr Infos zu


„Stadtverkehr 2025“ gibt es unter:
www.stadt-zuerich.ch

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