Innovationen
12.05.2021

Hintergrund

Dieselbusse gehen auf den Wasserstoff-Trip

Auf dem Weg zum klimaneutralen ÖPNV mit Elektrobussen bahnt sich eine Variante mit Wasserstoff an: die Umrüstung von serienmäßigen Dieselfahrzeugen auf Brennstoffzellen-Technik. Pionier ist die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft (UVG). Sie hat ein „grünes“ Anliegen: Noch in diesem Jahr will sie auf ihren beiden Linien in den Nationalpark Unteres Odertal zwei Busse ganz ohne CO2-Emissionen einsetzen.


„Uckermark ist Zukunft, es wissen nur nicht alle.“ Dieser selbstbewusste Satz steht unter einem Kreistagsbeschluss des Landkreises Uckermark, der im vergangenen Herbst gefasst wurde. Die Kommunalpolitik forderte Landrätin Karina Dörk darin auf, den Kreis im Nordosten Deutschlands unweit der polnischen Hafenstadt Stettin als „Wasserstoffregion“ zu etablieren. Gute Voraussetzungen sind gegeben. In der Kreisstadt Prenzlau arbeitet seit fast zehn Jahren ein Hybrid-Kraftwerk, das grünen Strom aus Windkraft produziert. Und auf dem großen Industriegelände der kleinen Stadt Schwedt beschäftigen sich namhafte Konzerne der Mineralöl- und Energiewirtschaft schon länger mit der Herstellung und Nutzung von Wasserstoff.

Die Landrätin ist auch Aufsichtsratsvorsitzende der UVG. Nun gehören Geschäftsführer Lars Boehme und sein Team mit zu den ersten in der Uckermark, die den politischen Auftrag umsetzen. Das Thema Brennstoffzelle beschäftigt ihn schon länger: „Auf der Suche nach klimaneutralen alternativen Antrieben sind wir schnell auf Wasserstoff gekommen“, sagt Boehme. Sein Problem teilen auch andere Verkehrsunternehmen speziell im ländlichen Raum: „Wir haben tägliche Fahrzeugumläufe mit über 300 Kilometern. Wenn wir das mit Batterieantrieben schaffen wollen, brauchen wir im Netz Nachlademöglichkeiten. Das mag innerstädtisch wirtschaftlich sinnvoll einzurichten zu sein, ist aber im ländlichen Raum nahezu undenkbar.“ Und mehr schwere Akku-Kapazität in den Bus zu packen, sei auch keine Lösung: „Wir wollen Fahrgäste mitnehmen und keine Batterien.“

Umrüstung: Auf dem Dach trägt der Bus der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft bereits die markanten druckdichten Stahlflaschen für den Wasserstoff.

Wie auch anderswo fiel der Blick schnell auf Wasserstoff und Brennstoffzellen – und die Perspektive, mit dieser Technologie ohne Nachtanken die Reichweiten wie beim Dieselbus zu erzielen. Nur, berichtet Boehme, Kosten von rund einer Million Euro pro Fahrzeug bremsten die Begeisterung jäh. Doch die UVG gab nicht auf. „Wir haben im Internet gesucht und sind dann irgendwann auf die Firma Clean Logistics gestoßen.“ Ein Start-up in Hamburg, von einem Logistik-Unternehmen und einer Familienholding als mittelständisches Joint Venture ins Leben gerufen. Primäres Ziel: Im Nutzfahrzeugsektor die technischen Voraussetzungen für eine Umrüstung von Lastwagen vom Dieselantrieb auf Brennstoffzelle zu schaffen. „Die politischen Vorgaben sind eindeutig: Bis 2030 sollen 175.000 schwere Lkw emissionsfrei unterwegs sein. Aber die müssten erst einmal produziert werden. Das ist bei der bisherigen Geschwindigkeit in der Nutzfahrzeugbranche kaum bis gar nicht erreichbar“, erläutert Markus Körner, Service- und Vertriebsleiter bei Clean Logistics.

Modularer Aufbau von vier Komponenten

Gefördert mit Mitteln des Bundesverkehrsministeriums startete die kleine Firma die Entwicklung von fünf Prototypen und rüstete schwere Diesel-Lkw auf Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb um. In einem strikt modularen Aufbau müssen vier Komponenten nach dem Ausbau von Tank, Dieselmotor und Antriebssträngen untergebracht werden: Wasserstofftanks, Brennstoffzellen, Speicherbatterien und zwei Radnabenmotoren in der Antriebsachse. Prinzipiell ist das für den Linienbus kaum anders: Die Tanks – vier druckdichte Stahlflaschen mit etwa 30 Kilogramm Fassungsvermögen – werden auf dem Fahrzeugdach installiert, Brennstoffzelle und Speicherbatterien verschwinden im Heck, eine neue Achse mit dem Elektromotor ersetzt die bisherige Technik. Fachleute sprechen dann von einem Fuel-Cell-Electric-Vehicle (FCEV).

In einer lichtdurchfluteten, pieksauberen Werkhalle des Partnerunternehmens E-Cap Mobility in einem Gewerbegebiet am Rande des niedersächsischen Städtchens Winsen an der Luhe durchlaufen die beiden UVG-Busse – es sind Zwölf-Meter-Fahrzeuge des Typs „Citaro“ von Mercedes-Benz – die Umrüstung, die zugleich eine Verjüngung mit deutlich verlängerter Nutzungsdauer darstellt. Geschäftsführer Lars Boehme erwartet, dass die Fahrzeuge nach der Umrüstung acht bis zehn Jahre länger im Einsatz bleiben können. „Es ist ja nicht so, dass wir hier alte Fahrzeuge ein bisschen aufpolieren. Wir bekommen eine völlig neue Antriebstechnologie. Und wir fahren künftig emissionsfrei und ressourcenschonend.“ Auf der Kostenseite müsse man auch sehen, dass der Wartungsaufwand für die künftige Elektrotechnik deutlich unter dem Bedarf von Dieselbussen liege. Weniger Aufwand auch für die Schulung des Personals, denn der Arbeitsplatz des Busfahrers ist unverändert: Er muss nur seine Fahrweise auf den Elektroantrieb umstellen.

Derzeit stellen die Umrüstungskosten mit knapp einer halben Million Euro noch einen großen Brocken dar, auch wenn er für die Verkehrsunternehmen durch die Fördertöpfe bei Bund und Land auf bis zu 20 Prozent schrumpfen kann. Ökologisch sieht Markus Körner einen weiteren Vorteil: „Ein Auto neu zu bauen und ein altes zu verschrotten, sorgt für erhebliche CO2-Emissionen. Fahrzeuge umzurüsten statt neue zu produzieren, entlastet dagegen die Umwelt.“ Außerdem gibt er künftigen Kunden die Hoffnung, dass bei Umrüstaktionen in größerem Stil Preisreduzierungen zu erwarten seien. Derzeit würden die Brennstoffzellen noch aus China geliefert – „die sind in dieser Technologie einfach um Jahre weiter als wir.“

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Umrüstung erfüllt auch die CVD

Die Realisierung des aktuellen Pilotprojektes ist durch die finanzielle Förderung des Landes Brandenburg und die intensive gemeinsame inhaltliche Vorbereitung durch UVG und Nationalparkverwaltung möglich geworden. „Die Umrüstung der zwei Nationalparkbusse ist das erste Projekt unseres Klimaschutzministeriums aus dem Zukunftsinvestitionsfonds des Landes“, erklärte Umwelt- und Klimaschutzminister Axel Vogel. „Es ist das erste Mal in Europa, dass im Öffentlichen Personennahverkehr konventionelle Dieselbusse aus dem vorhandenen Bestand auf Wasserstoff-Brennstoffzellentechnik umgerüstet werden.“ Das sei gerade im Hinblick auf die anstehende Umsetzung der „Clean-Vehicles-Richtlinie“ der Europäischen Union von besonderer Bedeutung. Die Richtlinie schreibt der ÖPNV-Branche vor, dass bei der Fahrzeugbeschaffung ab August 2021 bis Ende 2025 nur noch 55 Prozent Dieselbusse sein dürfen. Mindestens 45 Prozent der Neufahrzeuge sollen im Sinne der Richtlinie „sauber“ sein - also mit alternativen Energie- und Antriebskonzepten - und die Hälfte davon sogar vollständig emissionsfrei. Ab 2026 erhöht sich diese Quote sogar auf 65 Prozent.

Auch die Umrüstung von Dieselfahrzeugen auf E-Bus-Systeme erfüllt die Richtlinie aus Brüssel. Hier sieht Markus Körner Potenzial. In dem kleinen Unternehmen weiß man, dass der Bedarf des Marktes nicht allein bedient werden kann. Deshalb werden bundesweit qualifizierte Umrüstpartner im Kraftfahrzeug-Handwerk mit Kompetenz bei Fahrzeugaufbauten gesucht – speziell bei Servicewerkstätten der etablierten Nutzfahrzeughersteller –, die mit dem Fachwissen und den Kontakten des Start-ups im Lkw- wie im Bus-Markt aktiv werden können. Denkbar sei auch, dass Verkehrsunternehmen die Umrüstung in Eigenregie betreiben und so wichtige Arbeitsplätze in ihren Werkstätten zukunftssicher machen – nach entsprechender Schulung und technischer Ausstattung. Diese Schulung soll unter anderem mit der IHK aufgebaut werden. Das neue Berufsbild: „Fachkraft für H2-Mobilität“.

Wasserstoffbusse für den Nationalpark

Vom Frühsommer an will die UVG die beiden besonders klimafreundlichen Busse überwiegend auf den Nationalparklinien einsetzen. Nicht nur unter der Haube werden sie grün sein: Die beiden Fahrzeuge werden zu rollenden Informationszentren mit audiovisuellen Anreizen, zum Beispiel mit Videoclips zu jeder der 16 Nationalpark-Haltestellen. Wasserstoff ist für Lars Boehme aber weit mehr als eine Touristenattraktion für die Fahrten in Deutschlands einzigem Auennationalpark an der Oder. Bei ihm auf dem Hof stehen 122 Dieselbusse, die er alle umrüsten möchte. Auf finanzielle Unterstützung hoffen die Uckermärker aus Brüssel. Sie bewerben sich als eines der „Important Projects of Common European Interest“ speziell für den Wasserstoff-Sektor um Mittel aus dem Fonds „IPCEI Wasserstoff“.

Zu wirtschaftlich sinnvollen Konditionen an die saubere Energie zu kommen, sei in der Region Uckermark, anders als anderswo, nur noch eine Frage der Zeit. Die Zapfsäule im Betriebshof ist bereits geplant. „Vielleicht“, meint der UVG-Geschäftsführer, „bauen wir als Verkehrsunternehmen irgendwann sogar ein öffentliches Tankstellennetz für jedermann auf.“

Weitere Infos unter:
www.cleanlogistics.de und uvg-online.com

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