Innovationen
16.12.2019
Unterwegs im Netz

Der Bus mit dem etwas anderen Plus

Im brandenburgischen Bad Belzig begann die Erfolgsgeschichte des „Plusbus“. Das System steht mittlerweile in mehreren Regionen für einen komfortablen Regionalverkehr auf der Straße, der mit der Schiene eng vertaktet ist. Der Initiator – das Unternehmen Regiobus Potsdam Mittelmark – macht darüber hinaus von sich reden. In seinen Diensten steht ein Fahrzeug, das durch markante Werbung für das Ehrenamt auffällt und bei Bedarf als Rettungsbus genutzt wird.

Wenn im Comic oder im Film der Superheld am Katastrophenort auftaucht, wird bald alles gut. Im richtigen Leben ist das nicht immer so – etwa bei schweren Verkehrsunfällen oder Großbränden. Menschen wie jeder andere sind dann die wahren Helden: die Retterinnen und Retter bei Polizei, Feuerwehr, Sanitätsdiensten und die Einsatzkräfte beim Technischen Hilfswerk. Sie alle stoßen bisweilen an die Grenzen ihrer Kräfte. Das war beispielsweise im Sommer 2018 so, als ein großer Waldbrand in der Nähe des brandenburgischen Treuenbrietzen die Rettungskräfte tagelang in Atem hielt. Dorfbewohner mussten evakuiert werden und bangten um ihr Hab und Gut. Einsatzkräfte waren erschöpft. Bei dieser Großschadenslage war einmal mehr der Rettungsbus von Regiobus Potsdam Mittelmark gefragt.

Hans-Jürgen Hennig gibt einen Einblick in den nachträglich eingebauten Schrank über der Vorderachse. Getränke und Decken sind ständig mit an Bord.

Wir sind nicht die Feuerwehr. Was wir können, ist wegbringen, sichern und ein Dach über dem Kopf bieten.

Hans-Jürgen Hennig,
Geschäftsführer Regiobus Potsdam Mittelmark

Den Superhelden kann er zwar nur als Werbemotiv für das Ehrenamt mitbringen. Dennoch sind Retter im Großraum Berlin und Brandenburg froh, wenn der Bus spätestens eine halbe Stunde nach Anforderung durch die Leitstelle startklar ist und zum Einsatzort ausrücken kann. Um Retten, Löschen, Bergen geht es dabei nicht. „Wir sind nicht die Feuerwehr“, erläutert Hans-Jürgen Hennig, Geschäftsführer von Regiobus Potsdam Mittelmark, die Aufgaben des Rettungsbusses: „Was wir können, ist wegbringen, sichern und ein Dach über dem Kopf bieten.“ Wenn etwa ein Zug auf offener Strecke liegenbleibt oder ein Mehrfamilienhaus evakuiert werden muss, kann der Bus seine Stärken ausspielen. Im Bus finden die Menschen Schutz und können etwas zur Ruhe kommen. Im Winter haben sie es trocken und warm.

Im Regelbetrieb mit abgedecktem Blaulicht

Zur Sonderausstattung des inzwischen zehn Jahre alten und 2015 umgebauten Mercedes-Benz Citaro O 530 gehören Blaulicht, Martinshorn, Freisprechanlage und ein Bus-Navi. Immer an Bord sind Decken, Getränke – und ein Stofftier. Es hilft im Ernstfall, Kinder vom Geschehen abzulenken und zu trösten. Als Aufbewahrungsort dient ein auf der Fahrerseite eingebauter Schrank, dem vier Sitzplätze über der Vorderachse weichen mussten. Auf dem Einbauschrank sicher verstaut liegt eine ausziehbare Leiter. Sie wird benötigt, um vor einer Einsatzfahrt die Schutzhüllen von den Blaulichtern abzuziehen. Denn die Straßenverkehrsordnung sieht den Normaldienst nur mit abgedeckten Signallichtern vor. Im Alltag bewährt sich der „Citaro“ als ganz normaler Linienbus rund um Bad Belzig.

Hans-Jürgen Hennig hatte 2014 in einem Feuerwehrmagazin von einem Gelenkbus mit ähnlichen Aufgaben gelesen, den die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (Werngroup) in Siegen einsetzten, und sich das Fahrzeug mit einer Abordnung aus dem Landkreis angesehen. Die Idee vom eigenen Rettungsbus wurde anschließend umgesetzt. Der Chef sitzt bisweilen selbst am Steuer. Wenn es buchstäblich brennt, auch am Lenkrad des Rettungsbusses. „Im Schnitt einmal im Quartal fordert die Leitstelle den Bus an“, berichtet Hennig. Befindet der sich dabei gerade im Liniendienst, nimmt ein Ersatzbus die Fahrgäste an der nächsten Haltestelle auf. Wenn der Rettungsbus zum Notfall weiterfährt, bedeutet das für die Fahrer immer eine besondere Stresssituation. Der Einsatz mit Blaulicht und Martinshorn erfordert noch höhere Aufmerksamkeit als im Normalbetrieb. „Manche Autofahrer neigen zu unvorhersehbaren Reaktionen und bremsen plötzlich“, weiß Hans-Jürgen Hennig aus eigener Erfahrung. Für solche Situationen werden die 22 Rettungsbusfahrer einmal pro Jahr geschult – darunter Werkstattmitarbeiter und reguläre Fahrer sowie der Geschäftsführer. Einige sind selbst ehrenamtliche Feuerwehrleute. „Wir fahren dann zwei Stunden lang mit Tatütata durch den Landkreis.“ Von einem Unfall während einer Übungs- oder Einsatzfahrt blieben sie bislang verschont. Falls doch etwas schiefgehen sollte, kann ein Unfalldatenschreiber im Nachhinein Infos zum Hergang und zur Klärung der Schuldfrage liefern.

Über diese Schalter bedient der Busfahrer Blaulicht und Martinshorn. Das Fahren mit „Sonderrechten“ ist nur erlaubt, wenn die Leitstelle ihr Okay gegeben hat.

Nachfolger bietet auch Schutz vor Gaffern

Die moderne Busflotte von Regiobus Potsdam Mittelmark hat ein Durchschnittsalter von lediglich fünfeinhalb Jahren. Für den Bus mit Rettungsaufgaben ist der Nachfolger bereits bestellt. Im April 2020 wird er auf dem Betriebshof in Bad Belzig erwartet. Bei diesem Modell lösen LEDs die Blaulichter ab. Das spart im Einsatz wertvolle Zeit. Dann muss der Fahrer nicht mehr per Teleskop-Leiter am Bus emporklettern, um die Schutzhüllen von den Blaulichtern zu entfernen. Wichtiges neues Zubehör sind Vorhänge. Im Einsatz sollen sie die Schutzsuchenden vor den neugierigen Blicken von Gaffern und ihren Smartphone-Kameras abschirmen. Für den bestens gepflegten „Citaro“ neigt sich somit die Zeit am Standort Bad Belzig ihrem Ende entgegen. Seine Laufbahn als Linienbus mit Zusatzqualifikation geht jedoch bestimmt in einer anderen Stadt weiter. Hans-Jürgen Hennig: „Es gibt bereits zwei Interessenten.“

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