Infrastruktur
10.07.2017
Unterwegs im Netz

Wupper-Blick
aus luftiger Höhe

Einschienenbahnen – sogenannte Monorails – werden aktuell in vielen Megastädten der Welt als ideale Lösung diskutiert, den ÖPNV in eine zweite Ebene über den Straßenverkehr zu bringen. Wuppertal hat seit mehr als hundert Jahren eine ganz spezielle Variante dieser Technik: die Schwebebahn. Diese ist gerade für weitere hundert Jahre fit gemacht worden.


Die Zukunft ist himmelblau. Alle 14 Tage kommt derzeit per Tieflader eine neue Schwebebahn aus dem Werk im spanischen Valencia in der bergischen Großstadt an. Der Zug wird per Kran an die Schiene hoch oben an das stählerne Gerüst gehoben und dann eingehängt – ein Kraftakt. Als der erste hellblau lackierte Zug im Frühjahr ankam, standen mitten in der Nacht tausende Wuppertaler bereit, um diese Ankunft zu erleben. Das sagt etwas aus über die Bürger der Stadt, die links und rechts des Flüsschens steil die Hänge hinauf klettert. Die Schwebebahn ist ein „bisschen die Seele Wuppertals“, sagt Ulrich Jaeger, Geschäftsführer der WSW mobil GmbH, jener Tochter der Wuppertaler Stadtwerke, die das weltweit einzigartige Verkehrssystem betreibt. Ein Wahrzeichen ist sie allemal; seit 20 Jahren steht sie zudem unter Denkmalschutz. Ihre Erneuerung für ein weiteres Jahrhundert war und ist ein finanzieller Kraftakt. Alles in allem mussten die Stadtwerke für das Gesamtprojekt 635 Millionen Euro aufwenden. Zwei Drittel dafür kamen aus staatlichen Fördertöpfen wie dem Gemeindeverkehrs­finanzierungsgesetz (GVFG).

85.000

Fahrgäste

So viele Menschen nutzen an Werktagen die Wuppertaler Schwebebahn. Für ihre 13 Kilometer lange Strecke mit 20 Stationen benötigt sie eine gute halbe Stunde - was am Boden und im Alltagsverkehr kaum zu schaffen ist.

Nagelneu und doch irgendwie vertraut: Die himmelblauen Fahrzeuge sind auf dem modernsten technischen Stand, bleiben aber rein optisch unverkennbar die bekannte alte Schwebebahn.

Die Bürger lieben, beobachtet Jaeger, ihre Schwebebahn so sehr, dass die Stadt förmlich in eine weithin spürbare Depression fällt, wenn die Züge mal nicht verkehren. Das liegt aber auch daran, dass sich dann gut 85.000 Fahrgäste an Werktagen in Ersatzbussen durch das Gewühl auf der Straße ein Stockwerk tiefer quälen müssen, mit garantiertem Stau-Stillstand. Rund 13 Kilometer ist die Strecke der Schwebebahn lang, an ihren 20 Stationen vielfach verknüpft mit dem Busliniennetz, stets nicht weit entfernt vom S-Bahn- und Regionalverkehr auf der Schiene. In einer knappen halben Stunde legen die Bahnen diesen Weg zurück – was im Alltagsverkehr auf der Straße kaum zu schaffen ist. Vom östlichen Endpunkt am Bahnhof Oberbarmen schwebt die Bahn kurvenreich am stählernen Gerüst über der Wupper. Die letzte Etappe führt oberhalb einer Straße bis zur westlichen Endstation in Vohwinkel. So ganz nebenbei überquert sie dabei auch mit einer großen Brücke das vielspurige Sonnborner Autobahnkreuz. Das System auf der Talachse der Stadt ist das Rückgrat des ÖPNV in Wuppertal. Jeder dritte WSW-Kunde nutzt die Bahn.

Die Schwebebahn ist ein bisschen die Seele Wuppertals.

Ulrich Jaeger,
Geschäftsführer WSW mobil

Neue Züge bringen mehr Laufruhe

Die neuen himmelblauen Züge wirken auf den ersten Blick seltsam vertraut – kein Wunder. „Bevor wir die neue Fahrzeug­serie mit 31 Zügen ausgeschrieben haben, gab es erst einmal einen Design-Wettbewerb“, erklärt Jaeger: „Natürlich sollte die nächste Generation den Stand der Technik repräsentieren und modern sein. Aber sie sollte schon rein äußerlich die vertraute Schwebebahn bleiben.“ An den Rädern hängen nun Hightech-Züge: klimatisiert, komfortabel, mit großer Laufruhe. Während die alten Bahnen ratternd und mit einem typischen Motorengeräusch für einen Lärmpegel im Tal sorgten, wird es jetzt nach und nach akustisch zurückhaltender. Einem Motorradfahrer gleich, legen sich die neuen Züge wie ihre Vorgänger in die Kurve. Und Kurven bietet der Fluss reichlich. Zum Schwebebahn-Erlebnis gehört weiterhin: Beim Halt in der nächsten Station schaukelt sie ein bisschen.

Spitzentechnologie findet sich auch in der Betriebsleittechnik wieder: Die neue Schwebebahn ist mit dem European Train Control System, Kennern eher unter der Abkürzung ETCS bekannt, ausgerüstet. Im „Level 2“. Das bedeutet: Es gibt künftig keine ortsfesten Signale mehr an der Strecke und in den Bahnhöfen. Die Triebfahrzeugführer erhalten alle Informationen über den Monitor im Führerstand. ETCS gibt es auch für das älteste Schätzchen: Der „Kaiserwagen“, mit dem anno 1901 der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. nebst Gattin die neue Bahntechnik der damals noch selbstständigen Städte Barmen, Elberfeld und Vohwinkel inspizierte, ist für den weiteren nostalgischen Kaffeefahrten-Einsatz ebenfalls mit Level 2 ausgestattet – als vermutlich weltweit ältestes Schienenfahrzeug.

Zum Schwebebahn-Erlebnis gehört neben der kurvenreichen Fahrt über den Fluss auch das leichte Schaukeln, wenn der Zug in der Station haltmacht.

Zwei-Minuten-Takt in Spitzenzeiten

Die neue Leit- und Sicherungstechnik bildet die Voraussetzung für die Erhöhung der Zugfolge zu den Verkehrsspitzenzeiten: Alle zwei Minuten kann dann ein Himmelblauer auf die Fahrt gehen. Die Technik ist buchstäblich gewichtig: „In jedem Zug sind 20 Kilometer Kabel verlegt“, erläutert Jaeger. Das macht die Fahrzeuge schwer, trotz ausgeklügelter Leichtbauweise der Wagenkästen. Sie haben deshalb einen stärkeren Antrieb als die Vorgänger-Serie, die schon seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts unterwegs ist. Die neuen Bahnen erreichen zügiger ihr Spitzentempo von 60 km/h – was die Zeit eines kompletten Umlaufs um acht Minuten auf unter eine Stunde verkürzt. Das ist unwesentlich für den Kunden, schafft aber Luft in den Betriebsabläufen. Ab Frühjahr nächsten Jahres sollen alle 31 bestellten Züge im Einsatz sein. Die Zeit der alten Fahrzeuge ist dann endgültig vorbei. Auf dem Gerüst gibt es in beiden Endbahnhöfen nur Stellplätze für 34 Fahrzeuge. Jaeger: „Mit jedem neuen Fahrzeug, das wir ins System bringen, muss ein altes herausgenommen werden.“ Die alten bleiben aber gefragt. Die WSW schenkten die ersten drei gemeinnützigen Institutionen. Für den Rest, der zum Schrottpreis verkauft werden soll, gibt es eine Warteliste. Die Waggons sind nicht nur in Wuppertal bei Privatleuten und Firmen begehrt. Sie stehen vor einer Zukunft als Gartenhäuschen, Kantine, Kneipe, Kindergarten.

Dass die Schwebebahn, die seit dem Jahr 1901 unterwegs ist, für weitere hundert Jahre fit gemacht werden sollte, stand in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in Wuppertal außer Frage. Damals war vor allem die Infrastruktur in die Jahre gekommen: Das Stahlgerüst, an dem die Bahn nicht schwebt, sondern hängt, wurde vom Rost zernagt. 1995 wurde ein erstes Segment des Schwebebahngerüsts erneuert. Danach begann die komplette Erneuerung des gesamten Fahrwegs, immer wieder verbunden mit Sperrpausen für das geliebte Verkehrsmittel. Das ist nach mehr als 20 Jahren abgeschlossen – eine Jahrhundert­aufgabe. Die Infrastruktur wurde mit heutiger Technik, nach aktuellen Standards und Normen massiver ausgelegt als das im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelte erste Fahrwegsystem. Und Rost sollte künftig kein Problem mehr sein. Sicherer gestaltet wurden auch die Arbeitsflächen für die Schwebebahn-Bediensteten, die Nacht für Nacht den Fahrweg kontrollieren und instand setzen. Mit der Zeit wurden auch alle 20 Bahnhöfe von Grund auf modernisiert, alle sind barrierefrei. Drei von ihnen behielten ihren Original-Fachwerklook: „Ein, wie es so schön heißt, formidentischer Wiederaufbau“, sagt Jaeger. „Ein bisschen wie Disneyland, aber unsere Kunden lieben diese Stationen.“

Panorama-Ausblick über die Wupper

Besonders aber lieben die Wuppertaler und die Touristen in der Stadt eine Innovation der neuen Bahn-Generation: Die Rückseite besteht aus einer fast das ganze Fahrzeugprofil ausmachenden Panorama-Fensterscheibe. Ungehinderter Wupper-Blick aus zwölf Metern Höhe. Wenn man Plätze ergattern kann. Denn die sind meist schon von den ersten Stationen an voll besetzt.

Nummer 10 eckt an

Neun neue Bahnen sind seit Monaten problemlos im Einsatz, bei der zehnten geschah das Undenkbare: Ein Bauteil des Laufwerks eckte am stählernen Fahrweg an. Die Fachleute stehen vor einem Rätsel, erklärt Ulrich Jaeger: „Aus bislang unbekannten Gründen hat das Fahrzeug Nr. 10 der neuen Schwebebahn-Generation eine Berührung mit dem Gerüst gehabt. Die Schäden sind gering, aber die WSW nehmen den Vorfall ernst. Erste Untersuchungen haben ergeben, dass der Fehler nur beim Fahrzeug liegen kann. Nun werden wir gemeinsam mit dem Hersteller, Gutachtern und unter Einbeziehung der Technischen Aufsichtsbehörde das Fahrzeug demontieren, um die Ursache ausfindig zu machen.“

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