Innovationen
14.06.2022

Grünes Licht für Robo-Shuttles:

Die Zukunft kommt in Fahrt

Eine Rechtsverordnung mit dem etwas sperrigen Titel „Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs- und Betriebsverordnung (AFGBV)“ eröffnet im Straßenverkehr den Einstieg ins automatische Fahren ohne Fahrpersonal. Das ist spannend aus der ÖPNV-Perspektive: So lassen sich Liniennetze verdichten und vor allem in dünner besiedelten Regionen mit „Robo-Shuttles“ die Mobilitätswende einleiten. Doch die Branche steht vor einem grundsätzlichen Problem: Die Autoindustrie hält sich bei der Entwicklung von Shuttles und Bussen für einen autonomen Linienverkehr ­bislang eher zurück.


Herbert Diess betrieb kürzlich Marketing in eigener Sache. Im April dieses Jahres ließ sich der VW-Vorstandschef auf dem Rücksitz eines Elektro-Bulli-Prototypen bei einer autonomen Rundfahrt durch München für ein Youtube-Video ablichten. Zwar saß noch ein Fahrer hinter dem Steuer, doch dessen Hände berührten das sich im Straßenverlauf hin und her drehende Lenkrad vor der Kamera nicht. Diess trommelte mit seinem Auftritt für ein Marktsegment, in das der Automobilkonzern in den nächsten Jahren mit Macht einsteigen will: das Geschäft mit „Robo-Taxis“. Autonome Elektrofahrzeuge, die zunächst wohl vor allem in großen Städten die Mobilität völlig aufmischen könnten. Damit könnte VW zum unmittelbaren Konkurrenten für den ÖPNV werden und in großem Stil Kundschaft aus Bussen und Bahnen abwerben.

Auch die Verkehrsunternehmen setzen auf „Robo“-Fahrzeuge, doch sie denken größer – an „Robo-Shuttles“. Mehr Bus als Taxi, also größere Gefäße mit mehr Sitz- und Stehplätzen. Schneller als die erste Prototypen-Generation mit Höchstgeschwindigkeiten um 15 Stundenkilometer sollten sie sein, um im Straßenverkehr „mitschwimmen“ zu können. Landauf, landab gibt es inzwischen zahlreiche Projekte, die mit autonom fahrenden öffentlichen Verkehren die Liniennetze außerhalb der klassischen Routen von Bussen und Bahnen erweitern wollen – für Siedlungs- und Gewerbegebiete, auch für den „Überlandverkehr“ zu dörflichen Vororten und Stadtteilen. Hinzu kommen zahlreiche On-Demand-Projekte, die im übernächsten Schritt für autonome Verkehre prädestiniert sind. „Für den autonomen Shuttle-Betrieb braucht die Branche marktfähige, verkehrlich sinnvolle Fahrzeuge“, sagte Dr. Till Ackermann, beim VDV Leiter des Bereichs Volkswirtschaft und Business Development, auf dem 6. VDV-Zukunftskongress Autonomes Fahren kürzlich in München.

Kannibalisierung befürchtet

Doch die Automobilhersteller spielen nur bedingt mit. Dr. Reinhard Stolle, Manager des VW-Partners und international präsenten Selbstfahr-Start-ups Argo AI, skizzierte auf dem Kongress in München ganz offen seine Vorstellung vom Nahverkehr der Zukunft am Beispiel Hamburg. Dort bietet die VW-Tochter Moia schon seit einigen Jahren Ridepooling-Dienste mit komfortabel gestalteten Kleinbussen als Sammeltaxis und sucht die „integrierte Gesamtlösung“ mit der Hamburger Hochbahn. Ab 2025 soll Moia autonom unterwegs sein – dann mit etlichen hundert Fahrzeugen. Fahrerlos könnte das Geschäft gewinnbringend sein, aber zu Lasten des ÖPNV.

Das wird in der Nahverkehrsbranche mit Argwohn beobachtet. Sinaida Cordes, Leiterin Mobilitätsentwicklung bei der Münchner MVG: „Die anderen draußen schlafen nicht. Es drängen viel mehr Teilnehmer in den Markt.“ Das wird auch anderswo ähnlich gesehen. „Wir brauchen Klarheit, wie wir den ÖPNV organisieren. Die Industrie kommt in die Städte, doch es gibt niemanden, der uns ein Fahrzeug für den ÖPNV anbietet“, beobachtet Roland Juhrs von den Leipziger Verkehrsbetrieben. Sein Kollege Mario Nowack, Projektleiter des Leipziger Shuttle-Projekts „Absolut“, formuliert die „Möglichkeit und Gefahr“, dass Robo-Taxi-Flotten künftig am ÖPNV vorbei auch die suburbanen Räume außerhalb der Stadtzentren erschließen, wo das Bus- und Bahnangebot dünner ist. „Wir müssen als Branche begreifen, dass wir Treiber der Verkehrswende sein wollen“, mahnt Frank Klingenhöfer, Vorstand von DB Regio Bus und beschreibt die interessante Zielgruppe: Über 40 Prozent der Deutschen leben in Kleinstädten und Dörfern und verfügen bisher über kein attraktives Angebot von Bus und Bahn.

Von den Vertretern der klassischen Autoindustrie kam wenig Erhellendes zum Thema Shuttle-Entwicklung. VW-Nutzfahrzeuge-Mann Tobias Reich verdeutlichte die Konzerninteressen am Robo-Taxi und blieb darüber hinaus eher vage: Die Entwicklungen „brauchen Zeit“, es seien „enorme Investitionen“ in die „komplexe Technik“. Johann Jungwirth vom Selbstfahrer-Pionier Mobileye beglückwünschte Deutschland zwar zu seiner „Vorreiterrolle“ beim Setzen der rechtlichen Rahmenbedingungen für das autonome Fahren. Zudem zeigte er mit eingespielten Videos, dass das internationale Klassifizierungsniveau „Level 4“ für das autonome Fahren in bestimmten Betriebsbereichen von dem Mobileye-Selbstfahrsystem bereits beherrscht wird. Die Zuhörer mussten aber hören, „nur“ die Umsetzung in Shuttle-Dienste fehle noch. Immerhin, das weltweit operierende Unternehmen habe bereits ein erstes Busprojekt für ein Zwölf-Meter-Fahrzeug mit 19 Passagieren begonnen. Das System „funktioniert genauso“ wie in kleineren Fahrzeugen, betonte Jungwirth. Doch nur mit einem Sieben-Sitzer, einem Elektro-SUV, startet das Unternehmen demnächst in München auch eher in den Taxi-Dienst. „Wir brauchen Sie alle als Partner“, beschwor Jungwirth, der in einer Videobotschaft aus Israel den 140 Kongress-Teilnehmenden zugeschaltet war, die Branche: „Wir haben kein Interesse, selbst in Flottenbetrieb zu gehen.“ Deshalb war es für die Teilnehmer spannend, von Alexander Böhm, Smart Mobility-Experte vom Automobilzulieferer Schaeffler Automotive Buehl, zu hören, dass seine Firma auf Basis des Mobileye-Selbstfahrsystems einen ­ÖPNV-Shuttle entwickelt.

Autofahrer für ÖPNV gewinnen

„Wir bauen keine Busse“, war auch die Botschaft von Werner Engl von der Friedrichshafener ZF-Gruppe, die mit ihrem Autonomen Transportsystem ATS Shuttle-Fahrzeuge für entsprechende Einsatzfelder entwickelt. Das aber auch in völlig neuen Größenordnungen: So soll der Fahrzeugtyp GRT 3 ein Shuttle für bis zu 24 Personen sein – ein Gefäß, mit dem die Hamburger Hochbahn ihre Liniennetze ergänzen will. Engl betonte, sicherlich zur Freude der Branche: „Unsere Zielgruppe sind die Pkw-Fahrer, um sie zum Umsteigen in den ÖPNV zu gewinnen.” So blieb es dem Iveco-Manager Jean Marc Boucheret vorbehalten, seinen klassischen Linienbus zu präsentieren, der aus einem Fahrzeug-Umbau entstanden war. Eindrucksvolle Video-Szenen aus dem Testbetrieb in Frankreich konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Fahrzeug aus dem Labor-Status nie herausgekommen war und nicht einen einzigen Passagier befördert hatte.

Breiten Zuspruch hat die ÖPNV-Branche im Bundesverkehrsministerium. Ministerialdirigent Andreas Krüger, einer der Väter der neuen Rechtsverordnung, machte auf dem Kongress klar: „Wir wollen die Einführung des Realbetriebs. Im Wesentlichen wissen wir, wie es geht.“ Aber auch im Ministerium sieht man „das große Dilemma“: „Wir haben keine Autos.“ Dabei stellt sich die Politik vor, dass der ÖPNV im „Level 4” wesentlicher Einsatzbereich sein werde – mit Punkt-zu-Punkt-Linien und ebenso in örtlich begrenzten Betriebsbereichen. Krüger blickt nicht nur auf Stadtverkehre, sondern mahnte insbesondere auch Lösungen für ländliche Räume an „mit engen Straßen ohne Fahrbahn-Markierungen“. Der autonome ÖPNV werde scheitern, wenn er das flache Land nicht erschließen könne – mehr Busse auch „beispielsweise für das Sauerland oder die Uckermark“.

Der Automobilzulieferer ZF und die Hamburger Hochbahn wollen gemeinsam fahrerlose, elektrisch betriebene Verkehrssysteme für den Regelbetrieb im ÖPNV entwickeln.

In vielen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen auf dem Kongress wurde deutlich, dass das komplexe Thema des autonomen Fahrens zwar erhebliche Schritte vorangekommen ist, aber noch viel weitere Entwicklungsarbeit fällig wird. Das beginnt bei der Kommunikation mit den Fahrgästen, die sich einem Transportgefäß ohne Lenkrad und ohne Operateur anvertrauen sollen. Und es führt hin zum Bedarf kontinuierlicher Überwachung der Shuttle-Flotten aus den Leitstellen der Verkehrsbetriebe – mit Eingriffsmöglichkeiten aus der Zentrale, wenn das Fahrzeug mit seiner programmierten Intelligenz dann mal doch nicht weiterkommt. „Auch wenn wir autonome Fahrzeuge haben, haben wir noch lange keinen autonomen Betrieb“, sagte MVG-Expertin ­Sinaida Cordes, „wir müssen Innovationspotenziale bündeln, nicht blockieren.“

In diese Richtung geht auch die vom VDV angeregte Bundesförderung für Flotten von ÖPNV-Shuttles, die autonom in bestimmten Betriebsbereichen fahren. VDV-Präsident Werner Overkamp: „Autonomes Fahren erweitert das klassische ÖPNV-Angebot, ob auf den Linien oder on demand, und kann so das Gesamtangebot auf ein neues Niveau heben – doch das kostet Geld.“ Der VDV-Vorschlag klingt dann auch wie eine Rechenaufgabe: „5x25x2025“ für das autonome Fahren. Overkamp löst die Formel auf: „Wir brauchen vom Bund ein Budget von fünf mal 25 Millionen Euro für mindestens fünf Reallabore mit jeweils 25 Fahrzeugen in verschiedenen Einsatzgebieten. Mit dem Ziel, diese bis 2025 in den kommerziellen Betrieb zu bringen.“

Weitere Infos zum Thema:

www.vdv.de/Innovationslandkarte

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