Verkehrspolitik
30.03.2020

Daseinsvorsorge und Lebensqualität

Ob die Verkehrswende gelingt, entscheidet sich auch im ländlichen Raum. Die Konzepte, abseits der Metropolregionen mehr Fahrgäste zum Umstieg in den ÖPNV zu bewegen, bewähren sich mancherorts bereits. Dass sie noch nicht flächendeckend eingeführt wurden, liegt an der Finanzierung – für Kommunen und Landkreise häufig ein Kraftakt. Die Chancen, den Regionalverkehr zu verbessern, stehen dank der jüngsten Finanzierungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern gut.


Innovativer Dienstleister plus Digitalisierung plus Deregulierung gleich gute Mobilität: Diese Gleichung geht nicht auf.

Dr. Jan Schilling,
VDV-Geschäftsführer ÖPNV

47 Millionen Menschen leben in Deutschland auf dem Land. Gleichwertige Lebensverhältnisse und damit die Entwicklung ländlicher Räume rücken zunehmend in den Mittelpunkt der politischen Diskussion – ebenso wie die Frage, wie die Mobilität in der Fläche aussehen kann. Auch ohne Auto. Derzeit haben Busse und Bahnen am Verkehr in ländlichen Regionen einen Marktanteil von fünf Prozent. Zum hohen Pkw-Anteil kommen die weiten Strecken, die zurückgelegt werden müssen. Folglich ist das Potenzial zur Verkehrsverlagerung und zur Reduzierung von CO2-Emissionen riesig.

Aber wie kann der Anteil des Öffentlichen Verkehrs spürbar erhöht werden? Mobilität ist ein wichtiger Standort- und Wirtschaftsfaktor einer Region. „Die Stärkung ländlicher Regionen unter den Gesichtspunkten Klimaschutz und gleichwertiger Lebensverhältnisse eröffnet hier neue Chancen“, heißt es dazu in einem aktuellen Positionspapier des VDV. Maßstab sollte ein modernes, integriertes Mobilitätsangebot sein – für alle Menschen, die auf dem Land wohnen, und für Besucher.

Kurze Wege zwischen Bus und Bahn: Auf den Umsteigeverbindungen sind regelmäßige und gesicherte Anschlüsse entscheidend für eine nahtlos verknüpfte Mobilität.

Konzepte bewähren sich in der Fläche

Die Erfolgsmodelle für die Mobilität in der Fläche heißen Plusbus, Multibus, Rufbus, Kombibus und Anrufsammeltaxi. Im Gesamtsystem des Öffentlichen Verkehrs haben sie zusammen mit dem klassischen Linienbus eine wichtige Aufgabe. Sie bilden das fein verästelte Angebot auf der ersten und letzten Meile, die flexibel und mit Sharing-­Modellen bedient werden können (siehe Infografik). Rückgrat des Ganzen ist die Schiene – Regionalzüge, die die Städte des ländlichen Raums untereinander sowie mit benachbarten Oberzentren und den nächstgelegenen Ballungsräumen verbinden. Die Metropolen, die ihrerseits attraktiven städtischen ÖPNV bieten, werden durch den Fernverkehr verknüpft. In dieser Idealform müsste der Öffentliche Verkehr als Gesamtsystem organisiert werden.

Differenzierte Bedienung: Die Bahn- und Buslinien des Hauptnetzes werden mit lokalen Linien verknüpft.


Sharing liegt dem ÖPNV in den Genen

Die Verkehrsunternehmen haben in den vergangenen Jahren eine Reihe innovativer Angebote entwickelt. Den klassischen Linienbus ergänzen Pooling- und Sharingmodelle, die Fahrten bündeln beziehungsweise Fahrzeuge der geteilten Mobilität zur Verfügung stellen – im Grunde die DNA des Öffentlichen Verkehrs und dessen Kernkompetenz.

Für Dr. Jan Schilling, ÖPNV-Geschäftsführer beim VDV, ist klar: „Es geht darum, eine Verkehrsleistung qualitativ gut und verlässlich zu erbringen – und finanzierbar.“ Darüber dürften auch der Trend zur Digitalisierung sowie neue Technologieanbieter und ihr Marketing für ihre Mobilitätslösungen nicht hinwegtäuschen. Letztlich gebe es in den Städten sowie auf und zwischen den Dörfern kein neues Geschäftsmodell, das öffentliche Mobilität ohne staatliche Zuschüsse ermögliche, verdeutlicht Jan Schilling: „Hier wurde in den vergangenen Jahren von neuen Anbietern wie Uber viel versprochen, aber wenig umgesetzt.“ Wiederholt sei ihm die Formel begegnet: innovativer, „neuer“ Dienstleister plus Digitalisierung plus Deregulierung gleich gute Mobilität. „Diese Gleichung geht nicht auf.“
Selbst in den urbanen Zentren tragen sich Geschäftsmodelle der privatwirtschaftlichen Sharing-Economy nicht. Im ländlichen Raum kommt erschwerend hinzu, dass die Zahl der potenziellen Fahrgäste zu klein und die zu bedienende Fläche zu groß ist, um mit öffentlicher Mobilität Gewinne zu erwirtschaften – trotz digitaler Effektivitätszuwächse. Vielmehr geht es um Daseinsvorsorge, Orientierung am Gemeinwohl und ein Stück Lebensqualität für die Menschen. Jan Schilling: „Allerdings ist keiner der neuen Anbieter bereit, eine Betriebs- und Beförderungspflicht auf sich zu nehmen oder zu sozialverträglichen Tarifen zu fahren.“

VDV-Positionen zur Mobilität in ländlichen Räumen


Mit einem neuen Positionspapier will der VDV einen Beitrag leisten, die Mobilität als wichtigen Standort- und Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum herauszustellen. Das integrierte Mobilitätsangebot sollte sechs Leitplanken gerecht werden:

  1. Flächendeckendes hierarchisches Bahn-Bus-Gesamtsystem mindestens im Stundentakt
  2. Konsequente Orientierung auf Angebot, Anschlüsse und Qualität
  3. Erschließung der Klein- und Mittelstädte
  4. Flexible Bedienformen (On-Demand-Verkehre)
  5. Einfache Zugänglichkeit zum Gesamtsystem – Haltestellen, Verständlichkeit und Tarif
  6. Kooperation und Vernetzung

Diese Punkte werden in dem Positionspapier ausführlich erläutert und an Beispielen verdeutlicht. Das Dokument steht zum Download unter:
www.vdv.de/laendlicherRaum

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