Innovationen
28.02.2022

Aus Bahnstrom wird Busstrom

Mit Strom aus der Stadtbahn die Akkus von Elektrobussen und E-Autos aufladen: Was wie eine technische Utopie anmutet, ist in Köln Realität. An der Stadtbahn-Endhaltestelle Bocklemünd wurde die „Multimodale Lademodul-Integration“ (MuLI) aufgebaut. Sie besteht aus gebrauchten Hochvolt-Batterien, die aus E-Autos stammen. In den Batterien wird Energie gespeichert, die zurückgewonnen wird, wenn Bahnen bremsen. Mit diesem Strom fungiert MuLI als Ladestation für den elektrischen Straßenverkehr – ein Demonstrations- und Versuchsprojekt für mehr Klimaschutz.


Das „Krokodil“ gab die Richtung vor. Schon in den 1930er-Jahren konnte die von Eisenbahnfreunden bis heute bewunderte, mächtige Schweizer Güterzug-Lokomotive mithilfe komplexer elektromechanischer Technik ihren Elektromotor als Generator nutzen. Auf diese Weise speiste die Lok die Bremsenergie, die bei Talfahrten in den Alpen gewonnen wurde, in die Oberleitung zurück. Rekuperation nennen Fachleute das. Und die ist Fahrzeug-Generationen später längst zum Standard geworden. Sie hat sich mit der Leistungselektronik moderner Antriebe zu einem echten Energiesparfaktor entwickelt. Vom ICE bis hin zu den Straßen- und Stadtbahnen im ÖPNV: Gerade im Stadtverkehr mit seinen kurzen Haltestellen-Abständen und vielen verkehrsbedingten Bremsmanövern lässt sich viel Fahrstrom über die Rekuperation erhalten.

Stromüberschuss auf die Straße bringen

MuLI soll dieses Potenzial zur Energieeffizienz jetzt nutzen – genauer gesagt: den Nutzen optimieren für den wachsenden elektrischen Verkehr auf der Straße. Für das mit sechs Millionen Euro veranschlagte Projekt, das der Bund mit knapp zwei Millionen Euro unterstützt, fanden sich drei ungleiche Partner: die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), der Stromversorger RheinEnergie und der in Köln ansässige Autohersteller Ford. Das Ziel: den Überschuss an elektrischer Energie aus dem Fahrdraht für Elektrobusse und elektrische Pkw aufbereiten. Die KVB liefert den Strom aus ihrem Netz: Ihre Bahnen verfügen zu 90 Prozent über die entsprechende technische Voraussetzung – einen „rückspeisefähigen Antriebsstrang“. Die Stromernte ist beachtlich: Rund 40 Prozent der für den Fahrbetrieb eingespeisten „Bezugsenergie“ wird im Schnitt als Bremsenergie zurückgewonnen. Für die KVB ist das kein schlechtes Geschäft: Sie muss weniger Strom einkaufen. Ideal sind die Bedingungen für die Rekuperation, wenn eine Bahn in der Nähe die Bremsenergie gleich nutzen kann. Das funktioniert insbesondere in innerstädtischen Netzen mit dichten Zugfolgen. Lange Leitungen hingegen führen zu deutlichen Energieverlusten, denn Strom ist eine buchstäblich flüchtige Angelegenheit.

Diese Überlegungen und Erkenntnisse beeinflussten maßgeblich das gemeinsame Projekt: Wie lässt sich der überschüssige Bahn-Gleichstrom effizient in Wechselstrom für den elektrischen Straßenverkehr umwandeln und nutzen? Den Beteiligten war bewusst, dass eine direkte Verbindung vom Bahnstromnetz zu den Ladestationen keine optimale Lösung sein konnte. Der Grund: Wenn zu viele Endverbraucher auf der Straße wie auf der Schiene die Energie gleichzeitig abrufen, ist die Netzspannung im Stadtbahnbetrieb in Gefahr, es droht gewissermaßen ein Blackout. Die Experten schlugen deshalb vor, einen Speicher zwischen Stromlieferant und Abnehmer zu installieren. Es entstand eine bislang einmalige Lösung: ein massiver, mehr als mannshoher gigantischer Akku, gebildet aus gebrauchten 500 Hochvolt-Batteriezellen, die aus Elektroautos von Ford stammen.

„Second Life“: Die ausrangierten Autobatterien wurden miteinander verbunden und dienen nun als Energiespeicher.

„Second Life“ ist das entscheidende Stichwort: Die Autoakkus hatten ihre beste Leistung schon hinter sich. Sie werden aus den Dienst- und Testfahrzeugen von Ford ausrangiert, wenn beim Ladevorgang nur noch 80 Prozent oder weniger Leistung gespeichert werden kann. Dann reicht die Energie nicht mehr sicher aus für die dynamischen Anforderungen im Straßenverkehr. Doch die verbleibende Speicherqualität ist noch allemal nutzbar, um den Bahnstrom für den Einsatz als Bus- und Pkw-Strom zwischenzuspeichern. Immerhin: Die Kapazität des Speichersystems liegt bei 300 Kilowattstunden. Das ist nach Berechnungen der Versorgungsunternehmen durchschnittlich genug Energie, um 20 Autos jeweils hundert Kilometer zu bewegen.

Ein Speicher aus Autobatterien ist für alle Beteiligten Neuland. Mit großem Interesse verfolgen die Ingenieure den Alterungsprozess der eingesetzten Akkus und ermitteln regelmäßig, was die Zellen noch hergeben. Bislang weiß das niemand so richtig. „Wir haben geprüft und sichergestellt, dass die Batterien zum Zeitpunkt des Einbaus in den Speicher noch vollumfänglich leistungsfähig waren. Alterungsprozesse bei chemischen Energiespeichern verlaufen typischerweise nicht linear, sondern die Restkapazität kann ab einem gewissen Zeitpunkt sehr schnell abfallen. Man kann aber nicht bestimmen, in welchem Stadium sich dieser Alterungsprozess befindet und wann ein Abfall eintritt“, heißt es bei Ford. Die Zweitverwertung erhöht aber in jedem Fall die wirtschaftliche Nutzungsdauer der Akkus. Und das wirke sich am Ende positiv auf den – hohen – Preis der Batterien und damit für den Autokäufer aus, sind die Experten überzeugt.




Batterie-Gelenkbusse laden hier auf

Die Nutzung der vorhandenen energietechnischen Anlagen der Stadtbahn, an die nach der Blaupause von MuLI künftig Ladeinfrastruktur in Mobilitätshubs angeknüpft werden kann, ist wirtschaftlich nachhaltig.

Stefanie Haaks,
Vorstandsvorsitzende der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB)

Zu den Stammkunden der E-Tankstelle an der Haltestelle Bocklemünd gehören beispielsweise die Busfahrer der Linie 126. Drei Gelenkbusse mit Batterie-Elektrik pendeln auf der 15-Kilometer-Strecke aus dem Westen der Domstadt in den Norden nach Chorweiler. Geladen wird die nötige Energie bei MuLI weithin automatisch, während die Fahrer Pause machen. Sie müssen lediglich ihren Bus unter dem Lademast abstellen, den Stromabnehmer ausfahren, das „Tanken“ übernimmt dann das System, das dank Software den jeweiligen Bus und seinen Energiehunger identifiziert. Während für die KVB ein Schnellladesystem installiert ist, können im benachbarten Parkhaus Pkw-Fahrer ebenfalls ihre Batterien auffüllen. Zielgruppe sind jene, die ihr Fahrzeug dort parken, um mit der KVB in die Stadt zur Arbeit oder zum Einkaufen zu fahren.

Mit der wachsenden Elektrifizierung des Straßenverkehrs steigt der Bedarf an Ladestellen. Dafür müssen sich die kommunalen Versorgungsnetze rüsten. Bislang steht die Versorgung der Haushalte im Fokus, künftig muss zusätzlich der Energiehunger von Autos gestillt werden, eine „erhebliche finanzielle und operative Kraftanstrengung“, weiß KVB-Chefin Stefanie Haaks. Straßenbahn-Städte wie Köln seien da im Vorteil: „Die Nutzung der vorhandenen energietechnischen Anlagen der Stadtbahn, an die nach der Blaupause von MuLI künftig Ladeinfrastruktur in Mobilitätshubs angeknüpft werden kann, ist wirtschaftlich nachhaltig. Das erhöht den Wert der Stadtbahninfrastruktur und vermeidet einen Teil der weiteren Aufbaukosten.“

Das Kölner Verkehrsunternehmen schlüpft mit dem Projekt erstmals in eine neue Rolle: Bisher war es ausschließlich Bezieher von Ökostrom für den Fahrbetrieb. Künftig wird es auch zum „Weiterleiter“ der Energie aus der Rekuperation, die naturgemäß auch Ökostrom ist. MuLI soll nun auch Aufschlüsse darüber geben, wie der an den Ladestellen an „Dritte“ weitergeleitete Strom exakt gemessen und dann vom Stromlieferanten RheinEnergie abgerechnet werden kann. Ein Detailproblem, das gelöst werden muss, ist der Gleichstrom der Bahnen: Bisher installierte Messgeräte erfassen nur Wechselstrom.

Präsentation durch die Unternehmensspitzen: Dr. Dieter Steinkamp (RheinEnergie), Stefanie Haaks (KVB) und Gunnar Herrmann, damals noch Deutschlandchef und heute im Aufsichtsrat von Ford, (v. l.) stellten das Projekt im Sommer 2021 vor.

Offen ist, ob weitere stationäre Speicher nach dem Vorbild des laufenden Projekts im Kölner Netz aufgebaut werden. Die KVB will bis 2030 ihre gesamte Busflotte auf klimafreundliche alternative Antriebe umstellen. Der Bedarf an weiteren Ladestationen an Linien-Endpunkten wie in Bocklemünd steigt, auch die Zweitverwertung von Autobatterien wird an Bedeutung gewinnen. Ein erster ausführlicher Erfahrungsbericht zu MuLI wird in der zweiten Jahreshälfte aufzeigen, wie die Mobilitätswende weiter angegangen werden kann.

Mehr Infos

finden Sie unter:

bit.ly/MuLI_KVB

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