Über Wasser
durch die Netze

ÖPNV nicht nur mit Bussen und Bahnen, sondern auch auf dem Wasser: Gut 300 Fähren überbrücken in allen Teilen Deutschlands auf Flüssen und Seen nasse Lücken in lokalen und regionalen Nahverkehrsnetzen, mit jährlich über 70 Millionen Passagieren vor Corona-Zeiten. Von der Selbstbedienungsfähre bis zum großen Schiff für Auto- und Lkw-Beförderungen reicht die Vielfalt, die nun von einer EU-Richtlinie bedroht wird.

Wenn wir die neuen Regeln vollständig übernehmen, ist ein Sterben vieler kleiner Fähren programmiert.

Robert Roch, Geschäftsführer der Dresdner Verkehrsservicegesellschaft (DVS)


Ein bürokratisches Wortungetüm schreckt die Schiffer auf: das „Unionsbefähigungszeugnis“, amtlich abgekürzt UBZ. Es steht in der Brüsseler „Richtlinie Berufsqualifikationen“ 2017/2397 und soll künftig Berufsausbildung und Qualifikationsanforderungen für Binnenschiffer in Europa einheitlich regeln. Bis Anfang nächsten Jahres sollen die in 40 Artikeln ­akribisch und in allen erdenklichen Details formulierten Vorschriften in nationales Recht umgesetzt werden. Mit dem Ziel, dass künftige Generationen, die auf den Binnenwasserstraßen an Bord arbeiten, alle mit dem „UBZ“ in der Tasche unterwegs sind – auch Fährmänner und -frauen.

Robert Roch, Chef der zu den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) gehörenden Dresdner Verkehrsservicegesellschaft (DVS), betreut fünf Fährboote, die an vier Fährstellen die Elbe in der sächsischen Landeshauptstadt überqueren. „Es ist wie oft mit den Ideen aus Brüssel. Sie sind gut gemeint, schießen dann aber über das Ziel hinaus“, sagt er – und warnt: „Wenn wir die neuen Regeln vollständig übernehmen, ist ein Sterben vieler kleiner Fähren programmiert.“

Die Richtlinie fordere für das Führen einer Personenfähre das Patent eines Schiffsführers. Dieser muss eine Ausbildung über einen Zeitraum von über vier Jahren absolvieren. Demgegenüber bildeten die DVS und die anderen deutschen Fährbetreiber einen Fährmann in einem Jahr mit etwa 180 Fahrtagen so perfekt aus, dass er die amtliche Prüfung bestehe, einschließlich Sicherheitsregeln, Einweisung in sein Fahrgebiet und Funkerzeugnis. Robert Roch: „Die Forderung nach dem UBZ für den Schiffsführer im Fährbetrieb treibt die Ausbildungskosten astronomisch in die Höhe, und das werden die vielen kleinen Unternehmen nicht leisten können. Sie müssen dann aufgeben.“

Die Stadtverkehr Lübeck (SL) betreibt nicht nur den ÖPNV in der Hansestadt und der näheren Umgebung, sondern auch die Priwallfähren (o.).

Besucher der direkt an der Elbe gelegenen Schlossanlage Pillnitz können mit der einzigen Dresdner Autofähre übersetzen (u.).

Der VDV, dem neben den DVB auch weitere Mitgliedsunternehmen mit eigenen Fährdiensten beispielsweise in Berlin, Potsdam, Schwerin, Lübeck, Rostock, Meißen, Pirna oder Konstanz angehören, schloss sich auf Betreiben der Dresdner mit dem Deutschen Fährverband kurz, um für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gemeinsam eine überzeugende Alternative zu entwickeln. Heraus kam die Idee eines nationalen Fährführerscheins. Der ist konzipiert als Aufstiegsmöglichkeit für das Berufsbild des Decksmanns.

„Auch der Decksmann braucht künftig ein UBZ mit einer Sicherheitsausbildung“, erläutert Robert Roch. Die könne in einer Schulung durch die Berufsgenossenschaft mit lokalen Ausbildern erfolgen. Als Decksmann darf er dann, zunächst begleitet durch einen Fährmann, selber fahren und nach Erreichen von 180 Fahrenstagen die Prüfung zum Fährmann ablegen. Mit diesem Weg sei man „nicht auf ganz taube Ohren“ bei den Fachleuten des Bundesverkehrsministeriums gestoßen, heißt es an der Oberelbe, und man hofft nun auf eine entsprechende Regelung des Problems. Auch im nahen Tschechien, wo die Elbe „Labe“ heißt, sei eine ähnliche Lösung anvisiert.

Flussfähren gibt es, urkundlich belegt, auf dem Rhein schon seit 2.000 Jahren. Zu den ganz Großen zählen Autofähren vorwiegend über den Rhein, aber auch in Lübeck-Travemünde über die Trave hinüber in den Ortsteil Priwall oder die rund um die Uhr eingesetzten Schiffe über den Bodensee zwischen Konstanz und Meersburg. Betreiber sind auf beiden Linien die jeweiligen Stadtwerke. Bei Letzterer haben die Kollegen vom ÖPNV an Land stets ein Privileg: Der Linienbus darf immer vor der wartenden Autoschlange als erster an Bord.

In Berlin betreibt die BVG – neben weiteren kleinen Unternehmen – sechs Fährlinien, von denen die „F10“ die längste und eine wichtige Verkehrsverbindung ist: In 20 Minuten quert sie den Wannsee auf knapp ­viereinhalb Kilometern vom Ortsteil Wannsee nach Alt-Kladow. Die kürzeste ist die „F24“, die Rahnsdorfer Ruderfähre, die nur im Sommer unterwegs ist: Nach nur zwölf Ruderschlägen, so wird berichtet, hat der Fährmann das andere Ufer in Müggelheim erreicht. Ganz andere Dimensionen hat das nasse ÖPNV-Angebot der Hadag im Hamburger Hafen. Dort sind auf sieben Linien in Spitzenzeiten mehr als zwei Dutzend geräumige Barkassen unterwegs, die sich durch das Gewusel vor und in den Hafenbecken wendig ihren Weg suchen und dabei beste Ausblicke auf die dicken Pötte aus aller Welt bescheren. Für Touristen ein Muss, für viele Hamburger alltäglich auf dem Weg zu den Arbeitsplätzen irgendwo auf den Kaimauern. Aussicht auf große Schiffe versprechen auch die beiden Fördefährlinien in Kiel, mit Blick auf den Beginn des Nord-Ostsee-Kanals an der Holtenauer Schleuse.

In Berlin erfreut sich die BVG-Linie F 10 bei Ausflüglern großer Beliebtheit. Sie verbindet die Ortsteile Wannsee und Alt-Kladow. Alle Bilder stammen aus der Zeit vor der Corona-Pandemie.


Ins Nahverkehrsangebot eingebunden

Vielerorts geht es an den Fährstellen aber beschaulicher zu. Die Nahverkehr Schwerin GmbH beispielsweise fährt im Sommer mit der Fähre „Petermännchen“ über den Pfaffenteich. Es gibt keinen Fahrplan, und die Fahrgäste sagen, wohin sie wollen – es gibt vier Anlegestellen zur Auswahl. Idyllisch auch die Fähre vom ViP Verkehrsbetrieb Potsdam, die über die Havel zur Insel Hermannswerder übersetzt. Und die Magdeburger Weiße Flotte betreibt im ländlichen Süden der Stadt eine Gierseilfähre, bei der die Strömung der Elbe das am Seil hängende Schiff vom einen zum anderen Ufer bringt. Befördert werden Personen, Hunde, Fahrräder – und bei Bedarf landwirtschaftliche Fahrzeuge.

Vielfach sind Fährverbindungen in das Nahverkehrsangebot der Städte oder Verkehrsverbünde eingebunden. Zum Beispiel die Warnow-Fähre in Rostock-Warnemünde, bei der eigens entwickelte Signaltechnik die Busanschlüsse auf dem rechten Ufer sichert. Und die Berliner Fähren sowie das Potsdamer Schiff zählen zum Angebot des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg. Auf dem südlichen Teil der Elbe im Verkehrsverbund Oberelbe gilt der Verbundtarif auf 13 Fähren. Auf dem Rhein sind es die Verkehrsverbünde Rhein-Mosel, Rhein-Main und Rhein-Nahe, die zumindest einen Teil der Fähren auf Rhein und Mosel mit ins Ticket aufnehmen konnten. Anderswo, etwa in Kiel und Hamburg oder auf dem Bodensee, gibt es den nassen ÖPNV für Fahrgäste mit einem Verbundticket zu vergünstigten Konditionen oder mit Tagestickets.

Dass Fähren öffentlicher Nahverkehr sind, haben auch die Finanzbehörden verstanden. Im vergangenen Jahr war überraschend verfügt worden, dass Fährfahrscheine anders als zuvor grundsätzlich mit dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent zu belasten sind. „Unsere Steuerexperten im VDV haben dann dezidiert nachgewiesen, dass das nicht rechtens sein kann, und es wurde korrigiert“, berichtet Robert Roch. Wer übersetzt, muss seitdem nur sieben Prozent darauf zahlen, auch wenn er im Pkw sitzt oder ein Fahrrad schiebt – wie überall im ÖPNV bei Bus, Bahn oder Taxi.

Nasser ÖPNV: In Kooperation mit dem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) betreibt die Hadag den gesamten Fährverkehr im Hamburger Hafen.
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