05.03.2018
Hintergrund

Daten intelligent nutzen

Smartphones, Navis, die Heizungssteuerung per WLAN, „Connected Cars“: Tagtäglich produzieren wir milliardenfach neue Daten. Diese gelten längst als das Kapital der Zukunft. Ermöglichen sie doch unter anderem, Kundenbedürfnisse noch besser zu verstehen und vorauszusagen. Doch wie kann auch die Branche „Big Data“ nutzen? Beim Seminar „Intelligente Datennutzung im Öffentlichen Verkehr“ der VDV-Akademie diskutierten Experten digitale Strategien und präsentierten erste Erfahrungen aus der Praxis.


Die Menschen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind echte Frühaufsteher – zumindest im bundesweiten Schnitt. Schon um 6:56 Uhr machen sie sich auf den Weg zur Arbeit. Die Kölner trinken da wahrscheinlich ihren ersten Kaffee: Der Durchschnittsbewohner der Rheinmetropole verlässt sein Heim nämlich erst um 8:19 Uhr. Diese präzisen Zeitangaben sind nicht das Ergebnis einer Umfrage. Tatsächlich liefert fast jeder von uns täglich solche Daten, vorausgesetzt, er besitzt ein Smartphone. Einwählen ins WLAN, der Sprung von LTE zu 3G: Bei jeder Aktion sendet das Gerät Daten an den Betreiber. Dieser kann sie auswerten und Rückschlüsse auf den zurückgelegten Weg ziehen, anonymisiert und nicht herunterzubrechen auf die Einzelperson. Das verlangen die Datenschutzrichtlinien. „Außerdem“, betonte Alexander Lange von Telefónica Next vor den Tagungsteilnehmern in Köln, „interessiert uns nicht das Sandkorn, sondern der Strand.“

Die Telefónica-Tochter hat sich auf die Analyse solcher Daten spezialisiert. Und für sie ist nicht der Arbeitsweg des Einzelnen interessant, sondern eher, wann sich die Masse der Menschen auf den Weg macht. Unter dem Titel „So bewegt sich Deutschland“ hat das Unternehmen diese Daten auch online veröffentlicht und liefert ein Beispiel dafür, wie Big Data (siehe Infobox, S. 18) dem Öffentlichen Verkehr nutzen kann. Optimierte Linienführung, bedarfsorientierterer Fahrzeugeinsatz und vor allem individualisierte, auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kunden ausgerichtete Services sind nur einige Beispiele intelligenter Datennutzung anhand von Bewegungsmustern (siehe auch Interview).

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Die Art der Datenquellen ist dabei vielseitig. Das WLAN in den Stationen und Zügen, Verbindungsabfragen per App, der Ticketkauf, die Sensoren der Fahrzeuge, die automatische Fahrgasterfassung oder auch die Ergebnisse von Kundenbefragungen: Schon ohne Mobilfunk- und GPS-Daten liegen den Verkehrsunternehmen bereits heute zahlreiche Informationen vor. Die Fragen, die sich durch die Tagung zogen, waren deswegen vor allem folgende: Wie können die Daten nicht nur analysiert, sondern auch genutzt werden? Wie gelingt die Verknüpfung der verschiedenen Informationen miteinander? Und wie lassen sich interne Prozesse, die Unternehmenskultur und die eigene IT dafür fit machen? Experten aus Verkehrs- und Telekommunikationsunternehmen, aus Forschungseinrichtungen sowie Datenanalysten stellten dazu ihre Ansätze vor. Seit zwei Jahren beschäftigen sich beispielweise die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) intensiv mit dem Thema. Eine der interessantesten Quellen: die Fahrplan-App mit rund 1,5 Millionen Abfragen pro Tag. „Die Verbindungsabfragen spiegeln sehr gut das tatsächliche Fahrgastaufkommen auf den Linien wider“, erläuterte Klaus Emmerich aus der BVG-Angebotsplanung. „Wir waren selbst überrascht, wie viel aus der App ausgelesen werden kann.“ Erfasste Daten – egal, ob aus der App oder anderen Quellen – verwenden die Berliner unter anderem in Simulationsprogrammen. Das Ergebnis habe im Raum Spandau etwa zu einer Anpassung des Liniennetzes geführt, so Emmerich. Die Ergebnisse hatten gezeigt, dass eine schnellere Verbindung in Richtung Stadt gefragt war. Aus Sicht von Till Ackermann, VDV-Fachbereichsleiter Volkswirtschaft und Business Development, verdeutlicht dieses Beispiel aber auch noch etwas anderes: „Nämlich wie wichtig es für Verkehrsunternehmen ist, alle Fahrplanauskünfte im eigenen System zu haben – ohne verpflichtet zu sein, die Daten anderen Playern zur Verfügung zu stellen. Welches Verkehrsunternehmen möchte dem Wettbewerb schon die Grundlage für ein konkurrierendes Angebot liefern?“

Big Data –
ein Berg an Daten

Big Data bezeichnet große Datenmengen, die beispielsweise aus Mobilfunk und Internet, aber auch aus Industrie, Wirtschaft, Assistenzgeräten oder Flug- und Fahrzeugen stammen können – eigentlich aus allem, was Daten produziert. Diese gilt es auszuwerten. Die Wirtschaft erhofft sich von der Analyse unter anderem neue Einblicke in Kundenwünsche und Kaufverhalten. Verkehrsunternehmen könnte die Nutzung unter anderem ein stark individualisiertes Angebot ermöglichen. Die Idee: Ein Nutzer, der jeden Tag die gleiche Strecke mit dem Bus fährt, wird durch seine App automatisch über baustellen- oder staubedingte Änderungen informiert. So wird aus Big Data Smart Data.

Zugankünfte präziser vorhersagen

Wie die BVG setzt auch die Deutsche Bahn auf eigene Daten und arbeitet dafür mit T-Systems zusammen. Konkret geht es um eine Verbesserung der Vorhersage von Zugankünften. Ein selbstlernendes System greift auf Meldungen der Züge, auf Zug­lauf- und Netzpläne oder Netzbetriebssysteme zurück, lernt aus den Erfahrungen und berechnet Verspätungen genauer als die klassischen Verfahren. „Noch sind wir damit im Probebetrieb, haben aber schon die Abnahme durch die DB“, sagte Dr. Ingo Elsen, Chief Engineer bei T-Systems. Das System werde fortlaufend weiterentwickelt, etwa durch die Integration neuer Datenquellen. „Aber selbst mit den vorhandenen Daten ist das neue System schon besser als sein Vorgänger.“ Im Mai soll es live gehen. Für den Kunden ändert sich optisch nichts, aber die Pünktlichkeitsanzeigen sollen dann präziser sein.

Dass in der Branche noch hoher Handlungsbedarf in Sachen Daten-Analyse besteht, betonten Christiane Henrich-Köhler und Michael Jahn von der Unternehmensberatung PWC. Beispiel Verkehrsstromsteuerung in Echtzeit: Bislang setzen nur 24 Prozent der Unternehmen hierfür Big-Data-Analysen oder Sensorik, etwa aus den Fahrzeugen, ein. Das habe eine gemeinsame Studie von PWC und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ergeben. Bei einem Drittel stehe das Thema bislang gar nicht auf der Agenda. Dabei sind sich alle Referenten einig: Wer die Daten und damit den Zugang zum Kunden hat, gewinnt am Markt. Denn der Kunde will heute ein Mobilitätsangebot, das zu ihm passt. Von Tür zu Tür, über Verkehrsmittel und Verbundgrenzen hinweg. „Wollen wir das die Plattformen machen lassen?“, fragte Tagungsleiter Ackermann rhetorisch. „Oder wollen wir das selbst übernehmen? Das ist jetzt unsere Chance, unseren Verkehr viel besser zu individualisieren.“

Die VDV-Akademie hat ihr Seminarprogramm für das Jahr 2018 veröffentlicht: www.vdv-akademie.de

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