Titelstory

Alles andere als auf dem Holzweg

Nur wenn es gelingt, deutlich mehr Güter auf die Schiene zu verlagern, sind die Klimaschutzziele im Bereich Verkehr erreichbar. Politik, Wirtschaft und die Güterbahnen haben es in der Hand, die Eisenbahn zum Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts zu machen – vor allem durch den Ausbau der Schieneninfrastruktur. Mehr Gleisanschlüsse sind dabei ein erster Schritt zur Verkehrsverlagerung.


Wo die Selbitz in die Saale mündet und Thüringen an Bayern grenzt, liegt Blankenstein. Hier erreichen Wanderer den östlichen Start- und Zielpunkt des Rennsteigs und Personen- sowie Güterzüge aus Richtung Saalfeld ihre Endhaltestelle. Blankenstein ist ein Ortsteil der Gemeinde Rosenthal am Rennsteig und Standort eines der modernsten europäischen Zellstoffwerke seiner Art – der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal (ZPR). Das Unternehmen gehört zur nordamerikanischen Mercer Group und zählt mit seinen fast 400 Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern in der Region.

Zellstoff und das Rohmaterial Holz lassen sich außerordentlich gut über die Schiene transportieren.

Maik Glüher,
Logistikleiter der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal (ZPR)

Den nachhaltigen Umgang mit einem natürlichen Rohstoff – Holz aus zertifizierter, ökologischer Forstwirtschaft – hat sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt. Beim Transport seiner fertigen Produkte nutzt ZPR bereits seit vielen Jahren konsequent die Schiene. Fast 90 Prozent der 360.000 Tonnen umfassenden Jahresproduktion an Zellstoff verlassen das Werk in Güterwagen. Für diese Menge werden 1,5 Millionen Tonnen Holz als Rohstoff benötigt. Eine Million Tonnen kommen als Hackschnitzel per Lkw aus den umliegenden Sägewerken, 500.000 Tonnen als Rundholz vorwiegend aus den Wäldern Thüringens, Sachsens und Frankens sowie anteilmäßig per Bahn aus Deutschland und Osteuropa. „Unser Endprodukt Zellstoff und das für die Produktion benötigte Rohmaterial lassen sich außerordentlich gut über die Schiene transportieren“, erläutert Maik Glüher, Logistikleiter bei ZPR. Seit zwei Jahren wird das Rundholz verstärkt per Bahn angeliefert. Zunächst laufen Ganzzüge mit Rundholz bis nach Saalfeld. Dort wird der Zug in drei Tranchen von bis zu maximal zehn Waggons geteilt und anschließend in Wagengruppen von DB Cargo nach Blankenstein gefahren. Zwei Vierachs­wagen fassen so viel Holz wie fünf Lkw.
Was auf den ersten Blick als idyllische Lage durchgeht – das Werk ist von der Saale und bewaldeten Hügeln eingerahmt –, versteht Logistikleiter Maik Glüher als „topografisch schwieriges Gelände“. Nah am Hang wurde vor zwei Jahren der vorhandene Gleisanschluss, der die Fabrik an die nahegelegene Strecke von Blankenstein nach Saalfeld anbindet, um ein Parallelgleis und eine einseitige Doppelweiche erweitert. Sie führen zum eigentlichen Herzstück der erweiterten Anlage: einem neuen Terminal samt elektrobetriebenem Portalkran für die Entladung von Rundholzwaggons. Von dort geht das Holz direkt in die Weiterverarbeitung. Bis 2017 fuhren jährlich noch rund 60.000 Lkw mit Rundholz und Hackschnitzeln aus der Region zum Werksgelände. Beim Rundholz ist der Anteil der Lkw-Transporte stark rückläufig.

Die Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal (Foto o.) im thüringischen Blankenstein hat in ihre Schieneninfrastruktur investiert. Entstanden ist ein Terminal für die Anlieferung von Rundholz samt Portalkran (Foto u.)
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Insgesamt 8,5 Millionen Euro hat das Unternehmen in seine Schieneninfrastruktur, das Endladeterminal sowie eine neue dreiachsige Rangierlok investiert. Knapp 2,2 Millionen Euro steuerte das Eisenbahnbundesamt (EBA) aus Mitteln der Gleisanschlussförderung für den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur bei. Bereits in vier bis fünf Jahren sollen sich die Investitionen bezahlt machen.

Unternehmen wie ZPR, die Güter von der Straße auf die Schiene bringen wollen, erhalten Geld vom Staat. Bis zu 14 Millionen Euro stellt der Bund dafür jedes Jahr noch bis 2020 zur Verfügung – ein im Gesamtetat des BMVI vergleichsweise kleiner Posten. Bezuschusst werden Neu- und Ausbauten sowie die Reaktivierung privater Gleisanschlüsse. „Die Gleisanschlussförderung zeigt, dass auch mit vergleichsweise wenig Geld viel bewegt werden kann“, erläutert Dr. Martin Henke, Geschäftsführer für den Bereich Eisenbahn beim VDV. Auf Initiative des VDV war dieses Förderinstrument im Jahr 2004 von der damaligen Bundesregierung ins Leben gerufen worden. Seitdem wurden 164 Projekte bewilligt, die mit 122 Millionen Euro gefördert wurden. Derzeit befinden sich weitere 25 Projekte in der Warteschleife. „Ziel ist es, der verladenden Wirtschaft den Anschluss an das nationale und internationale Netz zu ermöglichen, damit mehr Güter umweltfreundlich auf der Schiene transportiert werden können“, erläutert Martin Henke.

Ein wichtiger Anreiz. Denn die Kosten für einen Gleisanschluss gehen schnell in den Bereich von sechs- bis siebenstelligen Eurobeträgen – für die Unternehmen eine nicht unwesentliche Investition, die zudem mit erheblichen Folgekosten für die Instandhaltung der Gleisanlagen verbunden ist. Bis zu 50 Prozent der Baukosten können jedoch vom Bund bezuschusst werden. Folglich nutzen vor allem mittlere und kleine Unternehmen diese Möglichkeit, in ihre Infrastruktur zu investieren.

Um in den Genuss der Fördermittel zu kommen, muss sich ein Unternehmen verpflichten, ein festgelegtes Volumen nicht mehr auf der Straße, sondern über die Schiene zu transportieren. Dabei fordert die Förderrichtlinie, zusätzliche Mengen zu verlagern. Wieviel Güterverkehr insgesamt über ihren Anschluss läuft, müssen die geförderten Unternehmen dem EBA mindestens fünf Jahre lang mitteilen. Laut Förderrichtlinie beträgt die Zuwendung je Tonne erzieltem Schienengüterverkehrsaufkommen jährlich maximal bis zu acht Euro oder bis zu 32 Euro je 1.000 Tonnenkilometer erzielter Schienengüterverkehrsleistung auf dem deutschen Eisenbahnnetz. Neu ist seit der jüngsten Evaluierung der Gleisanschlussförderrichtlinie im Jahr 2017, dass auch die auf ausländischer Infrastruktur zurückgelegten Entfernungen anteilig in die Berechnung der Förderhöhe einfließen. Bei leichten Gütern beläuft sich die Zuwendung auf 220 Euro pro Güterwagen bei Angabe des Transport­aufkommens und auf 90 Euro je 100 Güterwagenkilometer.

Die Gleisanschlussförderung zeigt, dass auch mit vergleichsweise wenig Geld viel bewegt werden kann.

Dr. Martin Henke,
VDV-Geschäftsführer Eisenbahn

Zuletzt ist die Zahl der Gleisanschlüsse in Deutschland deutlich zurückgegangen. Ein ausreichendes Netz davon sowie multimodale Logistikknoten werden jedoch benötigt, um Güter überhaupt auf der Schiene transportieren zu können und zusätzliche Mengen von der Straße zu holen. Zudem bleibt die Frage, warum sich nicht mehr Unternehmen für einen eigenen Gleisanschluss entscheiden oder ihre vorhandene Schieneninfrastruktur stärker nutzen. Den Ursachen wollen Vertreter aus Industrie, Handel und Logistik derzeit konkreter auf den Grund gehen. Dazu stehen sie verbandsübergreifend im Dialog mit Verladern, Speditionen und Eisenbahnen. Dass sie bereit sind, zusammen mit der Bundesregierung einen Beitrag zu leisten, die Wettbewerbsfähigkeit des Gütertransports per Bahn zu steigern, wurde auf der ersten Gleisanschlusskonferenz im Oktober 2018 und zuletzt auf dem Forum Schienengüterverkehr deutlich. Die Tagung wurde vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik gemeinsam mit dem VDV veranstaltet. Mehr als 230 Verlader, Bahnspeditionen sowie Dienstleister und Unternehmen aus dem Eisenbahnsektor nahmen daran teil. „Die enge Zusammenarbeit der Branche wird immer wichtiger“, erläuterte Joachim Berends, VDV-Vizepräsident für den Bereich Schienengüterverkehr. Über diese Veranstaltung hinaus zeige sich das auch beim Masterplan Schienengüterverkehr und beim Zukunftsbündnis Schiene.

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Die Branche hat sich viel vorgenommen: Bis 2030 soll der Anteil des Schienengüterverkehrs am Modal Split von derzeit 18 auf 30 Prozent wachsen. Nach den Worten des VDV-Vizepräsidenten müssten diese Anstrengungen, die auch umwelt- und verkehrspolitisch nötig seien, gemeinsam und konsequent angegangen werden. Joachim Berends: „Nur so wird der Schienengüterverkehr wettbewerbs- und leistungsfähiger und kann die ihm zugedachte Rolle als zentraler Verkehrsträger der Zukunft im wachsenden Güterverkehrsmarkt erfüllen.“ Derzeit fassen der VDV und knapp 30 weitere Verbände ihre Verbesserungsvorschläge in einer „Gleisanschluss-Charta“ zusammen. Im Frühjahr soll sie der Politik übergeben werden.

Aber selbst im ohnehin schon umweltfreundlichen Transport über die Schiene schlummert noch Klimaschutz-Potenzial. Es kann durch den intelligenten Ausbau der Infrastruktur gehoben werden. Auch dafür dient die Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal als Beispiel: Seit 1945 ist die südliche Anbindung von Blankenstein über die „Höllentalbahn“ ins bayerische Hof unterbrochen. Auf ihrem Weg vom Rundholz-Umschlaglager im tschechischen Aš über Saalfeld nach Blankenstein müssen die Güterzüge einen über 200 Kilometer weiten Umweg nehmen. Auf direktem Weg wären es nur 62 Kilometer. Wie der VDV auch in seinem Reaktivierungsprogramm anregt, das in Kürze veröffentlicht wird, müsste dafür zwischen Blankenstein und Marxgrün ein Gleis­abschnitt wieder reaktiviert werden. Dessen Länge: fünf Kilometer.

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